
Die Corona-Pandemie wurde von der führenden Politikriege immer wieder als neuartige Situation bezeichnet, die Angst vor dem Virus war offenbar groß. Dabei gab es schon zuvor Influenza-Pandemien, die bekannteste breitete sich 1918 in Form der spanischen Grippe aus. Doch gut 100 Jahre später kam ein neuer Risikofaktor dazu: Covid-19 war vermutlich nicht natürlich auf den Menschen übertragen worden, sondern einem Labor des chinesischen Wuhan Institute of Virology entsprungen.
Das vermutete bereits Donald Trump im April 2020 – er deutete Covid-19 in seinem Wortlaut zum „Chinese Virus“, also dem chinesischen Virus, um. In Deutschland galt die Labortheorie zu diesem Zeitpunkt noch als finsterste Verschwörungstheorie, dabei zeigen Recherchen der Süddeutschen Zeitung und der Zeit jetzt, dass der Bundesnachrichtendienst das Bundeskanzleramt bereits 2020 über die Möglichkeit eines Laborausbruchs informierte (Apollo News berichtete).
Das kam jedoch nie an die Öffentlichkeit. Bei allen Entscheidungen ab dem zweiten Lockdown Ende 2020 muss man sich nun fragen, ob sie vornehmlich aus Angst gefällt wurden. Aus Angst vor einem gezüchteten Virus, das sich nicht auf natürliche Art und Weise verbreitet hatte. Der Bundesnachrichtendienst geht zwar nach wie vor nicht davon aus, dass mit Sars-CoV-2 eine Biowaffe in Wuhan gezüchtet werden sollte, dennoch dürfte im Bundeskanzleramt damals die Ungewissheit und Hilflosigkeit im Umgang mit solch einer Krankheit eine Rolle gespielt haben.
Doch warum wurde das nie mit der Öffentlichkeit geteilt? Warum wurde die Labortheorie jahrelang als eine der größten Verschwörungstheorien unserer Zeit dargestellt, wenn doch international operierende Geheimdienste diesen Ursprung für wahrscheinlich hielten? Die neuen Enthüllungen zeigen, dass der Bundesnachrichtendienst bereits in den ersten Wochen des Jahres 2020 Untersuchungen anstellte, um die Herkunft des Virus zu ermitteln. Die Behörde ließ ihre Agenten in Wuhan recherchieren – mit Erfolg.
Anhand von Daten und Untersuchungen schätzte die Behörde die Wahrscheinlichkeit für einen Laborursprung auf 80 bis 95 Prozent ein. Erste Hinweise über den Ursprung des Virus erhielt der Bundesnachrichtendienst offenbar über die Bioinformatik, bei der biologische Daten mithilfe von Technologie untersucht werden.
Hierbei sei herausgekommen, dass sich das Virus zu Beginn nicht schneller verändert hatte, obwohl das in der sogenannten Anfangsphase, wenn Coronaviren auf eine neue Spezies treffen, im Normalfall zu beobachten ist. Demnach ist davon auszugehen, dass das Virus bereits zuvor auf den Menschen angepasst worden war. Noch im Jahr 2020 meldete der Bundesnachrichtendienst diese brisante Annahme dem Bundeskanzleramt. Angela Merkels Behörde verpflichtete den Auslandsgeheimdienst damals zum Schweigen.
Warum ließen sowohl Merkel selbst als auch ihr Nachfolger Olaf Scholz, dessen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt über die Vorgänge informiert wurde, die Bevölkerung anschließend vier Jahre lang in dem Glauben, es würde sich um ein natürliches Virus handeln? Insgeheim wusste man offenbar mehr: Die gewonnenen Dokumente zeigen, dass in Wuhan die Wirkung von Coronaviren auf das menschliche Gehirn erforscht worden war. Das Virus könnte also schon mehrere Jahre vor dem weltweiten Ausbruch der Krankheit auf den Menschen angepasst worden sein.
Auch öffentliche Berichte deuten darauf hin: Im April 2020 entzog Donald Trump der amerikanischen Nichtregierungsorganisation EcoHealth Alliance die Unterstützung für ein Forschungsprojekt in Wuhan, bei dem Coronaviren in Fledermäusen untersucht werden sollten, um künftige Pandemien zu vermeiden. Gemeinsam mit chinesischen Forschern soll sich EcoHealth in Wuhan im Auftrag der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), einer Initiative des US-Verteidigungsministeriums, und den National Institutes of Health, aber auch an Gain-of-Function-Forschungen beteiligt haben (Apollo News berichtete).
