
Es ergibt durchaus Sinn, wenigstens ab und zu Katrin Göring-Eckardt zuzuhören, wenn auch nur kurz. Man erfährt dort nicht nur die Ansichten einer politisch gescheiterten, aber individuell bestens etablierten Mandatsträgerin und Talkshowperson, sondern ganz allgemein, welche Denk- und Sprechformeln im politisch-medialen Betrieb gerade die Runde machen. Bei „Maischberger“ gab es kürzlich einen dieser Momente, in denen ein Satz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin pars pro toto für einen ganzen Apparat steht.
Göring-Eckardt debattierte in der Sendung mit dem neuen Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über die Meinungsfreiheit beziehungsweise deren Einschränkung in Deutschland. Genau genommen darüber, dass es sich bei dieser Einschränkung selbstredend um ein Hirngespinst rechter Kreise handelt. „Viele, die beklagten, nicht mehr offen sprechen zu dürfen, hätten in Wirklichkeit vor allem Sorge vor Widerspruch, sagt Katrin Göring-Eckardt. Doch diesen müsse man in einer Demokratie aushalten – ‘egal, von welcher Seite man kommt’“. So jedenfalls fasst die „Maischberger“-Redaktion die Einlassung der Politikerin zusammen. „Sorge vor Widerspruch“ – da zeigt sich schon einmal die intellektuelle Spielebene. Aber egal: Da muss der Leser dieses Textes jetzt bitteschön durch.
Der Leser wie überhaupt das ganze Land weiß, dass die mit 3,1 Prozent respektive 5458 Erststimmen in den Bundestag eingezogene Abgeordnete dort die Grünen vertritt, also die Partei, deren ebenfalls gescheiterter Spitzenkandidat, obwohl er schon alle Hände voll mit der Deindustrialisierung zu tun hatte, trotzdem Zeit fand, um persönlich Strafantrag gegen den Rentner Stefan Niehoff wegen eines harmlosen Memes zu stellen. Genau dieser Großgrüne meinte in einer Bürgerrunde während des Wahlkampfs, solche Bemerkungen wie „Schwachkopf“ über ihn gehörten seiner Ansicht nach nicht zur Meinungsfreiheit. Das sah bekanntlich sogar die Staatsanwaltschaft Bamberg anders, die ihre „Schwachkopf“-Ermittlungen gegen Niehoff trotz Ministerschreiben einstellte. Göring-Eckardt sitzt auch für eine politische Kraft in Berlin, in der man schon die Demokratie wanken sieht, wenn einer oder eine der ihren bei einer Kundgebung ein paar Pfiffe um die Ohren bekommt.
Sie vertritt jene Partei, deren Stadträte gerade in Halle an der Saale ihre geballte Kraft dafür einsetzen, eine privatwirtschaftlich organisierte Buchmesse abzuwürgen, weil ihnen Organisatorin, Verlage und Bücher nicht passen. Davon gleich mehr. Was die Matadorin bei „Maischberger“ in die Runde warf – Nichtlinke könnten eben keinen „Widerspruch aushalten“, – stammt nicht von ihrem eigenen Mistbeet. Diese Parole gab Angela Merkel schon 2019 als Kanzlerin in einem Interview mit dem Spiegel aus. „Aber die Debatte läuft ja so“, stellte Merkel damals fest, „dass ein sogenannter Mainstream definiert wird, der angeblich der Meinungsfreiheit Grenzen setzt. Doch das stimmt einfach nicht. Man muss damit rechnen, Gegenwind und gepfefferte Gegenargumente zu bekommen. Meinungsfreiheit schließt Widerspruchsfreiheit ein. Ich ermuntere jeden, seine oder ihre Meinung zu sagen, Nachfragen muss man dann aber auch aushalten. Und gegebenenfalls sogar einen sogenannten Shitstorm.“
Die Formulierung „Meinungsfreiheit schließt Widerspruchsfreiheit ein“, ergibt erst Sinn, wenn man weiß, dass sie nicht „Widerspruchsfreiheit“ meinte, was ja so etwas wie innere Konsistenz bedeuten würde, sondern Freiheit zu widersprechen. Natürlich zerrte sie damit das dümmste aller Strohmuttiargumente auf die Diskursbühne, konnte aber damit rechnen, dass die beiden Spiegel-Abgesandten sie nicht mit der Nachfrage belästigten, wer denn von den üblichen Verdächtigen – Uwe Tellkamp, Monika Maron, Thilo Sarrazin et al. – jemals gefordert haben sollte, ihnen dürfe niemand widersprechen.
