
Enbiya Yildirim sitzt im Obersten Religionsrat der türkischen Religionsbehörde Diyanet, ist angeblich Doktor und Professor. In seinem kurzen Selbstporträt auf der Online-Plattform X schreibt er: „Stellt die Ummah an die erste Stelle. Ist bestrebt, die Reihen zu schließen. Mag es, gute Nachrichten aus der islamischen Welt zu überbringen. Möchte, dass wir uns unseren Fehlern stellen. Informiert, indem er verschiedene Lesungen veranstaltet.“ Das klingt sehr klar und stromlinienförmig, wie ein politischer Berater eben sein muss, um das Maximum für seine „Partei“ herauszuholen. Enbiya Yildirims Partei ist der Islam.
Den Hamas-Gründer Scheich Yasin feiert Yildirim schon mal als „Helden“, den kürzlich getöteten Hamas-Führer und Planer des Terrorangriffs vom 7. Oktober, Yahya Sinwar, als Märtyrer: „Sinwar verkörpert die Ehre der Palästinenser und wird deshalb so sehr geliebt. Ich liebe ihn so sehr.“ Yildirims X-Profil ist voller Anteilnahme an den Geschehnissen im Gazastreifen, deren Auslöser – den grausamen Angriff der Hamas – er dabei nie anspricht. Yildirim glorifiziert die Hamas als Retter unschuldiger Kinderseelen, beleuchtet sie aber nicht als Bringer von Terror, Krieg und Unterdrückung. Wer kann es ihm verdenken, wo doch auch deutsche Regierungspolitiker diesen Zusammenhang gelegentlich vergessen? Etwa wenn sie UNRWA trotz aller Warnungen über deren Kooperation mit der Hamas bezuschussen.
Einer von Yildirims Vorträgen fand am vergangenen Wochenende in Hamburg statt, beim „Bündnis der islamischen Gemeinden in Norddeutschland“ (BIG), einem „Zusammenschluss von 25 Moscheegemeinden in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen“. Yildirim hielt seinen Vortrag in der Yeni-Beyazit-Moschee am Hamburger Nobistor, obwohl Experten genau davor gewarnt hatten. Experten, so muss man klarstellen, die sich etwas mit dem radikalen Islam und seinen Verfechtern auskennen. Denn Yildirims Auftritt beleuchtete nicht nur die engen Beziehungen der norddeutschen Gemeinden zum Erdogan-Regime, sondern auch deren Offenheit gegenüber der Ideologie der Muslimbrüder, die ja auch Erdogan mit der Hamas verbindet.
Auch die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) warb für die Auftritte. Und diese IGMG bleibt, wie noch zu sehen sein wird, ein eigenes Kapitel im Buch des islamischen Extremismus. Im Februar war Yildirim schon einmal Gast im Congress-Center Hamburg, auch da auf Einladung von BIG und dem deutschen Ableger der türkischen Milli-Görüs-Bewegung (türkisch „Nationale Sichtweise“). Die digitalen Spuren dieses Auftritts findet man noch online, die vom neuesten Auftritt in der Beyazit-Moschee scheinen verschwunden zu sein, nachdem dieser stattfand. Das BIG distanzierte sich im Nachhinein wortreich von der letzten Einladung Yildirims, sagte aber auch nicht, welche Äußerungen Yildirims in sozialen Medien man angeblich nicht gekannt haben will. Außerdem ist nur die Rede davon, dass man die Gemeinde andernfalls „rechtzeitig darüber informiert“ hätte. Die BIG-Mitteilung trieft nur so vor Halb- und Unklarheiten. Zwar wurde ein zweiter Vortrag am Sonntag abgesagt, aber das heißt nicht, dass das Verhältnis zwischen BIG und dem Redner sich verschlechtert hätte.
Man muss das noch einmal auffädeln: Es ist also Krieg im Nahen Osten. Die türkische Führung vertritt eine eindeutige Position, steht fest an der Seite des Gazastreifens und der terroristischen Hamas, die dort regiert. Diyanet ist die staatliche türkische Religionsbehörde, der aber nicht nur alle Gemeinden in der Türkei untertan sind (das Wort lohnt sich hier einmal), sondern auch die meisten türkischen Gemeinden der DITIB (=Diyanet İşleri Türk İslam Birliği „Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion“) in Deutschland.
Der Diyanet-Leiter zeichnet auch für die deutschen DITIB-Moscheen verantwortlich – das heißt: Er hat dort das Sagen. Das erklärt, dass auch der norddeutsche Gemeindebund BIG keinerlei Distanz zu Diyanet hat. Er sieht sich übrigens selbst als „Brücke zwischen Menschen und Kulturen“ – wohlgemerkt nicht zwischen Religionen, aber das wäre wohl auch nicht seine Aufgabe als islamischer Kultort. Und eine der intellektuellen Stimmen von Diyanet ist nun offenbar Enbiya Yildirim, der sich für die gesamte „Umma“ (weltweite Gemeinschaft der Muslime) stark macht und offenbar irgendwie verantwortlich fühlt, der die Reihen schließen will und gute Nachrichten nur aus der islamischen Welt erwartet.
