
Eine großangelegte Kampagne der Grünen, in der über 60 Unternehmer ihre Unterstützung für die Wirtschaftspolitik Robert Habecks bekunden, soll suggerieren, dass die deutsche Wirtschaft mehrheitlich hinter dem Kurs von Robert Habeck steht. Doch die Initiative ist weder unabhängig noch repräsentiert sie die deutsche Wirtschaft. Im Gegenteil – es handelt es sich dabei um eine Auftragsarbeit, mit der die Grünen versuchen, sich selber die wirtschaftspolitische Absolution zu erteilen.
Laut aktuellen Politbarometer-Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen sind die Themen Asyl- und Migrationspolitik sowie die Krise der deutschen Wirtschaft die wichtigsten für die Wähler – schlechte Nachrichten also für die Grünen. Denn während sich die Partei im Bereich Asyl und Migration zwischen Realitätsverleugnung und einem naiven Multikulti-Idealismus bewegt, steht Robert Habecks ernüchternde Regierungsbilanz pars pro toto für die Wirtschaftskompetenz der Grünen. Hinzu kommt: Das Vorzeigethema der der Partei, nämlich Umwelt- und Klimaschutz, ist in der Prioritätenliste der Wähler völlig abgestürzt und wird für die meisten Menschen kaum keine Rolle beim Gang zur Wahlurne spielen.
Schwierige Zeiten für grüne Politik also – was man auch daran erkennt, dass die Partei über ihre Kernwählerschaft hinaus keine Wähler zu mobilisieren scheint und seit Monaten bei maximal 14 bis 15 Prozent in den Umfragen steht. Die Zeiten, in denen die Grünen als Agendasetter die anderen Parteien vor sich hertreiben konnten, sind vorerst vorbei. Sie besitzen kein einziges relevantes Alleinstellungsmerkmal mehr, stattdessen müssen sie auf allen Feldern anderen hinterherlaufen: Das Thema der Asyl- und Migrationspolitik ist von der AfD und seit neuestem wieder prominent von den Unionsparteien besetzt, soziale Gerechtigkeit wird eher mit SPD, BSW oder der jüngst erstarkten Linken in Verbindung gebracht und Wirtschaftspolitik ist das Steckenpferd von FDP und Union.
Die Grünen stehen in diesem Umfeld auf verlorenen Posten. Versuche, links oder rechts zu Punkten – etwa mit Habecks Vorschlag,Kapitalerträge mit Sozialabgaben zu belegen oder sein „Zehn Punkte Plan für eine bessere Sicherheit“ – verlaufen ziemlich im Sande oder gingen gar, wie im Fall seines von der Partei kastrierten 10-Punkte-Plans, nach hinten los.
Im Bereich der Wirtschaftspolitik sollte in der letzten Woche dann eine großangelegte Kampagne von mehr als 60 Unternehmern und Managern dem festgefahrenen Wahlkampf Habecks neuen Schwung verleihen. Unter dem Titel „Mut, Vernunft und Weitsicht“ hat die Partei öffentlichkeitswirksam sowohl auf ihrer Webseite, als auch ihren Social Media-Auftritten bei Instagram und X eine Initiative von „65 Persönlichkeiten aus der Wirtschaft“ verbreitet, die sich für eine Fortsetzung von Habecks Wirtschaftspolitik ausspricht.
Darin heißt es unter anderem: „Unter schwierigsten Bedingungen hat Robert Habeck begonnen, den Reformstau vergangener Regierungen zu beseitigen und die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland zu schaffen. Dieser Kurs muss fortgesetzt werden, für ein leistungsfähiges und modernes Deutschland. Deshalb unterstützen wir ihn bei der kommenden Bundestagswahl.“ Und in einem Instagram-Posting der Grünen, in dem die Initiative beworben wird, fragt Robert Habeck erst rhetorisch in die Kamera: „Die Wirtschaft steht nicht hinter den Grünen?“, um sich die Frage sogleich selbst zu beantworten: „Die Wirtschaft steht hinter den Grünen!“.