In diesem Interviewjahr 2019 brüllten übrigens linksradikale Studenten den Ökonomieprofessor Bernd Lucke in dessen Hörsaal nieder, zur Strafe, weil der einmal der AfD angehörte. Nein, es handelte sich nicht um Widerspruch, sondern um mundtotmachen. Ebenfalls 2019 feuerte die damals zuständige hessische Kulturministerin den Chef der Filmförderung Hans Joachim Mendig, weil der sich zu einem privaten Mittagessen mit dem damaligen AfD-Chef Jörg Meuthen traf. Um ganz schnell noch Merkels eigene Offenheit für Widerspruch zu beleuchten: Im Wahljahr 2017 sorgte ihr Kanzleramt dafür, dass die Sprecherin des Vereins der Breitscheidplatz-Opfer, obwohl schon zur ZDF- Sendung „Zur Sache, Kanzlerin“ eingeladen, wieder von der Gästeliste flog. Denn sie hätte womöglich eine Frage und Nachfrage gestellt, die Merkel nicht aushalten wollte.
Während der Coronazeit sorgten Merkels Helferlein dafür, dass der renommierte Epidemiologe Klaus Stöhr, der als Mitglied einer Expertenrunde die Regierung in Sachen Virusbekämpfung beraten sollte, den Anruf bekam, er bräuchte sich jetzt doch nicht nach Berlin zu bemühen. Denn am Tag vorher war ein Interview mit Stöhr erschienen, in dem er die Kanzlerin sanft kritisierte. Ein recht bekannter Schriftsteller, der zusammen mit anderen Kulturleuten zum Abendessen mit Merkel zu Tische saß, widersprach ihr noch nicht einmal, schon gar nicht gepfeffert, sondern erlaubte sich nur, sie in einer Sache nicht zu bestätigen und ließ dabei eine leichte Ironie aufscheinen. Seiner Schilderung zufolge brach sie die Konversation mit ihm sofort ab und behandelte ihn für den Rest der Veranstaltung wie Luft.
Natürlich wusste Merkel 2019, dass sie perfiden Unfug von sich gab. Dummheit kann man ihr nicht unterstellen. Die ehemalige FDJ-Agitatorin, die damals in der DDR immer nur Theaterkarten besorgte, verfügt vielmehr über einen Willen zur kaltschnäuzigen Realitätsverbiegung, wie ihn nur wenige Amtsträger mitbringen. Im Falle Göring-Eckardts lässt sich schwer sagen, ob sie wirklich daran glaubt, wenn sie jetzt das von Merkel schon gut eingespeichelte Narrativ noch einmal öffentlich durchkaut (selbstverständlich auch hier wieder, ohne dass die Moderatorin nachfragt). Bei der Figur, die sich zu Unrecht über die Diskusenge in Deutschland beklagt und in Wirklichkeit nur keinen Widerspruch aushält, handelt es sich um den Yeti des politischen Feuilletons: Es gibt viele, die ihn gesehen haben wollen, aber keinen sachdienlichen Hinweis zu Gestalt und Aufenthaltsort. Das eigentliche Wagnis besteht darin, dass Göring-Eckardt sich erstens mit diesem ranzigen Versatzstück überhaupt noch in die Öffentlichkeit traut.
