„Die SPD hat nichts begriffen“: Unsere NIUS-Autoren analysieren das Wahlergebnis

vor 2 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Die Bundestagswahl ist gelaufen. Die CDU/CSU liebäugelt mit den Sozialdemokraten für eine künftige Regierung. Doch: Ein echter Politikwechsel wird von der Brandmauer-Doktrin verhindert – Ostdeutschland ist quasi abgeschnitten.

So kommentieren unsere NIUS-Autoren den zweiten Morgen nach der Bundestagswahl in unserem wochentags erscheinenden Newsletter:

Ist das die neue Führung der SPD? Wenn ja, dann mangelt es an Reformen.

Von Alexander Kissler

Arbeiterpartei, Volkspartei, Kanzlerpartei: All das war die SPD einmal. All das ist sie nicht mehr. Der störrische Herr Scholz hat ein Land in die Verzweiflung und eine Partei an den Abgrund navigiert. Das Debakel trägt eine Zahl – 16,4 Prozent – und müsste nach allen Gesetzen politischer Arithmetik zur Tabula Rasa führen. Allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung dürfte die SPD keinen Stein auf dem anderen lassen.

Stattdessen phantasiert der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil im Deutschlandfunk, Scholz sei kein schlechter Regierungschef gewesen, „nur die Koalition war äußerst schwierig, und insbesondere ein Partner hat sich so verhalten, dass der ganze Rest in Misskredit geraten ist.“ Gemeint ist die FDP. Damit verlängert Weil die Wahlkampflegende des Olaf Scholz, allein die „Kabale der FDP“ hätten das Ampel-Aus zu verantworten. Scholz will derweil an der Zukunft der SPD mitwirken, und auch Parteichefin Saskia Esken, die beste Wählkämpferin von CDU und AfD, mag nicht vom Amt lassen.

Die deutsche Sozialdemokratie liegt genau wegen solch mangelnder Einsichtsfähigkeit am Boden. Es hätte ihr gutgetan, in der Opposition mit neuen Köpfen und neuen Projekten wieder zu werden, was Sozialisten einmal waren: der Zukunft zugewandt.

Von Julius Böhm

Volker Ulrich hat im Wahlkreis Augsburg Stadt 31 Prozent als Direktkandidat bekommen, 10,5 Prozentpunkte mehr als seine grüne Konkurrentin Claudia Roth – Roth wird im nächsten Bundestag vertreten sein, Ulrich nicht.

Der CSU-Politiker ist eines von 23 Opfern der viel-kritisierten Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung. Er ist einer von 23 Politikern (14 von der CDU, vier von der AfD, drei von der CSU, einer von der SPD), die nicht im Parlament vertreten sein werden, obwohl sie bei ihren Wählern vor Ort gewonnen haben.

Dieses Statement veröffentlichte Ullrich auf X

Ulrich ist entsprechend wütend, schimpft bei X: „Den hart umkämpften Wahlkreis Augsburg habe ich mit 31,1 Prozent und über 10 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen. Und dennoch nicht im Bundestag? Das neue Wahlrecht ist unfair und undemokratisch. Verloren haben vor allem meine Wähler und das Vertrauen in die Demokratie.“

Und recht hat er, denn es ist niemandem zu vermitteln, dass der Kandidat mit den meisten Stimmen nicht in den Bundestag einzieht. Die Union hat sich vorgenommen, das Wahlrecht wieder zu ändern – und das muss auch kommen!

Von Björn Harms

Die alten Volksparteien CDU und SPD verlieren weniger aus ideologischen Gründen ihre Macht, sondern vor allem aus demographischen Gründen. Umso jünger die Wähler, desto mehr fächert sich das Parteiensystem auf. In den jüngeren Ältersgruppen gibt es keine Parteienbindung mehr, wie sie früher üblich war.

Doch machen die Jüngeren nur einen verschwindend geringen Teil der Wahlberechtigten aus, das ist die bittere Nachricht für sie. Ihr Einfluss auf das Ergebnis und damit die Zukunft des Landes ist minimal, verglichen mit der demographischen Macht der älteren Wählerschichten.

Von Ralf Schuler

Die Wahl ist gelaufen. Die Union hat gewonnen. Friedrich Merz wird Kanzler. Mitnichten. Nichts gelaufen.

Als FDP-Chef Christian Lindner 2017 die Koalitionsgespräche mit Grünen und Union platzen ließ, merkte Deutschland zum ersten Mal auf. Koalitionsgespräche waren bis dahin immer eine Art Formsache gewesen. Etwas für politische Feinschmecker, die sich an Spiegelstrichen, vertrackten Zugeständnissen und Ressortzuschnitten erfreuen. Damals zerbrach zum ersten Mal die langweilig-stabil-biedere bundesdeutsche Normalität. Dass eine Partei mit anderen nicht konnte, war schlichtweg nicht vorgesehen.

