
Schon im Januar könnte es katastrophal werden: RWE-Chef Markus Krebber hat vor wenigen Tagen davor gewarnt, dass die Energieversorgung Deutschlands im Januar bei einer Dunkelflaute nicht mehr gewährleistet sein könnte, weil der Energiebedarf größer wäre als der Strombedarf, der importiert werden kann. Viele Menschen fragen sich: Droht dann der Blackout?
NIUS sprach exklusiv mit Energieökonom Dr. Björn Peters und dem ehemaligen Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD). Deutlich wird: Bei Dunkelflauten sind wir auf „Gedeih und Verderb“ (Peters) aufs Ausland angewiesen – aufgrund des Kernkraftausstiegs, der politischer „Vandalismus“ (Peters) gewesen sei. Nötig wäre nun, dass die anstehenden Kohlekraftwerke nicht gemäß Energiwende-Plan abgeschaltet werden, da auch die als Ersatz geplanten Gaskraftwerke erst in einigen Jahren zur Verfügung stünden.
Alarmierend: Unabhängig voneinander kamen beide Energieexperten zu dem Ergebnis, dass im Winter bei Dunkelflauten „großflächige Abschaltungen“ (Vahrenholt) mindestens von Teilen der Industrie drohen.
NIUS: Herr Vahrenholt, wird es zu einem Blackout kommen?
Fritz Vahrenholt: Ein vollständiger Blackout wird wohl nicht eintreten, aber es könnte zu großflächigen Abschaltungen von Industriebetrieben und Stadtteilen in Städten kommen. Jeder hätte wissen können, dass die bisherige Strategie nicht gut gehen kann. Herr Krebber ist nun also auch aufgewacht. Dabei gehört er selbst zu den Hauptverantwortlichen für die aktuelle Lage, da er zugestimmt hat, dass 11 Kohlekraftwerke der RWE im April 2023 vom Netz genommen wurden. Gleiches gilt übrigens auch für das Kernkraftwerk Lingen. Dies hat dazu geführt, dass wir keine gesicherte Energieversorgung mehr haben, wie sich bereits im November gezeigt hat. Deutschland ist nun nicht mehr in der Lage, sich zu jeder Zeit selbst mit Strom zu versorgen und ist auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Im Januar wird es ernst, denn dann braucht Frankreich selbst mehr Strom und wir haben unseren Spitzenbedarf.
Es war ein gemeinsames Vorgehen von Herrn Krebber (RWE), Ministerpräsident Wüst und Bundeswirtschaftsminister Habeck, die entschieden hatten, dass bestehende Grundlast-Kraftwerke nicht mehr benötigt werden. Dabei schaltete Herr Habeck und die Bundesregierung Braun-und Steinkohlekraftwerke ebenso aus wie 6 Kernkraftwerke. RWE bekam für seine Abschaltungen eine Zahlung in Milliardenhöhe aus Steuergeldern. Jetzt erleben wir die Folgen dieser leichtfertigen politischen Entscheidungen. Minister Habeck bleibt allerdings weiterhin bei seinem Glauben, dass der Bau von dreimal so vielen Windkraftanlagen das Problem lösen könnte. Bei Windstille gilt: dreimal Null ist Null. Solche Politiker muss man möglichst weit von den Schalthebeln der Macht fernhalten.
Die jüngsten Äußerungen von Herrn Krebber zeigen für mich zwei Dinge: Erstens wird die Lage nun ernst, und zweitens versucht er, Druck auf die CDU auszuüben, damit diese Habecks Gesetzentwurf zur Subvention neuer Gaskraftwerke zustimmt. Ziel ist es offenbar, Subventionen für neue Gaskraftwerke noch schnell durch den Bundestag zu bringen, wovon RWE profitieren würde. Dies war offenbar alles so geplant – zumindest bis zum kommenden Herbst. Doch angesichts der fehlenden Mehrheit der Regierung wird es schwierig, diese Pläne noch umzusetzen.