Ihre eigentliche Pointe – sozusagen die eingelegte Kirsche auf ihrem Sahnehäubchen – erhält diese Geschichte aber, wenn man ein Teilchen hinzufügt, das die Finanzen der in Deutschland sitzenden Akteure betrifft. Denn auch die norddeutschen Gemeinden mit Hauptsitz in Hamburg haben sich in jenes größere „Bündnis“ eingefügt, das vor allem SPD-Minister gegen „rechte Umtriebe“ in Deutschland und namentlich gegen die AfD errichtet hat. Das Bündnis islamischer Gemeinden in Norddeutschland wird im laufenden Jahr mit mindestens 250.000 Euro über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert. Schon der Projektname „Kamil 3.0“ ist dabei für Außenstehende nicht ganz durchsichtig. Es geht angeblich um „integrative politische Bildungsarbeit“. Schon 2018 und 2019 flossen hier jeweils 130.000 Euro.
Ebenso 250.000 Euro erhielt in diesem Jahr das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut für das fast identisch benannte Projekt „KAMILA“. Es scheint nicht dasselbe zu sein wie „Kamil 3.0“, steht es doch in einer offiziellen Liste direkt darunter. Oder hat man die Doppelung nicht bemerkt? Auch das islamische Bildungsinstitut sitzt in Hamburg und gilt wie die BIG-Gemeinden als milli-görüs-nah. Die BIG-Gemeinden stehen zudem an der Spitze der Kooperationspartner des Instituts, neben Schura Hamburg, einem Islamischen Jugendbund und einem Verein „Muslimische Mädchen“. Außerdem kooperiert das Pädagogisch-Theologische Institut der evangelisch-lutherischen Nordkirche mit dem Bildungsinstitut, und auch die gleichfalls evangelisch-lutherische Jerusalem-Akademie, die sich außerdem für ihre hohe „Kompetenz im christlich-jüdischen Dialog“ lobt.
Aber es sind vor allem das norddeutschen Moscheegemeindenbündnis (BIG) und das Institut, die zusehends miteinander verschwimmen. So bewirbt das BIG auch das Projekt „Al Wasat – Die Mitte“ als sein eigenes, das wiederum vom Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert werde. Aber dasselbe Projekt „Al Wasat“ beansprucht auch das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstitut für sich und stellt klar, dass Projekt und Förderung 2019 endeten. Laut Bundesfamilienministerium („Demokratie leben!“) wurden von 2015 bis 2019 jährlich 130.000 Euro an das Islamische Bildungsinstitut ausgezahlt. Wofür genau? Nach eigenen Angaben für ein „Präventionsprojekt“.
Aber wogegen brauchte es denn Prävention? Offenbar gegen Probleme, die mit muslimischen Jugendlichen auftreten können, wie der Instagram-Feed des Projekts zeigt. Daneben diskutierte ein „Dialog-Gremium“ des Projekts die Themen „Islam, Islamismus und Islamfeindlichkeit in Harburg“. Es war ein Präventionsprojekt gegen den radikalen Islam – ausgerichtet von einem „Institut“ mit Affinitäten zur erdoganistischen Milli Görüs und damit zum legalistischen Dschihadismus, das sich aber selbst offenbar gar nicht radikal findet.
Auf einem Blatt wurde festgehalten oder behauptet: „Fast alle Radikalisierten sind in Deutschland sozialisiert.“ Und vor allem: „Wir brauchen keinen Hammer, sondern einen Werkzeugkasten“. Außerdem wird behauptet, dass „Menschen mit einer guten religiösen Bildung und Verwurzelung in religiösen Traditionen … eher resilient“ seien. So diskutierten Muslime und Nicht-Muslime fünf Jahre lang – auf Steuerzahlerkosten. Auch ein Instawalk unter dem Motto „#diversity #vielfalt #hamburg“ wurde im Sommer 2018 in Hamburg-Harburg unternommen, um dem Projekt Sichtbarkeit zu geben.
Kurz zusammengefasst: Der deutsche Steuerzahler bezahlt via Bundesfamilienministerium, genauer über das Programm „Demokratie leben!“, einen Moscheenverband und das beigeordnete Bildungswerk für ein Präventionsprojekt gegen „Islamismus und Islamfeindlichkeit in Harburg“, nur dass die beiden beteiligten Vereine (BIG und IGMG) tatsächlich in unmittelbarer Nähe der türkischen Religionsbehörde Diyanet, aber auch von Milli Görüs und einem (mittlerweile) „legalistischen“ Extremismus angesiedelt sind (siehe auch gleich noch zu Milli Görüs).
