Duisburg, Ludwigshafen, Gelsenkirchen: Wie die SPD ihren Status als Arbeiterpartei an die AfD verliert

vor 2 Monaten

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Bildquelle: NiUS

Im Schatten der Zechen und Stahlwerke des Ruhrgebiets, wo der Ruß die Wäsche auf den Leinen schwärzte, war die SPD einst mehr als eine Partei – und das Ruhrgebiet nicht weniger als die „Herzkammer“. In Dortmund, Essen oder Gelsenkirchen polterten Genossen auf Versammlungen, Gewerkschaften galten als Interessenvertretungen des kleinen Mannes und Namen wie August Bebel stellten Legenden dar. Und die Wahlergebnisse der Vergangenheit gaben den Sozialdemokraten recht: Jahrzehntelang färbte die SPD jenen Ruhrpott tiefrot.

Doch Zeiten ändern sich – und die Vorherrschaft der Sozialdemokraten, die inzwischen keine Volkspartei mehr sind und nur etwas mehr als 16 Prozent der Stimmen geholt haben, ist gebrochen. Inzwischen hat die SPD in vielen westdeutschen Wahlbezirken, die traditionell für die Arbeitnehmervertretung standen, massiv an Popularität eingebüßt. Die Partei ist, seien wir ehrlich, für viele keine echte Arbeiterpartei mehr.

Das wird schon beim Blick auf die Analyse der Wählergruppen deutlich: Unter Arbeitern wählen nur noch zwölf Prozent die SPD, wohingegen 37 Prozent jenes Elektorats inzwischen ihr Kreuz bei der AfD setzen. Zwar konnte letztere im Westen kein Direktmandat holen, doch in einigen Wahlkreisen legte die AfD bemerkenswerte Aufholjagden hin – und konnte CDU, aber insbesondere SPD immer näher kommen.

AfD-Stimmanteile nach Tätigkeit

Die SPD ist inzwischen vornehmlich eine Rentnerpartei – und keine Arbeiterpartei mehr.

Die Gründe für diese Verschiebung sind unterschiedlichster Natur, vieles spricht aber dafür, dass die SPD inzwischen als progressive Partei eines großstädtischen Bürgertums sowie als Gewohnheitswahloption von Rentnern wahrgenommen wird; die AfD hingegen immer öfter Arbeitnehmer und wirtschaftlich schwache Menschen auf ihre Seite ziehen kann.

NIUS stellt sieben Beispiele vor, an denen deutlich wird, dass die Sozialdemokratie ihre klassische Wählerschicht immer weniger erreicht:

Ludwigshafen war stets schwarz oder rot, die beiden Parteien holten teilweise mehr als 80 Prozent der Stimmen. Noch 1994 vereinte die SPD 44 Prozent der Stimmen auf sich, 1998 waren es immer noch 40 Prozent. Hinzu kommt: Ludwigshafen war stets eine Stadt mit Zuwanderung sowie Standort der Chemiefabrik BASF – und somit Heimat zehntausender Arbeiter zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am Rhein.

Erstmals hat die AfD die Mehrheit der Zweitstimmen in Ludwigshafen geholt.

Doch gestern schnitt die SPD bei Zweitstimmen nur noch als drittstärkste Kraft ab – mit 20,1 Prozent der Stimmen. Vor ihr: die CDU mit 24,1 Prozent und die AfD mit 24,3 Prozent. Damit ist die AfD in der Industriestadt, einst Heimat von Helmut Kohl, erstmals stärkste Kraft bei den Zweitstimmen.

Duisburg II galt lange als absolute SPD-Hochburg: 2021 holte die SPD hier 37 Prozent der Zweitstimmen mit Kandidat Mahmut Özdemir. In den 90er Jahren dominierte hingegen SPD-Politiker Johannes Pflug (67 Prozent der Erststimmen in Duisburg II), in den 80er-Jahren Günter Schluckebier und in den 70er-Jahren Hermann Spillecke. Teilweise holten diese Urgesteine die absolute Mehrheit – und waren konkurrenzlos. Jener Günter Schluckebier etwa konnte im Wahlkreis Duisburg I, im Schatten der Schlote, im Jahr 1972 70 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Die Ergebnisse für den Wahlkreis Duisburg II

Diesmal aber zeigt sich ein anderes Bild: In Duisburg holte SPD-Mann Mahmut Özdemir zwar mit 33 Prozent der Erststimmen das Direktmandat, allerdings sitzt ihm die AfD zunehmend im Nacken. Ihr Kandidat Sascha Lensing schnitt nur noch etwa 7000 Stimmen hinter Özdemir ab; bei den Zweitstimmen sind AfD und SPD plötzlich (nahezu) gleichauf.

Auch bei NIUS: Fremdland

Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz war stets ein roter SPD-Fleck. Zwischen vielen stationierten Soldaten der US-Militärbasis (etwa in Ramstein), dem Betzenberg und den ohnehin traditionellen Mitte-Links-Wählern holte die SPD zwischen 1960 und 2000 stets mehr als 40 Prozent der Stimmen.

Bei den Zweitstimmen landete die AfD bereits in 7 von 13 Wahlbezirken vor der CDU. Nirgends war die SPD hier stärkste Kraft.

Im Jahr 2025 hat die AfD den rheinland-pfälzischen Politiker Sebastian Münzenmaier vor Ort aufgestellt. Im Vorfeld der Wahl war gemutmaßt worden, dass er den ersten Wahlkreis im Westen für die AfD holen könnte.