Diese Forschungsmethode ist in den USA stark reguliert und auch höchst umstritten, weil sie untersucht, inwiefern Mutationsprozesse von Viren und Bakterien künstlich beschleunigt und gesteuert werden können. Dafür wurden einige Viren auch für die Übertragung auf den Menschen angepasst. Die Labore in Wuhan sind allerdings nicht zwingend für derartig problematische Forschungen ausgelegt: Gain-of-Function-Forschungen sollen auch im Level-2-Bereich durchgeführt worden sein – obwohl mindestens eine höhere Stufe notwendig ist.
All das konnte die Bundesregierung spätestens Ende 2020 wissen. Obwohl es in der Folge zu harten Maßnahmen, der Impfkampagne und weitreichenden Einschränkungen von Freiheitsrechten kam, wurde der mögliche Ursprung von Covid-19 nie als Argument herangeführt. Dabei wäre es die vermutlich ehrlichste Begründung für alle Maßnahmen gewesen – denn aus heutiger Sicht sind viele Einschränkungen sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich nicht mehr vertretbar oder zumindest fragwürdig, das zeigen auch die im vergangenen Jahr veröffentlichten Krisenstabsprotokolle des Robert-Koch-Instituts.
Eine mögliche Erklärung für die Zurückhaltung der Bundesregierung ist die Angst vor dem Virus. Möglicherweise wollten die eingeweihten Personen den Umstand, dass es sich tatsächlich um ein chinesisches Laborprodukt handeln könnte, einfach nicht wahrhaben. Immerhin fehlte auch dem Bundesnachrichtendienst der entscheidende Beweis und auch Trump sprach immer nur von geheimen Dokumenten, ohne diese zu zeigen.
Dass es China tatsächlich zulässt, dass ein potenziell gefährlicher Erreger ein Labor – unabsichtlich oder sogar gewollt – verlässt, diese Annahme gilt sogar in westlichen Zivilisationen als undenkbar. Zumindest war es so vor der Pandemie. Die Angst vor dieser Möglichkeit könnte dann aber die Entscheidungen der Bundesregierung, die in der Folge immer härter ausfielen, beeinflusst haben.
Erst nachdem die mildere Omikron-Variante im November 2021 übernommen hatte, flachte die Angst vor dem Virus ab – allerdings auch erst Monate später. Im April 2022 debattierte der Bundestag immerhin noch über eine Impfpflicht. Auch das ist in Anbetracht der Labortheorie interessant: Eigentlich wird Gain-of-Function-Forschung auch dafür verwendet, um neben der Wirkung einer Krankheit auf den Menschen auch mögliche Heilmethoden zu untersuchen und so etwa die Entwicklung von Impfstoffen zu ermöglichen.
Nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie 2023 für beendet erklärt hatte, informierte der Bundesnachrichtendienst im Herbst 2024 dann plötzlich mit der CIA erstmals eine externe Stelle über die eigenen Erkenntnisse – der US-amerikanische Geheimdienst hielt die Labortheorie schon länger für möglich und geht ebenfalls von einem Leck in Wuhan aus.
Im Dezember – kurz nachdem die Ampel zerbrochen war, baldige Neuwahlen im Raum standen und Trump Präsident in den USA werden sollte – beauftragte die Bundesregierung den Bundesnachrichtendienst dann mit der Aufarbeitung, es wurden Treffen mit hochrangigen Wissenschaftlern, etwa dem Virologen Christian Drosten, organisiert. Daraufhin gab es auch bei Drosten, der die Labortheorie zuvor noch als Verschwörungstheorie abgetan hatte, ein Umdenken.
Ende Januar hielt auch er diesen Ursprung für möglich. Seiner Ansicht nach hätten die chinesischen Wissenschaftler die Möglichkeiten und Fähigkeiten, den natürlichen Ursprung des Virus nachzuweisen – das haben sie bislang aber noch nicht getan. Im Gegenteil: Die mögliche Angst der Bundesregierung könnte dann durch neue Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes verstärkt worden sein. Demnach sollen chinesische Forscher auch mit Mers-Viren geforscht haben, die als gefährlichere Atemwegserkrankung gelten als Covid-19.
Die Bundesregierung sieht die Labortheorie dadurch einmal mehr unterstrichen und entschied sich nach einer Anfrage der Süddeutschen Zeitung und der Zeit dazu, die eigenen Erkenntnisse mit dem Bundestag und der WHO zu teilen. Angela Merkel weist derweil jegliche Vorwürfe zu einer Vertuschung „ganz grundsätzlich zurück“. In Reaktion auf eine Anfrage des Tagesspiegel erklärte sie, dass sie sich nicht in der Lage sehe, persönlich Stellung zu der Frage zu beziehen.