Kein Wind, kein Strom.
NIUS: Was würde passieren, wenn Deutschland in einer Dunkelflaute nicht genügend Strom importieren kann?
Vahrenholt: Die Netzbetreiber werden alles tun, um einen Zusammenbruch des Stromnetzes zu verhindern, denn ein Blackout wäre eine Katastrophe. Ein solcher Zustand würde schon nach wenigen Stunden zum Chaos führen und könnte viele, viele Menschenleben kosten. Um dies zu vermeiden, werden große Industriebetriebe wie Aluminiumwerke, Stahlwerke, Raffinerien und andere Großverbraucher vom Netz genommen, um zumindest die Infrastruktur für Haushalte, öffentliche Stromversorgung und die Bahn aufrechtzuerhalten.
Das sendet jedoch ein deutliches Signal an die Welt: In Deutschland ist es nicht mehr sicher zu investieren, da Unternehmen im Winter mit Abschaltungen rechnen müssen. Diese Problematik ist nicht kurzfristig lösbar. Selbst wenn man die nötigen Gaskraftwerke bauen würde, wäre dies erst in vier bis fünf Jahren umsetzbar. Gleichzeitig steigt der Gaspreis zur Zeit massiv an, was die Wirtschaftlichkeit solcher Maßnahmen weiter infrage stellt.
Herr Krebber hätte, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, zumindest vorschlagen können, das Braunkohlekraftwerk Weisweiler nicht wie geplant im Januar 2025 vom Netz zu nehmen. Stattdessen scheint man zuzusehen, wie die Energiepreise steigen, was RWE zugutekommt, da das Unternehmen von hohen Strompreisen profitiert. RWE verkauft Strom an der Börse, und je höher die Preise, desto größer der Gewinn.
Darüber hinaus hat RWE als Hauptaktionär rot-schwarz-grün regierte Kommunen, die in der Energiepolitik von Grünen dominiert werden, was den Kurs des Unternehmens entscheidend beeinflusst. Diese politisch getriebene Richtung, die auf eine vollständige Abkehr von Kohle und Atomkraft setzt, hat massive Auswirkungen auf die deutsche Industrie und die Bevölkerung. Nordrhein- Westfalen, das einstige Industrie - und Energiezentrum Deutschlands wurde unter rot- grün und unter schwarz- grün abgewickelt.
Die geplanten Gaskraftwerke, die als Backup dienen sollen, werden frühestens 2030 fertiggestellt. Bis dahin wird die Versorgungslage durch den kontinuierlichen Rückbau von Kohlekraftwerken weiter verschärft. Parallel dazu soll der Strombedarf durch E-Autos und Wärmepumpen erhöht werden, was die Versorgungssituation zusätzlich belastet – insbesondere in den Wintermonaten, wenn der Bedarf am größten ist.
Diese Strategie, die maßgeblich von den Grünen vorangetrieben wurde und von CDU und SPD unterstützt wird, führt in eine Sackgasse. Müssen erst Krebbers Befürchtungen im Januar eintreten, damit ein Umdenken rechtzeitig erfolgt und der Weg gegen die Wand gestoppt wird.
Markus Krebber (RWE) trat in der Vergangenheit energisch für wetterabhängige Energie ein.
NIUS: Die Gaskraftwerke, die als Reserve vorgesehen sind, werden ja auch nicht in ein paar Monaten fertiggestellt. Das könnte drei bis vier Jahre oder länger dauern.
Vahrenholt: Eher vier bis fünf Jahre. Das heißt, sie sind frühestens 2030 oder 2031 verfügbar. Bis dahin haben wir eine erhebliche Unterversorgung, da weiterhin Kraftwerke abgeschaltet werden. Kohlekraftwerke gehen nach und nach vom Netz – April 2028, Dezember 2028, April 2029, März 2030. Beispielsweise gehen die Weisweiler-Kraftwerke von RWE und andere wie Jänschwalde vom Netz. Bis März 2030 sollen schließlich alle Braunkohlekraftwerke im rheinischen Revier nach den Vereinbarungen der Herren Krebber, Wüst und Habeck stillgelegt sein. Dadurch wird die Versorgungslage noch kritischer.
