
Bei all der Aufregung um die Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf, deren Karrieresprung nach Karlsruhe von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vorerst verhindert wurde, geht die zweite von Rot-Grün vorgesehene Verfassungsrichterin etwas unter. Dabei gibt das bisherige Wirken von Ann-Katrin Kaufhold, die Staatsrecht in München lehrt, ausreichend Anlass dafür, ihre Wahl an das höchste deutsche Gericht zu hinterfragen. Denn mit ihr würde eine Verfechterin kompromissloser Klimapolitik die Spielregeln unserer Demokratie mitentscheiden.
Einen Vorgeschmack darauf, wohin das führen kann, gab der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2021. Die Verfassungsrichter interpretierten damals das Staatsziel „Klimaneutralität“ ins Grundgesetz hinein und entzogen es damit der politischen Debatte. Das Parlament, die gewählten Volksvertreter, sollten fortan nur noch über Umsetzungsfragen entscheiden dürfen – die Richtung diktierte Karlsruhe. Dass Deutschland seinen Kohlenstoffdioxid-Ausstoß radikal reduzieren muss, haben die obersten Richter des Landes entschieden.
Ann-Katrin Kaufhold freute sich darüber. Denn es entsprach dem, was ihrer Meinung nach vornehmste Aufgabe der Richterschaft ist: den von Wählerlaunen abhängigen Volksvertretern die Richtung zu weisen. Andere Staatsrechtler waren entsetzt. Doch zu dieser Zeit, vor Ukrainekrieg und Energiekrise, war das Meinungsklima noch so klimabewegt, dass sich kaum einer traute, die grüne Weisheit in roten Roben öffentlich infrage zu stellen.
Einer der wenigen, die den Mut dazu hatten, war Sebastian Müller-Franken von der Philipps-Universität Marburg. Er kritisierte die „grundstürzende Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts in einem ausführlichen Gespräch in Cicero. Kernpunkt seiner Kritik: „Der Bundestag hat nur noch die Funktion, darüber zu entscheiden, in welchem Maße welche Freiheitseinschränkungen vorgenommen werden. Und es müssen gravierende Einschränkungen kommen, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.“
Müller-Franken machte dabei auch auf die strategische Hartnäckigkeit derjenigen aufmerksam, die eine radikale Klimapolitik durchsetzen wollen. „Bisher hatte das Bundesverfassungsgericht bei der Erfüllung des Staatsziels Umweltschutz stets den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont“, erklärte der Staatsrechtler nach dem Klimabeschluss 2021. „Dies war auch der Grund, weshalb die Grünen 2018 versucht haben, den entsprechenden Grundgesetzartikel zu verschärfen.“
Ihr Ziel: „Völkerrechtlich verbindliche Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes sollten künftig alle staatliche Gewalt unmittelbar binden. Diese Verfassungsänderung hat im Bundestag keine Mehrheit gefunden. Ein Jahr später brachten die Grünen ihren Vorschlag erneut vor, wieder ohne Erfolg“, so Müller-Franken. Doch nun habe das Bundesverfassungsgericht das Pariser Klimaabkommen verfassungsrechtlich festgeschrieben und erreiche so das gleiche Ergebnis.
Dies ist das Muster, nach dem die Grünen agieren. Sie versuchen, ihre Ideen zunächst auf demokratischem Weg zu verwirklichen. Doch wenn ihnen das nicht gelingt, weil die Mehrheit der Deutschen nun mal gerne Auto fährt, Fleisch isst und in den Urlaub fliegt, probieren sie es mit Hilfe richterlicher Gewalt.
Das funktioniert nur, wenn man langfristig denkt und die richtigen Positionen frühzeitig besetzt. Deshalb ist die Verfassungsrichterwahl für sie von so großer Bedeutung; während Christdemokraten, die eher den kurzfristigen Machterhalt im Blick haben, die Brisanz solcher Personalentscheidungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen. Dass diesen nun von rot-grüner Seite vorgeworfen wird, mit der Debatte um Brosius-Gersdorf die Politisierung des Bundesverfassungsgerichts zu betreiben, erinnert an den Dieb, der „Haltet den Dieb!“ ruft, um im Getümmel zu entkommen.