In der Sendung sah sich Kulturstaatsminister Weimer in der Lage eines Fußballers, der einen Elfzentimeter ohne Torwärtin bewältigen musste. Indem er den Ball dann trotzdem nicht hinein,- sondern vorbeischoss, vollbrachte er eine nach menschlichem Ermessen unmögliche Leistung. Denn er nannte auf Maischbergers Nachfrage – in diesem Fall gab es sie nämlich durchaus, und zwar als Aufforderung, konkrete Beispiele für Meinungsunterdrückung zu präsentieren – zwei völlig abseitige, ja, man muss sagen, dämliche Fälle. Zum einen, dass die Chöre des Humboldt-Forums 2024 bei der Aufführung von Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ eigenmächtig das Wort „Oberindianer“ im Liedtext entfernten. Zweifelllos eine dummstreberhafte Anmaßung, aber kein wirklich gefährlicher Angriff auf das offene Wort. Denn natürlich kann jeder den Song nach wie vor im Original hören. Zum zweiten erwähnte Weimar, ohne dass er Details dazu parat hielt, irgendetwas mit den Büchern von Karl May. Was gab es da? Im Jahr 2021 stoppte der Ravensburger Verlag den Verkauf zweier Kinderbücher zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“, die Begründung lautete: wegen „verharmlosender Klischees“ über Indianer. Aber deswegen herrscht kein Karl-May-Verbot. Seine Bücher kann sich jeder antiquarisch besorgen.
Dabei hätten dem Staatsminister gleich drei aktuelle Beispiele echter Meinungsunterdrückungen beziehungsweise der entsprechenden Versuche zur Verfügung gestanden, von denen er mindestens zwei kennen sollte. Das erste betrifft die schon erwähnte Buchmesse „Seitenwechsel“, die in Halle/Saale im November dieses Jahres stattfinden soll. Das heißt: nach dem Willen von Stadtpolitikern, Kulturfunktionären und NGOs soll sie unterbleiben. Es handelt sich hier um eine Premiere, nämlich den ersten Versuch in Deutschland seit 1945, eine Veranstaltung zur Ausstellung und zum Verkauf von Büchern plattzumachen.
Im Fall Nummer zwei kündigte die „Blaue Fabrik“ in Dresden den Veranstaltungsvertrag für einen Vortrag des italienischen Historikers Valerio Benedetti zum Thema „Islamisierung Europas“. Und zwar nach Intervention der Diskurspolizei. Denn vorher bestanden bei den Betreibern des Veranstaltungsorts ganz offensichtlich keine Bedenken.
Einen ganz ähnlichen Vorgang erlebte drittens der deutsch-schweizerische Psychiater und Forensiker Frank Urbaniok, der sich in seinem Buch „Schattenseiten der Migration. Zahlen, Fakten, Lösungen“ mit der weit überproportionalen Gewaltkriminalität bestimmter Migrantengruppen befasst. Er erhielt die Einladung, auf einer Tagung über das Thema zu sprechen – und dann, nachdem nimmermüde Wächter das Programm in Augenschein nahmen, die Ausladung.
In keinem der drei Beispiele geht es auch nur mit einem Jota darum, dass die Zielgruppen und -personen der Exklusion keinen Widerspruch vertrügen. Sondern um das exakte Gegenteil: Maßgebliche Kräfte wollen, dass sie offiziösen Ansichten zu Migration und anderen Themen nicht widersprechen, wobei die unerhörte Provokation der Buchmesse in Halle offenbar schon darin besteht, dass sie stattfinden soll. Denn bis jetzt denkt der Veranstalter, die private Messe Halle, nicht daran, auf die Knie zu fallen und Abbitte zu leisten. Aber diese aufgezählten Fälle echter Diskursverhinderung schienen dem neuen Kulturstaatsminister wahrscheinlich als zu heikel. Schließlich machte er sich schon öffentlich Gedanken über die bedrohte Wissenschaftsfreiheit in den USA, schlug ein bisher erwartungsgemäß leerstehendes deutsches „Exil-Harvard“ vor und bemüht sich überhaupt, sich so zu benehmen, dass es ihm gegenüber nur bei sanften Ermahnungen in der Süddeutschen bleibt.