Gleichzeitig muss man bedenken, dass die Grünen – zusammen mit CDU und SPD – offensichtlich durchgesetzt haben, dass in dieser Übergangszeit zusätzliche Stromverbraucher ans Netz gebracht werden, wie E-Autos und Wärmepumpen. Der Rollout von Wärmepumpen war zentral in Herrn Habecks Heizungsgesetz. Defekte Gasheizungen sollten im ersten Gesetzentwurf nicht mehr durch Gasheizungen ersetzt werden dürfen. Die Umstellung auf Waermepumpen steigert den Strombedarf, insbesondere in der kalten Jahreszeit von Oktober bis März. Eine Dunkelflaute, eine Mangelsituation also, kann aber nicht nur ein paar Tage lang, sondern für zwei bis drei Wochen andauern. So eine Dunkelflaute im Januar mitten im heissen Wahlkampf wird vielen Menschen die Augen öffnen.
Vielleicht erkennen ja die Wahlkämpfer Scholz und Merz, wie zerstörerisch es war, blind den Träumen der Grünen gefolgt zu sein und dabei Deutschlands Kerninteressen – industrielle Arbeitsplätze und wettbewerbsfähige Strompreise – ignoriert zu haben. Aktuell haben wir die höchsten Strompreise weltweit. Das Rheinische Revier, einst ein Energiestandort mit der weltweit höchsten Energie-und Industriedichte, wurde zugunsten einer ideologischen Energiepolitik zerstört. Dabei hätte man das CO₂-Problem technisch lösen können. Denn das Braunkohlekraftwerk Niederaussem hat seit Jahren eine funktionierende CO2-Abscheidung eines Teilstroms des Abgases. Daher meine Forderung : Reaktivierung aller stillgelegten Kohlekraftwerke und ein Sofortprogramm zur CO2-Abscheidung. Die CO2-reduzierten Kraftwerke würden um ein Vielfaches preiswerter Strom produzieren als die grünen Phantastereien vom Wasserstoffstrom.
NIUS: Wie wahrscheinlich ist es, dass Teile der Industrie im Januar abgeschaltet werden müssen?
Vahrenholt: Es gibt noch schlimmere Szenarien: Sollte die Abschaltung von Industriebetrieben nicht ausreichen, könnten Städte reihum abgeschaltet werden – etwa Hamburg-Nord für drei Stunden, dann Hamburg-Wandsbek und so weiter. Vergleichbar mit Kapstadt, wo Stadtteile abwechselnd vom Netz genommen werden, um einen Zusammenbruch zu verhindern. Die Netzbetreiber wie E.ON und die Stadtwerke müssen diese Fehler der Politik ausbaden. Die Mitarbeiter in den Netzzentralen arbeiten rund um die Uhr, um das Netz stabil zu halten. Das kostet immer mehr Geld, im letzten Jahr 4 Milliarden €. Die Wind- und Solarstromerzeuger interessiert das wenig – sie produzieren, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Die Bundesnetzagentur glaubt offenbar, das Problem lösen zu können, indem sie die Produktionszeiten der Industrie an die Wetterlage anpasst. Das ist völlig realitätsfern. Ja, es ist die dümmste Energiepolitik der Welt.
Das Wallstreet Journal kürte einst die deutsche Energiepolitik zur dümmsten der Welt.
Aber Frau Baerbock verkündet in Baku vor den versammelten Industrie-und Entwicklungsländern, dass 2023 15 Kohlekraftwerke in Deutschland abgeschaltet wurden, ohne die Folgen des Strommangels zu erkennen. Die Entwicklungsländer kennen das Problem des Strommangels. Wir müssen es offenbar erst lernen, bevor wir zur Einsicht kommen.