Bei Ann-Katrin Kaufhold, der zweiten von Rot-Grün unterstützten Kandidatin für Karlsruhe, wird dieses Kalkül noch viel deutlicher. Denn sie vertritt dezidiert grüne Positionen. Ein Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist die Regulierung des Finanzmarktes – mit dem Ziel, privates Kapital in die richtigen Bahnen zu lenken. „Green Finance – Finanzmärkte im Transformationsprozess“ lautete der Titel eines Vortrags, den Kaufhold 2022 beim „Extremwetterkongress“ hielt und der bei Youtube abzurufen ist.
Darin macht die Juristin deutlich, wie sehr sie der freien Marktwirtschaft misstraut und dass sie, wenn man ihre Argumente zu Ende denkt, dieses Erfolgsmodell der Bundesrepublik durch eine staatlich gesteuerte Klimaplanwirtschaft ersetzen will.
Um zu erklären, wie wichtig es sei, privaten Finanzinstituten strikte Vorgaben zu machen, beschreibt sie ein Dilemma, vor dem man bei jeder langfristigen Investitionsentscheidung steht: Man weiß nicht, was die Zukunft bringt.
Die allermeisten Szenarien gingen davon aus, „dass es möglichst besser heute als morgen einen Übergang zu erneuerbaren Energien geben wird und dass die Produktion von erneuerbaren Energien auf Dauer rentabel sein wird“, sagt Kaufhold. „Es gibt aber auch Szenarien, die entwickelt wurden und die sagen: Erneuerbare Energien sind auf Dauer nicht rentabel. Es wird über Carbon Capture, Aufforstung, unterschiedliche Formen der CO₂-Entnahmen laufen.“ Wenn eine Bank überlege, wem sie den teureren oder den günstigeren Kredit verkaufe, müsse sie sich überlegen: „Welchem Szenario schenke ich denn mehr Glauben?“
Was die Juraprofessorin hier beschreibt, ist das Grundprinzip der freien Marktwirtschaft: Verschiedene Ansätze und Technologien konkurrieren miteinander. Was sich als effizienter erweist, setzt sich durch. Man nennt das Wettbewerb. Doch davon will Kaufhold nichts wissen. Sie will, dass der Staat privaten Kapitalgebern die Entscheidung abnimmt, welche Klimaschutztechnologie sie als wie vielversprechend einschätzen. Denn, so ihre Argumentation, durch diese Entscheidung würden ja womöglich die Erneuerbaren benachteiligt.
„Ich will nicht suggerieren, dass das jemand tut in den Banken, aber nur mal als Beispiel“, beginnt sie entschuldigend ein Gedankenexperiment, das aus Sicht der Grünen wohl einer Gotteslästerung gleichkommt. Wenn also jemand in den Banken sage: „Mir scheint schon plausibel, dass das mit den Erneuerbaren Energien auf Dauer nichts wird. Ich setze auf Carbon Capture“, dann würde das zur Folge haben, dass Kredite für Erneuerbare Energieproduktion nur mit hohen Zinsen vergeben werden und für Carbon-Capture-Technologien mit niedrigen Zinsen. Das bedeutet, so Kaufhold: „Die Entscheidung über das Szenario in der Bank ist aber eine Entscheidung darüber, wie es dann tatsächlich funktioniert, weil die natürlich alle auf Finanzierungsquellen angewiesen sind.“
Die „Entscheidung darüber, wie es dann tatsächlich funktioniert“ dem freien Markt zu überlassen, scheint für Kaufhold eine ungeheuerliche Vorstellung zu sein. Und damit liegt sie voll und ganz auf Linie der Grünen, die für sich die moralische Autorität in Anspruch nehmen, auf Parteitagen, in Hörsälen und Lehrerzimmern zu entscheiden, welche Technologie gut und welche böse ist. Diesem Ansatz ist Deutschland zweieinhalb Jahrzehnte gefolgt und steht deshalb nun vor dem Abgrund des wirtschaftlichen Niedergangs.
Sollten die Bürger irgendwann einmal mehrheitlich zu der Überzeugung gelangen, dass sie der wohlstandsvernichtenden Fixierung auf Windkraft und Solarenergie ein Ende bereiten wollen, wäre es gut, wenn sie ein Parlament wählen könnten, das von Verfassungs wegen dazu in der Lage ist.