Es gibt eine etwas längere Vorgeschichte der Veranstaltung „Seitenwechsel“, organisiert von Susanne Dagen, Betreiberin des ebenfalls privaten und subventionsfreien Kulturhauses Loschwitz in Dresden. Dagen initiierte 2017 zusammen mit anderen den Aufruf „Charta 2017“, nachdem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schon im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse Stimmung gegen „rechte Verlage“ machte, also Unternehmen, die zu den Kunden der von ihm veranstalteten Messe gehörten. Erwartungsgemäß marschierten linksextreme Plärrtruppen vor den auf diese Weise markierten Ständen auf, um dort stattfindende Veranstaltungen niederzuschreien; nachts drangen Leute mit offenbar problemlosem Zugang in die Hallen ein, um das, was sie für rechte Bücher hielten, zu zerreißen, zu beschmieren und zu stehlen. Man übte also den Merkel-Göring-Eckardtschen „Widerspruch“, auf den die Betroffenen dann so zimperlich reagieren.
Auf der nächsten Buchmesse in Frankfurt erhielten „rechte Verlage“ kollektiv einen Platz in einer Sackgasse zugewiesen, gewissermaßen als Seuchenstation, von der sich das Publikum fernhalten sollte. Könnte es vielleicht auch eine Buchmesse geben, dachten sich Dagen und andere, die nichtlinke Verlage nicht nur beim Kassieren der Standmiete, sondern auch sonst als ganz normale Aussteller behandelt? Eine Messe ohne linke Empörungssturmabteilungen, ohne Staatsgeld und ohne Polit- und sonstige Funktionäre, die mutig vorgedruckte Schilder hochhalten?
In der privatwirtschaftlichen Hallenser Messe fand sie für genau diese Idee einen Partner. Eigentlich könnten sich die Wohlmeinenden jetzt zurücklehnen: Endlich kontaminieren die wenigen abweichlerischen Publikationshäuser die Veranstaltungen in Frankfurt und Leipzig nicht mehr. Nur: Dass sie jetzt eine eigene Messe organisieren und dort womöglich ungehindert ihr Publikum erreichen, erregt und empört sie offenbar noch viel mehr. Flugs fand sich die übliche Allianz staatlicher und halbstaatlicher Verhinderer zusammen.
Zunächst einmal soll in der Stadt die übliche Humptata-Wirsindbunt-Gegenveranstaltung stattfinden, was in Ordnung wäre, wenn sie sich nicht auf Agitprop und öffentliches Geld stützen würde, ohne das in der Niezuvielgesellschaft bekanntlich nichts läuft. Der Mitteldeutsche Rundfunk trommelte in einem Betrag („Viel Kritik an der rechten Buchmesse“) die üblichen Stichwortgeber zusammen, etwa eine Buchhändlerin namens Theresa Donner, die ganz habeckmäßig erklärt: „Die Verbreitung von Lügen, Hass und Hetze hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun.“ Haben sie doch, was Donner selbst sehr eindrücklich demonstriert.
