
Dass die Bundeswehr ab 1990 kaputtgespart wurde und dass an der Spitze des Verteidigungsministeriums nicht immer die richtigen Leute saßen, ist bekannt. Aus einer Truppe mit 495.000 Mann wurde eine Truppe von 181.000 „Mann“. Man hatte sich ab 1990 der Illusion hingegeben, dass man nur noch von Freunden umgeben war und dass die daraus abgeleitete genannte Friedendividende ein Füllhorn an sozialpolitischen Wohltaten möglich machte. 2011 wurde obendrein die Wehrpflicht außer Kraft gesetzt. Und: Hunderte von Liegenschaften / Kasernen / Dienststellen der Bundeswehr wurden geschlossen oder verscherbelt.
Man hatte sich auf den atlantischen Schutzschirm verlassen und weit unterhalb der 2-Prozent-Nato-Vorgabe nur noch 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung eingeplant. Weckrufe wie die Annexion der Krim 2014 wurden nicht ernstgenommen. Erst der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 provozierte ein schreckhaftes Erwachen. Denn zu diesem Zeitpunkt – nur ein Beispiel – hatte die Bundeswehr nicht einmal Munition für mehr als zwei oder drei Tage einer größeren kriegerischen Auseinandersetzung.
Dann gab es 2022 urplötzlich ein Sondervermögen (vulgo: Sonderschulden) von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, die freilich jetzt schon komplett ausgegeben bzw. verplant sind. Nachfolgend – unvollständig – ausgewählte Beispiele:
All das sind Ausgaben, die für nichts anderes gut sind, als längst überfälligen Nachholbedarf auszugleichen. „Kriegstüchtig“ (seit November 2023 Begrifflichkeit von Verteidigungsminister Boris Pistorius, SPD) ist die Bundeswehr damit noch lange nicht. Allein die Tastsache, dass es vier Jahre bis 2028 dauert, bis die Bundeswehr die 5000-Mann-Brigade Litauen einsatzfähig aufgestellt haben wird, zeigt, dass es überall hakt.
Und nun der Schock: Die USA wollen sich aus Europa zurückziehen. Ganz neu ist die Planung nicht. Bereits US-Präsident Barack Obama (2009 – 2017) hatte eine Verlagerung der US-Interessen in den indopazifischen Raum angekündigt und von den europäischen Nato-Partner die Erfüllung des 2-Prozent-Nato-Ziel verlangt. Was Donald Trump nun im Kontext mit dem Ukraine-Krieg ankündigte, durfte insofern nicht überraschen.
Nun reagieren die zukünftig in Deutschland (womöglich) Regierenden und die in Brüssel Bürokratisierenden wie ein Hühnerhaufen, in den sich ein Fuchs eingeschlichen hat. Hunderte an Kredit-Milliarden sind im Gespräch, um den dahinschwindenden atlantischen Schutzschirm zu ersetzen. Dass dabei an Rande der Legalität und der Legitimität getrickst wird, erlebt man derzeit täglich.
Aber da beißt die Maus keinen Faden aus: Europas und Deutschlands Sicherheit wird weitere Hunderte Milliarden kosten. Für die Bundeswehr ohnehin. Sie wird Defizite aufarbeiten und Lücken schließen müssen. Und sie wird sich im Verein mit der Rüstungsindustrie auf einen in der Ukraine seit mindestens einem Jahr erkennbaren Wandel des Kampfgeschehens einstellen müssen. Kurz: Der Krieg ist – außer zu einem Cyberkrieg – vor allem zu einem Krieg in der Luft geworden. Zu einem Krieg mit vergleichsweise billigen und massenhaft hergestellten Drohnen, die Panzer und Anlagen, die zig Millionen kosten, in Sekundenschnelle zerstören oder außer Kraft setzen können.
Auch die Infrastruktur in Deutschland braucht nicht zuletzt aus sicherheitspolitischen Gründen ebenfalls zig, ja Hunderte an Milliarden. Schließlich sind Brücken, Straßen und Bahntrassen vielfach nicht in der Lage, im Ernstfall schweres militärisches Gerät zu transportieren. Vom Zivilschutz ganz zu schweigen. Laut einer Bestandsaufnahme des Bundesinnenministeriums gibt für die 84 Millionen Wohnbevölkerung in Deutschland nur knapp 480.000 Plätze in rund 580 Bunkern und Schutzräumen. Hier ein einziger Vergleich mit Finnland: Allein in Helsinki stehen für die 650.000 Einwohner dort 900.000 Schutzplätze zur Verfügung
Aus zwei Gründen am wenigsten kalkulierbar sind die Kosten einer Erhöhung der Truppenstärke. Hier ist die erste Frage: Wird es gelingen, die Bundeswehr von derzeit 181.000 auf 230.000 Mann (so die regierungsamtliche Zielsetzung) aufzustocken? Nato-Ziel wären sogar 250.000. Zulässig ist laut Art. 3 des 2plus4-Vertrags übrigens eine Bundeswehr mit bis zu 370.000 „Mann“. Im Moment sind das schier utopische Zahlen, wenn man sieht, dass derzeit bereits 20.000 Dienstposten nicht besetzt sind. Damit verbindet sich die zweite Frage: Wie kann eine Wiedereinführung der Wehrpflicht vonstattengehen? Selbst wenn pro Jahr rund 100.000 junge Leute etwa zu einem 9-Monate-Dienst eingezogen würden, fehlten dafür die Kasernen. Letztere neu zu bauen, das dauert, und es kostet.
Die neue Bundesregierung steht hier vor riesigen Herausforderungen, die sich allein mit immer noch mehr Schulden oder gar einem ins Gespräch gebrachten Solidaritätszuschlag zugunsten der Bundeswehr nicht bewältigen lassen. Vor allem wo der halbwegs wache Bürger doch weiß, dass jährlich zig Milliarden aufgewendet werden, die mit der Sicherheit Deutschlands nichts zu tun haben: namentlich die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen, die Entwicklungshilfe, das Bürgergeld, aufgeblähte Regierungsapparate, üppige Alimentierungen von nahestehenden NGOs usw.
Auf die neue Bundesregierung wartet eine Herkulesaufgabe. Unter anderem muss es endlich gelingen, das hochkomplizierte Beschaffungswesen der Bundeswehr zu straffen. Es muss auch gelingen, die Hochschulen von ihrer „Zivilklausel“ herunterzuholen, die jede sicherheits- und militärpolitische Forschung qua Selbstbeschränkung ausschließt. Und es muss in der Truppe wieder der Grundsatz gelten: „All chiefs, no indians“ – das funktioniert nicht. Es kann ja nicht sein, dass die Bundeswehr 1989 bei 495.000 „Mann“ 223 Generale/Admirale hatte, und es aktuell bei 181.000 Mann 211 Generale/Admirale sind. Die Bundeswehr also im Vergleich mit dem Kalten Krieg eine fast dreifache Generals/Admirals-Sättigung hat.