Auch einschlägige Habeck-Fan-Accounts haben die Initiative aufgegriffen und die Botschaft verbreitet: „Habeck hat die Wirtschaft auf seiner Seite!“.Das Motiv ist also klar: Die Grünen versuchen mit dieser Kampagne nicht nur, das hartnäckige Vorurteil ihrer mangelnden Wirtschaftskompetenz anzugreifen, sondern wollen zugleich Robert Habecks Wirtschaftskurs anhand der Stimmen von „über 60 Unternehmer*innen und führende Manager*innen“ als überaus populär ausweisen. Doch wie ist diese Initiative eigentlich Zustandekommen? Und wer sind diese 65 angeblich führenden Persönlichkeiten, die Robert Habeck mit der Gesamtheit der deutschen Wirtschaft verwechselt?
Über das Zustandekommen dieser vermeintlich unabhängigen Initiative verschweigt sich die grüne Partei. Weder auf ihrer Webseite noch in den sozialen Medien wird mit einem Wort transparent gemacht, wie es zu diesem Zusammenschluss gekommen ist. Und das mit gutem Grund: Der gesamte Stil und die Art der Veröffentlichung zielt erkennbar darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei der Initiative um eine eigenständige und unabhängige Idee führender und für die deutsche Wirtschaft repräsentativer Persönlichkeiten handelt.
Doch weit gefehlt. Luis Hanemann, Investor beim globalen Venture Capital Fond und einer der beteiligten 65 Persönlichkeiten, hat in einem LinkedIn-Beitrag diesbezüglich für Aufklärung gesorgt. Hanemann schreibt dort: „Auf Einladung seines [Habecks] Teams wurde ich gebeten mit anderen Unternehmerinnen und Investor*innen bei der Gestaltung seiner Wirtschaftspolitik zu unterstützen. Obwohl ich anfangs gezögert habe – nicht zuletzt, weil viele meiner Geschäftskontakte traditionell CDU- oder FDP-unterstützen – hat mich die Überzeugung motiviert, diese Initiative zu unterstützen.“
Anders als die Inszenierung der Grünen zu suggerieren sucht, handelt es sich also nicht um eine unabhängige Initiative aus der Mitte der deutschen Wirtschaft heraus, sondern im Gegenteil um eine Auftragsarbeit eigens ausgewählter und Grünen-naher Wirtschaftsakteure im Dienste Robert Habecks.
Deutlich wird das auch mit Blick auf die beteiligten Wirtschaftsvertreter. Mit Heike Discher (stellvertretende Vorsitzende), Tatiana Ohm und Thomas Fischer (beide Co-Vorstandsvorsitzende) ist die parteinahe „Wirtschaftsvereinigung der Grünen“ beinahe mit der gesamten Chefetage vertreten. Der Aufbau der 2023 ins Leben gerufene Organisation wurde maßgeblich von den Grünen selbst vorangetrieben – unter anderem mit Hilfe einer „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 120.000 Euro. Der Verein „Lobbycontrol – Initiative für Transparenz und Demokratie“ hat im Zusammenhang mit der Auftaktveranstaltung der Wirtschaftsvereinigung der Grünen in einer Pressemitteilung daher die zu große Nähe der Organisation zur Partei kritisiert.
Konkret führt Lobbycontrol in dem Statement aus, dass es „hoch problematisch“ sei, „wenn die Grünen nun einen eigenen Lobbykanal zu ihren Spitzenpolitiker:innen in Form eines parteinahen Wirtschaftslobbyverbands einrichten“. Und weiter: „Problematisch ist außerdem, dass solche Quasi-Parteiorganisationen, die aber formal unabhängig sind, nicht den Transparenzvorschriften des Parteiengesetzes unterliegen. Dieses sieht u.a. besonders strenge Offenlegungspflichten für die Finanzierung der Partei und der ihr untergeordneten Organisationen vor. Die neue ,Wirtschaftsvereinigung der Grünen‘ kann dies umgehen.“
Doch damit nicht genug: Nicht nur führende Vertreter einer Quasi-Parteiorganisation der Grünen, sondern auch grüne Parteimitglieder selbst sind unter den 65 Unternehmern und Managern, die im Rahmen der Kampagne als das Who-is-Who der deutschen Wirtschaft präsentiert werden. Simone Menne etwa, ehemalige CFO der Lufthansa AG, ist seit 2021 Parteimitglied und hat sich schon damals für eine grüne Regierungsbeteiligung ausgesprochen.