Die Rektorin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein Bettina Erzgräber bekundet ob der Aussicht, es könnten in der Stadt Bücher ausgestellt und verkauft werden, die sie nicht mag, sie sei „fassungslos“. Im MDR heißt es außerdem: „Kritik übte auch Alexander Suckel, Geschäftsführer des Literaturhauses Halle. Suckel hält die geplante Messe für eine ‘Inszenierung‘. Es gehe darum, sich als das ‘vermeintlich Andere, als Alternative zu präsentieren und unter sich zu sein, um damit jedweden Diskussionen aus dem Weg‘ zu gehen.“ Das „vermeintlich andere“, das klingt schon fast so brillant wie Merkels „sogenannter Mainstream“. Was Suckel davon abhält, die Messe zu besuchen und dort seine Meinung zu sagen, verschwieg er gegenüber dem Sender diskret. Wie erwähnt, die einheitsdiverse Gegenveranstaltung genügt aber noch lange nicht. Stadtabgeordnete von der Linken über die Grünen bis zu den Freien Wählern fordern in einem Appell an den Oberbürgermeister, die Buchmesse dürfe unter keinen Umständen stattfinden. In ihrem Manifest heißt es:
„Das Gedankengut, das die sich präsentierenden Verlage verbreiten, ist oftmals menschenfeindlich und umstürzlerisch. Diese Verlage sind Teil extrem rechter Strukturen, die die Demokratie abschaffen wollen und die mit ihren Einnahmen rechte Netzwerke finanzieren. Es ist zu befürchten, dass Halle mit der Etablierung einer solchen Messe, die sich selbst in der Reihe der großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt sieht, Anziehungspunkt rechter Gruppierungen wird. Mindestens in der Zeit der Messe können sich viele Einwohnerinnen und Einwohner, aber auch Touristen in der Stadt nicht sicher fühlen.“
Verleger und Autoren, die mit ihren Tausendseitern als Schlagwaffe Jagd auf Hallenser Bürger und Touristen machen – wer in der mentalen Sonderzone aka Linksmilieu hätte dieses Bild denn nicht sowieso schon vor Augen?
Ein Torsten Hahnel von „Halle gegen rechts – Bündnis für Zivilcourage“, selbstverständlich steuergeldgeschmiert aus dem Topf „Demokratie leben!“ erklärt kurz und bündig, worum es geht: „Wir wollen so viel zivilgesellschaftlichen Druck erzeugen, demokratisch und gewaltfrei, dass die Veranstaltung nicht stattfinden kann“.
Aller Wahrscheinlichkeit nach findet sie doch statt, und zwar als erste Buchmesse des Landes, die Polizeischutz braucht. Wenn sich so genannte rechte Verlage auf den etablierten Buchmessen wie Aussatz behandeln lassen müssen, aber auch keine eigene Veranstaltung organisieren sollen – was kommt dann als nächstes? Ein Gebot zivilgesellschaftlicher und natürlich gewaltfreier Druckmacher an Buchhandlungen, bestimmte Bücher nicht mehr anzubieten? Mahnwächter mit Pappschildern „Zivilgesellschaft, wehr dich“ vor dem Laden, falls sie es doch tun? Auch das täten die couragierten Kämpen ohne das leiseste Zucken, dafür aber mit einem vollumfänglichen Sophie-Scholl-Gefühl.
Die Begründung für die Verhinderung des Vortrags von Benedetti in Dresden über die Islamisierung lautet übrigens, der Mann sei Neofaschist. Der Altertumswissenschaftler, Jahrgang 1986, promovierte an der Goethe-Universität Frankfurt über „Civilitas: Entstehung und Entwicklung eines politischen Begriffs”, der entsprechende Vermerk auf der Universitätsseite ganz ohne Warnschrei könnte der Hochschule womöglich noch einigen Ärger einbringen.
Benedetti schreibt unter anderem für die italienischen Online-Zeitung und Monatszeitschrift Il Primato Nazionale, die wiederum mit der Bewegung „CasaPound Italia“ in Verbindung steht. Ihren Namen leitet die Organisation von dem Dichter Ezra Pound her, zweifellos ein Bewunderer Mussolinis, aber eben auch sehr viel mehr als das. Für seine Texte bewunderten ihn ihrerseits T.S. Eliot, James Joyce und andere. Mit „CasaPound“ verhält es sich ähnlich komplex.