Auch diesmal fühlt sich der designierte Kanzler Friedrich Merz schon sicher im Kanzleramt und hält die Verhandlungen mit der SPD ganz offensichtlich für eine Formsache. Sie sind es nicht. Die SPD steckt tief in einer Existenzkrise und muss ihrer Basis am Ende der Koalitionsverhandlungen besonders überzeugende Argumente für den Eintritt in eine Regierung mit der Union präsentieren, in der sie in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich verloren hat. Zugeständnisse, die die Union nicht machen kann, wenn sie nicht demnächst von der AfD überrundet werden will.

Nach der Wahl ist vor der Kanzlerwahl. Und die ist noch lange nicht gelaufen.

Von Pauline Voss

Linken-Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek

Die Union lebt noch immer in dem sonderbaren Glauben, die SPD zur Vernunft bekehren und zu einer rationalen Migrationspolitik bewegen zu können: Ausgerechnet das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Wahl soll nun dazu führen, diese Partei vom gesunden Menschenverstand zu überzeugen? Das ist strategisch derart kurzsichtig, dass Merz bisweilen wie ein Anti-Trump erscheint, wie ein No-Deal-Maker.

Die SPD geht geschwächt aus dieser Wahl hervor: Sie verlor 1,1 Millionen Wähler an Linke, BSW und Grüne. Zwar wendeten sich noch mehr ehemalige SPD-Wähler nach rechts, über 1,7 Millionen verloren die Sozialdemokraten an die Union, gut 700.000 an die AfD. Doch dies wird wohl kaum dazu führen, dass die Partei sich den Konservativen annähert. Denn in einer Koalition geht es vor allem darum, an Profil zu gewinnen, um sich vom Bündnispartner abzugrenzen – und das gelingt nicht, wenn man seine Forderungen an den Partner angleicht.

Die größte Konkurrenz für die SPD wird in der kommenden Legislatur die auftrumpfende Linke mit ihrer charmanten Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek sein, die die SPD mit linkspopulistischen Forderungen unter Zugzwang setzen wird.

Eine konsequente Verschärfung der Migrationspolitik wäre ideale Munition für die Linke, um der SPD vorzuwerfen, die linken Ideale zu verraten.

Von Julian Reichelt

Die wohl stolzeste Stunde in der Geschichte unseres Landes schlug am späten Abend des 9. Novembers 1989, als die Berliner Mauer fiel. Dieses monströse Bollwerk, das nichts anderes schützte als gescheiterte politische Ideen, wurde innerhalb einer Nacht von einer unüberwindbaren, real-existierenden Gewissheit zu einem Irrtum der Geschichte.

Von einem Symbol des unmenschlichen Machterhalts zu einem bald schon rasant niedergerissenen Mahnmal für eine unbezwingbare Idee: Nichts und niemand wird aufhalten, was Millionen Menschen frei wählen. Die Lehre aus unserer Geschichte lautet, dass freie Menschen und ihr freier demokratischer Wille nicht hinter Mauern gehören. Nicht hinter Mauern aus Stein und Beton und auch nicht hinter Mauern aus Worten. Umso befremdlicher ist es, dass die CDU und Friedrich Merz die Millionen Ostdeutschen, die mit klarer, vielerorts überwältigender Mehrheit AfD gewählt haben, hinter eine Mauer verbannen wollen. Wie muss es in den Ohren von Millionen Menschen im Osten des Landes klingen, dass sie mit ihren Mehrheitsansichten nun wieder hinter einer Mauer leben sollen?

Natürlich ist eine KOALITION zwischen CDU und AfD zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen unrealistisch. Es ist Zeitverschwendung, sich damit überhaupt zu beschäftigen. Die Mehrheit im Land mag nicht ausdrücklich eine schwarz-blaue Koalition gewählt haben. Davor schrecken sowohl viele CDU-Wähler als auch viele AfD-Wähler zurück.

WAS die Mehrheit aber gewählt hat, sind klare politische Forderungen, die die CDU mit den Stimmen der AfD sofort und problemlos umsetzen könnte – von der Energiepolitik bis zur Migration. Stattdessen aber erklärt Friedrich Merz plötzlich, niemand wolle die Grenzen schließen, um der SPD zu gefallen. Dieser Kleinmut wird nicht bestehen. Der Brandmauerfall ist unausweichlich.

Den ganzen Kommentar finden Sie bei „Achtung, Reichelt!“

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