
„Ist meine Redezeit zu Ende?“, fragt Robert Habeck. „Ich muss noch zu Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung kommen!“
Am 17. Oktober war Habeck bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) eingeladen, um über „Wettbewerbsfähigkeit, Klimaschutz und Polarisierung“ zu sprechen. Der Minister, eigentlich für Wirtschaft und Klimaschutz zuständig, interessierte sich aber weniger für das Wirtschafts-Thema Wettbewerb oder das Klima-Thema Dekarbonisierung. Was Robert Habeck umtreibt, ist die Polarisierung. Sie ist für ihn, wie fast alles in diesen Tagen, ein Feigenblatt für seinen eigentlichen Kampf: den Kampf gegen die Meinungsfreiheit.
Bei der DGAP erklärte Habeck: „Ich will kein Hehl daraus machen, dass ich glaube, dass diese unregulierte Form von diesen sozialen Medien inzwischen nicht mehr akzeptabel ist.“ Die Polarisierung ist für ihn „nicht einfach nur so ein Schlagwort über den Zustand der Gesellschaft, sondern es ist meiner Ansicht nach ein politischer Auftrag, genau hinzugucken, wie die Polarisierung entsteht. Und wenn sie – und das ist der zweite Punkt über Polarisierung, über den wir reden müssen – wenn sie bewusst eingesetzt wird, um eine Gesellschaft zu destabilisieren, und zumindestens den Gedanken muss man zulassen in dieser Zeit, dann haben wir jeden Grund, uns politisch dagegen zu wehren und diese wehrhafte Demokratie auch bei den sozialen Medien fortzusetzen.“
Von der Freiheit, die das Grundgesetz atmet, hat sich Habeck längst entfernt. Er steht damit nicht allein in seiner grünen Partei. Innerhalb der Grünen hat sich mittlerweile ein Klima etabliert, in dem es vollkommen normal ist, über Eingriffe in die Redefreiheit zu sinnieren. Der sozialistische Impetus der Partei macht auch vor Artikel 5 des Grundgesetzes nicht halt: Wer glaubt, dass der Staat besser wirtschaften kann als Unternehmen, besser erziehen kann als Eltern, der glaubt auch, dass das Denken und Sprechen der Bürger vom Staat kontrolliert und gelenkt werden muss.
Wie eine Drohung klangen die Worte der damaligen grünen Parteivorsitzenden Ricarda Lang im Januar: „Wir müssen in die Umkleidekabinen im Sportverein, wir müssen in die Stammtische in den Kneipen, wir müssen in die Dörfer, wir müssen an alle Orte, wo demokratische Debatten geführt werden, und wir müssen dort für Demokratie einstehen.“
Die Verlautbarungen der Grünen gegen die freie Rede erinnern immer mehr an Orwells „1984“.
Die Idee der staatlichen „Regulierung“, die das ökonomische und das gesellschaftliche Verständnis der Grünen prägt, überträgt der Vizekanzler nun auch auf den öffentlichen Diskurs. Als Vorbild für Regulierung dient ihm ausgerechnet die kommunistische Diktatur China: „Wir können am Ende nicht zulassen als liberale Demokratien, dass Milliardäre, die in den USA Donald Trump unterstützen, mit ihrer Vorstellung von Kommunikation, oder chinesische Technik, die ja in China selbst verboten ist oder reguliert ist, den Diskurs in Europa definiert. Das wäre wirklich blind.“
In wirtschaftlichen Fragen ließ sich in den vergangenen Jahren folgende Paradoxie beobachten: Mit jedem fatalen Eingriff der Grünen in die Freiheit der Märkte, mit jeder klimapolitischen Überregulierung, die zu wirtschaftlichen Verwerfungen führte, schienen diese Eingriffe in die Märkte den Grünen umso dringlicher: Die Folgen der falschen Medizin wurden mit immer mehr falscher Medizin zu lindern versucht.
Dasselbe lässt sich jetzt in Bezug auf die Meinungsfreiheit beobachten: Je repressiver die Grünen in das Meinungsklima eingreifen, desto dringlicher erscheint ihnen selbst dieser Eingriff. Die eigenen Misserfolge bilden dabei eine argumentative Grundlage für die Beschränkung der freien Rede. In seiner Rede bekannte Habeck: „Wenn wir über wirtschaftliche Stabilität reden, reden wir meiner Überzeugung nach über demokratische Stabilität.“ Im Umkehrschluss bedeutet das für ihn, dass Gesellschaften mit einer schwachen Wirtschaft „erst recht anfällig sind oder vielleicht leichte Beute sind für diejenigen, die es mit liberalen Staatsformen nicht so gut meinen.“
Die eigene Misswirtschaft – für die laut den Grünen natürlich der Feind von außen, vornehmlich Russland, verantwortlich ist – bildet den Humus, aus dem der staatliche Übergriff wie selbstverständlich erwächst. So kennt man es seit jeher aus den sozialistischen Bruderstaaten.