Ihre Mitglieder greifen zum einen auf Versatzstücke des Faschismus Mussolinis zurück, sie zeigten Sympathie für die Gelbwestenproteste in Frankreich, stehen im russisch-ukrainischen Krieg auf der Seite der Ukraine, gaben sich eine zeitlang sehr israelfreundlich, dann wieder nicht. Mit dem deutschen Verständnis von Neofaschismus, also dem etwa der NPD, existiert keine Verbindung. In Benedettis Vortragsthema lauert erst recht nichts Neofaschistisches, es sei denn für Leute, die jeder Kritik an der real voranschreitenden Islamisierung Europas diesen Stempel aufdrücken. Alles in allem wirkt „CasaPound“ weniger radikal als die deutsche Linkspartei, also die Organisation der Nichtmalneokommunisten, die regelmäßig in deutschen Talkshows sitzen.
Tut alles nichts. In seiner Vertragskündigung zu der Veranstaltung schrieb der Geschäftsführer der „Blauen Fabrik“ Holger Knaak an den Organisator Frank Böckelmann, Gründer der Zeitschrift Tumult:
„Valerio Benedetti wird jedoch als „neofaschistischen Autor“ eingestuft und es ist müßig, auf die bereits an uns heran getragenen Fragen und Kritik mit begriffstheoretischen Diskussionen zu antworten. So sehr das im Einzelfall eine sinnvolle Diskussionsebene wäre, ist es schwierig, der Öffentlichkeit und insbesondere dem Förderkreis ALB aber auch unseren Fördermittelgebern zu vermitteln, dass an einem historisch derartig beladenen Ort nun ein ‘neofaschistischer‘ Autor ein Podium bekommen soll. Ich habe dennoch einige Telefonate geführt, um die ‘Stimmung abzutasten‘ und musste feststellen, dass ein Festhalten an dieser Veranstaltung für die Blaue Fabrik problematisch wäre. Ich muss hier leider das Vereinsinteresse voranstellen und daher die Veranstaltung absagen und bitte um Ihr Verständnis.“
Mit anderen Worten: Ich weiß, dass es sich bei der Zuschreibung „neofaschistisch“ um Unfug handelt, aber die Fördermittelgeber, die abgetastete Stimmung – Sie verstehen schon.
Für Frank Urbaniok gibt es bisher noch nicht einmal einen solchen Stempel. In seinem Buch „Schattenseiten der Migration“ stützt er sich zum einen auf die polizeiliche Kriminalstatistik, vor allem aber auf 33 Jahre Berufserfahrung als Forensiker, in denen er 5000 Straftäter begutachtete, davon sehr viele mit Migrationshintergrund. Sowohl mit den Kriminalitätszahlen als auch durch seine Gespräche mit Strafgefangenen zeigt er, dass und warum Migranten aus bestimmten, meist islamisch geprägten Herkunftsländern, gerade bei Gewaltdelikten durch drastische Überrepräsentation auffallen, teilweise um 500 oder 1000 Prozent: Die zentrale Rolle spielen Verachtung für den westlichen, als weich empfundenen Rechtsstaat, die Geringschätzung von Frauen und die Selbstverständlichkeit, mit der sie Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung betrachten.
Der „Deutschlandfunk“ näselte über Urbanioks Buch, es sei eine „methodisch fragwürdige Fleißarbeit“ (weil er behauptet, es gäbe eine Kausalität von kultureller Prägung und Gewaltneigung). Wenn der Autor sich auf Daten von Polizei und Strafvollzug in Deutschland, der Schweiz und Österreich bezieht, bemerkt der DLF-Rezensent: „Urbaniok ist kein Statistiker.“ Berichtet der Forensiker aus seiner fachlichen Begutachtung von 5000 Straftätern, dann handelt es sich nach dem Urteil des ÖRR-Funkers um „anekdotische Evidenz“. Aber wenn es sich so verhält – wäre eine Einladung zu einer Tagung nicht die ideale Gelegenheit, Urbaniok in der Diskussion irgendwelche Fehler nachzuweisen? Er verträgt nämlich durchaus Kritik. Nur bestünde dann die Gefahr, dass er solchen Exegeten wie dem DLF-Kritiker in ihre hauchdünne Wassersuppe spuckt. Genau davor braucht die Öffentlichkeit offenbar Schutz, genauso wie vor marodierenden rechten Autoren und Verlagsmenschen in Halle.
