
Neun EU-Führer, darunter Giorgia Meloni, Donald Tusk und Mette Frederiksen, haben eine flexiblere Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention gefordert, um die Ausweisung krimineller Migranten zu ermöglichen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe den Anwendungsbereich der Konvention „zu weit ausgedehnt – über die ursprünglichen Absichten hinaus“, erklärten die Regierungschefs in einem gemeinsamen Schreiben vom 22. Mai.
Die Gruppe, angeführt von Italiens Giorgia Meloni und Dänemarks Mette Frederiksen, betonte, „dass die Auslegung des Gerichtshofs ihre Möglichkeiten einschränke, politische Entscheidungen in ihren eigenen Demokratien zu treffen – und damit auch unsere Fähigkeit beeinflusst, unsere demokratischen Gesellschaften und Bevölkerungen zu schützen.“
Weitere Unterzeichner des Schreibens waren Polens Donald Tusk, Belgiens Bart De Wever, Tschechiens Premierminister Petr Fiala, Estlands Premierminister Kristen Michal und Lettlands Premierministerin Evika Siliņa sowie Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker und Litauens Präsident Gitanas Nausėda.
„Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seine Auslegung der EMRK weiterentwickelt“, erklärten sie. Doch zugleich habe sich „die Welt grundlegend verändert, seit viele unserer Ideen in der Asche der großen Kriege entstanden sind.“
Inzwischen werde die Konvention so ausgelegt, dass sie die Ausweisung krimineller Ausländer verhindere, die Kontrolle der Staaten über Abschiebungen einschränke und letztlich die Falschen schütze – zulasten anderer, so die Staats- und Regierungschefs. Dadurch sei das Gleichgewicht verloren gegangen – zwischen dem Schutz der Schwächsten, einschließlich der eigenen Bürger, und dem Schutz von Straftätern.
Staaten sollten mehr Ermessensspielraum bei der Ausweisung krimineller ausländischer Staatsangehöriger haben – insbesondere bei schweren, gewalttätigen oder drogenbezogenen Straftaten, erklärten sie. Zudem forderten sie mehr Möglichkeiten, ausländische Straftäter zu überwachen, die trotz kriminellen Verhaltens nicht abgeschoben werden können – obwohl sie die Gastfreundschaft ihrer Aufnahmeländer ausnutzen und die öffentliche Sicherheit gefährden.
Schließlich verlangten sie Befugnisse, entschlossen gegen feindliche Staaten vorzugehen, die demokratische Werte als Druckmittel missbrauchen – etwa indem sie Migration als Waffe an den Außengrenzen einsetzen, wie es etwa der türkische Präsident Recep Erdoğan tue. „Uns ist bewusst, dass dies eine sensible Diskussion ist. Obwohl unser Ziel der Schutz unserer Demokratien ist, wird man uns vermutlich das Gegenteil vorwerfen“, erklärten die neun europäischen Staats- und Regierungschefs. „In aller Bescheidenheit glauben wir jedoch, dass unser Ansatz mit der Haltung der Mehrheit der europäischen Bürger übereinstimmt“, fügten sie hinzu.
Die Idee zu dem Schreiben entstand in der Vorwoche in Albanien beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Italien und Dänemark hatten vorgeschlagen, ein Schreiben zu entwerfen, um Hürden zu beseitigen, die Regierungen bei der Bekämpfung illegaler Migration und Kriminalität im Weg stehen.
„Wenn rechtliche Auslegungen dauerhaft mit dem Gerechtigkeitsempfinden und der Realität vor Ort kollidieren, gerät die Unterstützung für den Rechtsstaat selbst in Gefahr“, sagte Belgiens Asyl- und Migrationsministerin Anneleen Van Bossuyt (N-VA) gegenüber dem Nachrichtenportal De Morgen.
„Deshalb unterstützt Belgien diesen Aufruf – nicht, um Menschenrechte auszuhöhlen, sondern um das Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten wiederherzustellen. Wir fordern keinen Blankoscheck – wir fordern die Möglichkeit, das zu schützen, was wesentlich ist: die Sicherheit unserer Bürger“, erklärte sie.
Andere zeigten sich mit dem Vorstoß der neun Staats- und Regierungschefs nicht einverstanden. Der Fraktionsvorsitzende der belgischen Sozialistischen Partei, Pierre-Yves Dermagne, bezeichnete das Schreiben als „beispiellosen Angriff auf eines der höchsten Gerichte Europas“.
„Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist ein Leuchtturm, ein unverzichtbarer Anker in einer Zeit, in der die extreme Rechte die Grundlagen unserer Demokratie untergräbt. Statt unsere Sicherheit zu stärken, schwächt dieses Schreiben den Rechtsstaat“, sagte er.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Brussels Signal erschienen.