Deutschland hat jetzt die Möglichkeit, bei den nächsten Wahlen im März diese Politik abzuwählen. Es muss endlich Schluss mit der Abschaltung von Kraftwerken sein, solange kein ausreichender Ersatz verfügbar ist. Die zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke und alle Braunkohlekraftwerke müssen weiterbetrieben werden, letztere eventuell mit CO₂-Abscheidungen. Es geht jetzt nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern.
NIUS: In der Vergangenheit hieß es, dass man wetterabhängige Energie speichern könne, um auch in Dunkelflauten auf sie zurückgreifen zu können. Wie beurteilen Sie die das Thema Energiespeicher?
Vahrenholt: Es gibt so gut wie keine Energiespeicher in Deutschland – sie reichen heute für etwa 30 Minuten. Der Ausbau wäre extrem teuer. Die Akademie der Technikwissenschaften hat berechnet, dass das unerschwinglich ist. Für Haushalte mag eine Batterielösung sinnvoll sein, um Energie für einige Stunden zu speichern. Aber 75 % des Stromverbrauchs entfallen auf Industrie, Gewerbe und Bahn, die rund um die Uhr versorgt werden müssen – und zwar zu wettbewerbsfähigen Preisen. In Ländern wie China oder den USA kostet Strom ein Drittel dessen, was er in Deutschland kostet. Produkte wie Metalle, Glas, Papier oder Kunststoffe aus Deutschland werden dadurch nicht mehr konkurrenzfähig.
NIUS: Was mich zu der abschließenden Frage führt: Wird es „grünen Stahl“ geben, also Stahl, der mithilfe von Wasserstoff emissionsfrei hergestellt wird?
Vahrenholt: Grüner Stahl, wie er derzeit geplant ist, wird es nur geben, wenn er hoch subventioniert wird – und genau das geschieht bereits. Mit genügend Geld kann man vieles erreichen.
16.09.24: Nationaler Stahlgipfel in der Duisburg Mercator-Halle: Robert Habeck (Grüne) verspricht „grünen Stahl“.
Das Problem ist doch: Wir haben bereits ein erhebliches Defizit im Bundeshaushalt – es fehlen rund 20 Milliarden Euro. Diese 20 Milliarden kosten uns allein schon die Ausgleichszahlungen für Solar- und Windstrom. Wenn zu viel Strom produziert wird, sinkt der Strompreis, und die Differenz zur fest zugesagten Einspeisevergütung wird aus dem Bundeshaushalt beglichen. Das ist einer der Gründe, warum uns diese Lücke bereits jetzt belastet. Das war auch ein wesentlicher Faktor für das Platzen der Koalition. Und wie man in so einer Situation glauben kann, eine ganze Industrie ähnlich wie in der DDR subventionieren zu können, ist mir unbegreiflich. Hier sprechen wir von zusätzlichen 50 bis 100 Milliarden Euro jährlich, die notwendig wären. Natürlich kann man mit so viel Geld alles „grün“ machen. Aber dann bleibt nichts mehr übrig, um soziale Aufgaben oder die Verteidigungsausgaben zu finanzieren. Es bleibt nichts mehr, um Hochschulen, Schulen, Bildung oder Infrastruktur zu fördern. Und genau dieser Weg führt uns in den Weg zu einem Entwicklungsland. Aber ich bin sicher: das werden die Deutschen nicht zulassen. Sie werden diejenigen abwählen, die uns in so grosse Schwierigkeiten gebracht haben.
NIUS: Vielen Dank, Herr Vahrenholt.
Dr. Björn Peters ist Physiker und Energieökonom berät Unternehmen und Politik in energiepolitischen Fragen und steht nach eigenen Angaben für „ökologischen Realismus“.
NIUS: Herr Dr. Peters, wie wahrscheinlich ist ein Blackout?