Am Ende hat er es nicht erreicht, das Ergebnis ist dennoch bemerkenswert: sieben der 13 Verwaltungsbezirke des Wahlkreises gingen an die AfD. Bei den Zweitstimmen lag die AfD (25,9 Prozent) vor der CDU (24,9) – die SPD landete abgeschlagen auf Platz 3 (20,5). Bei den Erststimmen gewann SPD-Mann Matthias David Mieves – jedoch nur mit 28 Prozent der Stimmen, was das historisch schlechteste Erststimmenergebnis der SPD in Kaiserslautern darstellt.

In keinem westdeutschen Bundesland schnitt die AfD so stark ab wie im Saarland. Im kleinsten Flächenland schoss das AfD-Ergebnis auf fast 22 Prozent hoch. Dabei galt Homburg im Saarland etwa als SPD-Hochburg, traditionell schnitten die Sozialdemokraten hier stark ab. Zwischen 1969 und 2005 ging das Mandat stets an die SPD. Im Anschluss gewann zwar auch die CDU den Wahlkreis zweimal, aber zuletzt, 2021, waren die Sozialdemokraten erneut stärker.

SPD-Kandidat Esra Limbacher gewann zwar den Wahlkreis, inzwischen ist die AfD jedoch nah auf den Fersen der SPD.

Inzwischen ist aus der Vorherrschaft ein Dreikampf geworden: Zwar holte die SPD auch gestern die meisten Erststimmen, doch auch in Homburg wird der „vibe shift“ deutlich: SPD (30,5 Prozent) landet nur noch knapp vor CDU (28,0) – und der AfD (23,4), die sich nahezu verdoppelt. Bei den Zweitstimmen sind die Sozialdemokraten in Homburg bereits abgeschlagen auf Platz 3: Hier gewann die CDU (26,1) vor der AfD (23,7).

Oben im Norden in Bremerhaven, in einem der wirtschaftlich schwächsten Wahlkreise mit hoher Armutsquote, gewann die SPD als Vertretung der Ärmeren der Gesellschaft bei jeder Wahl seit 1949 das Direktmandat. 1972 holte hier Horst Grunenberg, einst Vertrauensmann der IG Metall auf der Seebeck-Werft, 63 Prozent der Stimmen.

Inzwischen hat die AfD aufgeholt – und kommt der SPD gefährlich nahe.

Inzwischen ist die SPD auf weniger als 25 Prozent der Zweitstimmen eingeschrumpft (24,7 Prozent), dicht gefolgt von Union (19,7) und AfD (19,3). Hier zeigt sich, dass auch im eher protestantischen Nordwesten, einem eher schwierigen Pflaster für die AfD, inzwischen mehr als Achtungserfolge erzielt werden. Und: dass die SPD eine wirtschaftlich schwache Klientel nicht mehr automatisch auf ihre Seite zieht.

Erneut Ruhrpott, erneut eine Stadt, die an Armut leidet und als sozial verwahrlost gilt: Gelsenkirchen wird dabei immer mehr zu einer AfD-Hochburg. Bei der gestrigen Bundestagswahl entfielen auf die Rechtspartei 30.032 der Zweitstimmen (24,66 Prozent), auf die SPD 29.342 (24,10 Prozent) und auf die CDU 27.665 Stimmen (22,72 Prozent). Das Direktmandat geht dabei an Markus Töns von der SPD mit etwas mehr als 30 Prozent der Stimmen, aber auch hier hat die AfD bemerkenswerte Geländegewinne erzielt: Friedhelm Rikowski konnte fast 26 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis 122 holen.

Auch ein Blick nach Salzgitter lohnt: Die Stadt im nördlichen Harzvorland besitzt die drittgrößte Industrie Niedersachsens. Jahrelang war der Ort Sinnbild für die malochende Arbeiterschaft in Stahlwerken. Heute sind neben dem Stahlproduzenten Salzgitter AG auch Konzerne wie Bosch, Volkswagen oder MAN in Salzgitter ansässig. Dies wiederum führte unweigerlich dazu, dass hier die SPD jahrelang stark war. Von 1961 bis 2017 holten die Sozialdemokraten hier stets das Direktmandat – und auf Hans-Jürgen Junghans und Wilhelm Schmidt folgte ein gewisser Sigmar Gabriel.

In Salzgitter-Wolfenbüttel konnte AfD-Kandidatin Angela Rudzka 21,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.

Doch auch in der niedersächsischen Stadt musste die SPD ordentlich Federn lassen: Im Wahlkreis Salzgitter-Wolfenbüttel erhielt SPD-Frau Dunja Kreiser das Direktmandat mit 30,6 Prozent der Stimmen vor dem CDU-Kandidaten (28,3). Doch auch hier lässt sich feststellen: Die definitive Aufsteigerin kommt von der AfD. Angela Rudzka konnte 21,3 Prozent der Erst- und Zweitstimmen auf sich vereinen. Wenn man sich auf den Wahlbezirk Salzgitter fokussiert, ist der Vorsprung noch kleiner. Für den traditionell bundesrepublikanisch verankerten Wahlkreis in Niedersachsen ein extrem starkes Ergebnis.

Auch bei NIUS: Haben Sozialdemokraten ausgedient? Warum immer mehr Arbeiter AfD statt SPD wählen

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