Habeck schweben auch konkrete Ideen vor, wie die neue Zensur aussehen soll: „Dafür gibt es jede Menge Möglichkeiten. Vielleicht sind sie noch nicht ausreichend, aber eine scharfe Anwendung des DSA, des Digital Services Act, ist das Mindeste, was wir in Deutschland brauchen.“ Für die Anwendung des DSA sind nicht Ermittlungsbehörden, sondern Organisationen zuständig, im Augenblick nur eine: Der von der Bundesnetzagentur zugelassene Trusted Flagger „REspect“, eine Meldestelle, die unter den Grünen gegründet, finanziert und jetzt auch von oberster Stelle öffentlich angewiesen wurde, „scharf“ durchzugreifen gegen alles, was Habeck als polarisierend erscheint.
Zahlreiche Juristen kritisierten Habecks Aussagen. Der Jurist Joachim Steinhöfel schrieb auf X: „Habeck (‚politische Polemik ist demokratiegefährdend‘) äußerst nicht zum ersten Mal törichte und grundrechtswidrige Positionen. Jetzt will er den Staat zu Angriffen auf die Meinungsfreiheit instrumentalisieren. Kritik an ihm, der Kanzler werden will, ist spaltende Polarisierung.“
Der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner monierte: „Habeck tritt öffentlich für ein staatliches Zensursystem ein. Das hat neue Qualität u. zeigt, dass sich Grüne eben doch, auch wenn sie es vordergründig bestreiten, zu einer autoritären Verbotspartei entwickeln. Man kann nur hoffen, dass sich die Bevölkerung das nicht bieten lässt.“
Dass Habecks Aussagen auf X einen Sturm der Empörung auslösten, ist ein Zeichen dafür, wie intakt die demokratischen Vitalfunktionen des Landes noch sind. Dass die Empörung nahezu ausschließlich auf X stattfindet und jeder, der sich etwa über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk informiert, von Habecks Angriff auf die Meinungsfreiheit nichts mitbekommt, belegt zugleich, warum der Einsatz für die Meinungsfreiheit selten wichtiger war als in diesen Tagen: Denn es ist ebendiese kritische Öffentlichkeit auf X, der Habeck offen den Kampf ansagt.
Der DSA ist nur eines von mehreren Instrumenten, das die Grünen im Jahr des Wahlkampfs 2025 nutzen könnten, um die öffentliche Debatte zu ihren Gunsten zu formen. Wie dankbar die Grünen für dieses europäische Gesetz sind, belegt ein Rückblick in den Februar dieses Jahres. Lisa Paus hatte damals eine Studie zu „Hass im Netz“ vorgestellt. Damals sagte sie jene Sätze, die einen ersten Abgesang auf das Grundrecht freier Rede bildeten: „Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unter der Strafbarkeitsgrenze vorkommt. Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt.“
Lisa Paus im Februar bei der Vorstellung der Studie zu „Hass im Netz“.
Gleich darauf aber, und dies erscheint heute in einem neuen Licht, kam sie auf den DSA zu sprechen, für den sie als „Gesellschaftsministerin“, wie sie sich selbst gerne bezeichnet, zwar nicht zuständig sei. Aber sie könne „klar sagen: wir als Bundesregierung, wir werden da, wo nötig, Gesetze überprüfen und bei Bedarf auch nachjustieren. Mit dem Digital Services Act schaffen wir aber schon heute eine europäisch einheitliche Grundlage, die klare Regeln zum Beispiel zum Prüfen und zum Löschen von Beiträgen enthält, die auch mehr Plattformen in die Pflicht nimmt (...). Und es gibt einen verbindlichen Bußgeldkatalog, empfindliche Geldbußen in Höhe von bis zu 6 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes eines Unternehmens sieht die Verordnung vor.“
Den DSA, der eigentlich für die Verfolgung strafbarer Inhalte im Netz vorgesehen ist, interpretieren die Grünen nun um: In ein Mittel, um Kritiker einzuschüchtern und die Grenze zwischen strafbaren Aussagen und legalen Meinungsäußerungen zu verwischen.
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