Peters: Das ist keine einfache Frage. Wir sind aus einer Konstellation gekommen, wo wir jederzeit, selbst im Winter, Strom exportieren konnten. Und jetzt haben wir in einem Akt von Vandalismus – man kann es nicht anders nennen – reihenweise Kraftwerke abgeschaltet, ohne etwas zuverlässig Funktionierendes neu anzuschalten und aufzubauen. Wir sind damit zum Stromimportland geworden. Gerade in Dunkelflauten zeigt sich die Problematik. Am 6. November hatten wir mit , gerade mal 44 Megawatt an eingespeister Windleistung ein Rekordminimum Von den fast 80.000 Megawatt, die installiert sind, sind dies gerade mal 0,06 Prozent. In solch einer Situation hängen wir auf Gedeih und Verderb davon ab, dass die Nachbarn uns mit Strom beliefern können – und das ist immer ungewiss.
NIUS: Wenn dieser 6. November Mitte Januar stattgefunden hätte, an einem Tag mit Spitzenlast, was wäre dann passiert?
Peters: Dann hätten etwa 10 bis 20 Gigawatt gefehlt. Ich habe die genauen Zahlen noch nicht gesehen, aber bei deutlich höherem Stromverbrauch, werden dann auch die Interkonnektoren [Strom-Verbindungsleitungen ins Ausland] an ihre Grenzen kommen. Und vielleicht hätten die Nachbarn gesagt: Wir können nicht so viel nach Deutschland verkaufen. Wir brauchen den Strom jetzt für uns selbst. Auch das ist möglich. In dem Fall hätten die Netzbetreiber reagieren müssen und ausgewählte Netzzellen von der Stromversorgung abklemmen müssen.
NIUS: Es gab in der Diskussion von Markus Krebbers' LinkedIn-Beitrag den Einwand, wonach der Kraftwerkpark Deutschland groß genug wäre; dass also selbst im Fall, dass Deutschland keinen Strom importieren könnte, genug eigene Kapazitäten vorhanden gewesen wären. Wie begegnen Sie dem?
Peters: Eine solche theoretische Betrachtung lässt die Netztopografie außer Acht. Wir brauchen an jeder Stelle genügend Deckung der lokalen Nachfrage. Es reicht nicht, dass wir noch Reservekraftwerke im Süden stehen haben, wenn im üblicherweise windstarken Norden ein „Loch gestopft“ werden muss. Es reicht dann nicht mehr, weil man Strom in einem begrenzten Stromnetz nicht beliebig transportieren kann. Wir hatten früher eine dezentrale Energieversorgung. Das hieß, dass die großen Kraftwerke bei den großen Verbrauchern standen, den großen industriellen Ballungszentren, und die mittelgroßen Kraftwerke standen bei den mittelgroßen Verbrauchern. Dann gab es noch ein paar kleine, die auch noch ihren Beitrag geleistet haben. Und das alles zerstören wir derzeit.
Wir haben sehr viele Großkraftwerke herausgenommen, insbesondere die großen Kohle- und Kernkraftwerke. Moorburg ist ein solcher Fall für Hamburg. Wie das dort weitergehen soll, steht in den Sternen. Und weil dann auch gleichzeitig noch das Kernkraftwerk Brokdorf abgeschaltet wurde, ohne für adäquaten Ersatz zu sorgen. Dass man theoretisch auf dem Papier in irgendeiner Kraftwerksliste nachschauen kann, dass theoretisch noch Kapazitäten da gewesen wären, ist irreführend. Wenn ein solches Kraftwerk beispielsweise im bayerischen Rosenheim steht, dann bringt das halt nichts, wenn der Strom in Kiel gebraucht wird.
10.11.24: Das gesprengte Steinkohlekraftwerk Moorburg, ehemals Vattenfall
NIUS: Für die Industrie sind Stromausfälle nachhaltig schädlich, nicht wahr? Wenn man eine Fabrik einfach abschaltet, dann gehen Dinge einfach kaputt.