Nach genau diesem Muster läuft die Operation Mundtot schon seit Jahren, besonders seit 2015: Nie, nie, nie geht es um „Widerspruch“. Sondern immer, immer, immer um Verhinderung, Einschüchterung, Ausschluss. Als Uwe Tellkamp in der öffentlichen Debatte im Dresdner Kulturpalast, geführt mit Durs Grünbein, 2018 von der im Kulturbetrieb erwarteten Linie abwich und die Massenmigration nach Deutschland kritisierte, wollte die Zeit wissen: „Wie viel Raum wollen wir diesen Gedanken und deren Verbreitung geben?“ Sachsens damalige Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange erklärte Tellkamps Ansichten zur „Privatmeinung“, was angesichts der SED-Sozialisation der Politikerin wohl heißen sollte: Er hätte sie zuhause äußern können, aber nicht öffentlich. Ein paar Jahre später schrieb Zeit Campus über den als rechts etikettierten Kommunikationsforscher Michael Meyen, Professor an der Universität München: „Warum darf er noch unterrichten?“
Als die Welt am Sonntag 2020 in die Runde fragte, ob man, also Suhrkamp, Tellkamps nächsten Roman veröffentlichen solle und dürfe, entblödete sich Aleida Assmann nicht, ohne auch nur eine Zeile des kommenden Buchs und außerdem nur den Arbeitstitel „Lava“ zu kennen, vom Verlag einen Boykott zu fordern:
„Mit seinem neuen Roman wird der Autor selbst zum Widerstandsaktivisten und mobilisiert gegen den demokratischen Rechtsstaat des wiedervereinigten Deutschlands. Wenn er tut, was der Titel des neuen Romans verspricht, nämlich glühende Lava über das Land zu gießen, dann wird man ihn daran nicht hindern können… Man muss sich allerdings fragen, durch welchen Vulkan, sprich Verlag, diese Lava sich ergießen soll. Es sollte nicht der Suhrkamp-Verlag sein, denn auch Verlage haben ihre Identität und ein Gesicht zu verlieren.“
Friedrich Torberg schrieb einmal in „Tante Jolesch oder der Untergang des Abendlandes in Anekdoten“ über einen Kaffeehausgast, der trotz fehlender intellektueller Mittel immer mitdiskutierte: „Er war einer der Dümmsten.“ So heißt es auch einmal in einer noch zu schreibenden Chronik über Assmann, Göring-Eckardt, die Literaturhaussuckels und andere, wobei es eine ganz spezifische Form der Dummheit betrifft, nämlich die stolz zur Schau getragene Niedertracht. Für die Grünenpolitikerin gilt, wie schon menschenfreundlich oben angedeutet, möglicherweise ein Sonderstatus. Die anderen wissen aber vermutlich sehr gut, was sie tun. Und dass sie es wegen einer umfassenden intellektuellen Insolvenz ihres Betriebs tun müssen.
Sie alle, Politiker, Leute des Apparats, kleine Mitmacher, bilden die Partei der Lüge. Von keinem gewählt, aber trotzdem an vielen Hebeln. Sie handeln aus der Defensive. Dass das Herausekeln bestimmter Verlage aus den bisherigen Messen zu einer eigenen Messe führt, gehört für die Mundtotmacher zu den ganz schlechten Nachrichten. Ein hämischer Verriss im Deutschlandfunk gilt inzwischen weithin als Hinweis, sich das Buch doch einmal näher anzusehen und womöglich sogar zu kaufen. Wenn Katrin Göring-Eckardt die Mär vom widerspruchsängstlichen Rechten zeichnet, weiß jeder, selbst in ihren eigenen Reihen, dass genau das Gegenteil zutrifft.
Jeder taugt zu irgendetwas. Notfalls eben zum Kontraindikator.