Oder Roland Schüren: Der Bio-Bäcker aus dem nordrhein-Westfälischen Hilden ist ebenfalls bei den Grünen aktiv und lässt sich mit Vorliebe mit Robert Habeck ablichten. Jochen Wermuth hat bei den Grünen in Berlin-Mitte sogar als Direktkandidat für den Bundestag kandidiert und hat sich dabei mit der Idee hervorgetan, für die noch benötigten Energiewende-Investitionen in Höhe von 1,2 Billionen Euro das private Geldvermögen der Deutschen zu „mobilisieren“.
Daneben werden etwa mit Michael Fritz, der nach seinem 27-semestrigen Anglistik- und Geschichtsstudium die NGO „Viva con Aqua“ mitgegründet hat, eine Reihe sogenannter „Sozialunternehmer“ und Gründer linker, meist in Berlin oder Hamburg ansässiger Lifestyle-Marken oder Start-Ups als „führende“ Köpfe der deutschen Wirtschaft angeführt. Zum Beispiel Mirco Wolf Wiegert, der 2003 den Getränkehersteller „fritz-kola“ gegründet hat, der besonders viel Wert auf die Zurschaustellung seiner vorbildlichen politischen Haltung legt, wie eine Reihe öffentlicher Aktionen, ihr Engagement gegen Rechtsextremismus und der auf Fritz-Flaschen abgedruckte Slogan „independent and awake since 2003“ belegen.
Abgerundet wird das Feld der Beteiligten schließlich durch eine Vielzahl an Akteuren, deren Geschäftsmodelle und wirtschaftlicher Erfolg aufs Engste mit der Umsetzung des grünen Wahlprogramms und dem Voranschreiten grüner Transformationsprojekte verbunden sind und die ohne diese überhaupt nicht vorstellbar wären. Hierzu zählen eine ganze Reihe von Klimainvestoren, die sich auf Investments in Unternehmen spezialisiert haben, die Technologien gegen den Klimawandel und zur Dekarbonisierung der Industrie zu entwickeln.
Zur mit Abstand größten Gruppe aber zählen Unternehmer im Dunstkreis der deutschen Energiewende. Neben Peter Schrum, dem Präsidenten des Bundesverbands Regenerative Mobilität e.V, sind es vor allem Unternehmer im Bereich der Wasser-Elektrolyse und erneuerbarer Energien, die sich für den Wirtschaftskurs von Robert Habeck stark machen.
Das alles kann – versetzt man sich in die Perspektive der beteiligten Unternehmer – nicht überraschen. Sich für eine Fortsetzung von Habecks Wirtschaftspolitik und damit für weitere staatliche Interventionen und Subventionen stark zu machen, liegt schließlich in ihrem ureigensten wirtschaftlichen Interesse. Dass sich also überhaupt 65 Unternehmer gefunden haben, die sich mit ihrem Namen für den Kurs von Habeck aussprechen, ist nicht verwunderlich: Jede Wirtschaftspolitik, selbst die schlechteste, bringt immer auch Nutznießer und Profiteure hervor. Sie repräsentieren aber ganz sicher nicht „die Wirtschaft“. Sondern bloß eine Inszenierung der Grünen und Habecks.
Dass der Öffentlichkeit ohne jede Transparenz selbst parteinahe Wirtschaftslobbyisten und Parteimitglieder als unabhängige Stimmen aus der Wirtschaft verkauft und ein dichtes Geflecht an Energiewende-Unternehmern bewusst als Querschnitt des deutschen Mittelstandes und der hiesigen Wirtschaft insgesamt hingestellt werden, ist entlarvend.