Peters: Richtig. Wenn man komplexe Werkstücke anfertigt, kann sogar ein Stromausfall von nur einer Minute Dauer dazu führen, dass alle Systeme abstürzen und Sie die computergesteuerte Werkzeugmaschine in bis zu drei Tagen komplett neu konfigurieren müssen. Wenn bei Stromausfall gerade der Fräskopf mitten im Werkstück steckt, kann sogar die Maschine physischen Schaden erleiden. Das Werkstück können Sie schon einmal wegschmeißen. Das kann schon einmal hunderttausende Euro kosten, ein enormer Verlust. Im Bewusstsein dessen hatte Stromversorgungssicherheit früher Verfassungsrang. Und genau damit wird nun gezündelt. Der Preis eines zwar unwahrscheinlichen aber doch möglichen, Stromausfalls wird sehr, sehr hoch sein.
NIUS: Was ist der Grundfehler der Energiewende?
Peters: Der Grundfehler besteht darin, dass wir uns anmaßen, ein neues Energieversorgungssystem aufzubauen. Und bevor es da ist, das alte schon abzuschalten. Der richtige Weg wäre, das Neue aufzubauen, und dann irgendwann mal den großen Schalter umzulegen und zu sagen: So, jetzt probieren wir das mal eine Weile und dann können wir vielleicht das Alte irgendwann abschalten. Wir gehen den gegensätzlichen Weg: Wir haben den Atomausstieg und das Kohleausstiegsgesetz. Wir schalten ganz viel ab und demolieren es dann auch noch gleich. Der Aufschrei war bisher sehr verhalten, weil man wusste, wir haben Überkapazitäten, wir können uns eine solch destruktive Politik eine Weile lang leisten. Mittlerweile sind wir aber an einem Punkt, wo wir strukturell unsere Versorgungssicherheit nicht mehr in allen Netzsituationen aufrechterhalten können. Wir brauchen deswegen dringend das Ausland. Aber ob Nachbarn immer liefern können? Auch bei denen kann etwas schiefgehen. Es ist ein extrem gefährliches Vabanquespiel, denn bei einem großflächigen Stromausfall gibt es Tote. Wir spielen mit dem Leben der Bürger.
NIUS: Wenn ich mir das alles anhöre, komme ich zu dem Schluss, dass die Voraussetzung der deutschen Energiewende darin besteht, dass das Ausland keine Energiewende vollzieht – sehe ich das richtig?
Peters: Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn alle Länder beispielsweise auf Windkraft setzen würden, dann stünden wir vor einem erheblichen Problem. Deutschland ist schließlich keine Insel, sondern Teil eines vergleichsweise kleinen Kontinents. Auf diesem produzieren alle Windkraftanlagen gleichzeitig Strom – oder stehen eben still. Das bedeutet, wenn auch das Ausland eine ähnliche Strategie verfolgt, würden wir uns in Zeiten von Windflauten noch stärker gegenseitig belasten und möglicherweise sogar um Strom konkurrieren.
Es gibt übrigens noch ein anderes, großes Problem mit unserer Strategie: Wenn Windkraftanlagen stillstehen, bedeutet das nicht, dass sie keinen Strom verbrauchen. Im Gegenteil, sie haben einen Eigenstrombedarf – je nach Bedingungen, etwa ob die Rotorblätter beheizt werden müssen, um Vereisung zu verhindern. Dieser Eigenverbrauch liegt zwischen 20 und 80 Kilowatt pro Anlage. Wenn man das auf etwa 30.000 Anlagen hochrechnet, summiert sich das auf über ein Gigawatt Strombedarf. Und das gerade in Situationen, wie der sogenannten Dunkelflaute, in denen ohnehin kaum Strom zur Verfügung steht. Das ist ein zusätzlicher Belastungsfaktor, der etwa der Größe einer großen Industrieanlage wie einer Aluminiumhütte entspricht.
NIUS: Vielen Dank für das Gespräch!
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