Unter der Kirsche „Demokratieförderung“ liegen also der breit ausgelegte doppelte Tortenboden aus Gemeinden und Bildungswerk, der das „Aufleben“ der „Demokratie“ erst so richtig ermöglicht – indem er militante Hamas-Freunde ins Land holt und diese über den Vorrang der Umma und „gute Nachrichten“ aus der islamischen Welt sprechen lässt. Was der Diyanet-Abgesandte Enbya Yildirim nun wirklich in Hamburg gesagt hat, wissen wir ja nicht. Aber es werden keine Gute-Nacht-Geschichten gewesen sein. Das Bundesfamilienministerium hat das BIG zu einer Stellungnahme aufgefordert und prüft parallel einen ähnlich gelagerten Förderfall. Ob das reicht?
Um das zu ermessen, müssen wir noch etwas tiefer in die fetthaltige Tortenfüllung hineinschauen. Daher noch einige Worte zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG). Sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine Vereinigung mit recht eindeutigen Zielen wichtige Staatsbehörden nach und nach davon überzeugen kann, dass sie eigentlich gar nicht so radikal ist, wie gedacht.
Die ursprünglich in der Türkei entstandene, internationale Mill-Görüs-Bewegung will laut dem aktuellen Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz eine „islamkonforme Ordnung durchsetzen“ und strebt dazu auch in anderen Ländern nach Einflussnahme im politischen Raum. Laut Verfassungsschutz ist die Bewegung die „mit Abstand größte sunnitisch-islamistische Strömung“ in Deutschland mit der IGMG als ihrem wichtigsten Vertreter in Deutschland, der im Bericht ausdrücklich genannt wird. Für die gesamte Bewegung prägend ist demnach noch immer der Einfluss des Gründers Necmettin Erbakan (2011), der zudem politischer Ziehvater von Recep Tayyip Erdogan war. Als gerecht erkannte Erbakan nur jene Ordnungen an, die auf „göttlicher Offenbarung“ gegründet seien, als ungerecht und „nichtig“ hingegen die von Menschen errichteten Ordnungen – wie etwa das Grundgesetz.
Trotz dieser Ursprünge ist es der deutschen Milli-Görüs-Gemeinschaft gelungen, nach und nach aus den Verfassungsschutzberichten mehrerer Länder – vor allem im Norden der Republik – zu verschwinden. So verabschiedeten sich Hamburg, Bremen und Niedersachsen im Jahr 2014 von der Einschätzung, dass die IGMG „eindeutig dem islamistischen Spektrum“ zuzurechnen sei. Dagegen spreche ein „Reformkurs“ der IGMG. Aber eher, als dass die Milli-Görüs-Gemeinschaft sich wirklich reformiert hätte, hat sie ihr äußerliches Vorgehen verändert, und so wagt es auch der aktuelle niedersächsische Bericht noch festzuhalten:
„Das gesamte islamistische Spektrum scheint zunehmend auf eine legalistische Vorgehensweise überzugehen, was zu einem weiteren Verschwimmen der Grenzen zwischen den verschiedenen Organisationen führt. Dies kann als Folge der staatlichen Maßnahmen wie Vereinsverbote und strafrechtliche Ermittlungsverfahren gesehen werden. Mit einer legalistischen Vorgehensweise können Islamisten unterhalb der Eingriffsschwelle der Sicherheitsbehörden agieren. Zudem zeigen langjährig legalistische Akteure, dass sie über eine gute politische und gesellschaftliche Vernetzung verfügen und damit nicht so kritisch gesehen werden wie andere Akteure des islamistischen Spektrums.“ (Verfassungsschutzbericht 2024. Niedersachsen, Seite 223)
2015 folgte der Verfassungsschutz Schleswig-Holstein, wo nun „nicht mehr alle Gliederungen der IGMG als verfassungsfeindlich“ gelten. Auch in NRW verschwand die IGMG seit 2014 aus den Verfassungsschutzberichten. Im aktuellen Hamburger Bericht taucht die Milli-Görüs-Bewegung mit keinem Wort mehr auf. „AKP“ (für die Erdogan-Partei) ist zwar im Abkürzungsverzeichnis definiert, kommt aber im Text nicht vor. Totale Fehlanzeige auch bei Wortkombinationen wie „legalistischer Islamismus“, nur einmal ist von der Muslimbruderschaft die Rede.
Aber auch anderswo gibt es Entwicklungen: In Bayern senkte man das Personenpotential von Milli Görüs im Verfassungsschutzbericht 2024 auf knapp die Hälfte (nur noch 1400 statt 2900 Personen wie in den Jahren zuvor). Man zählte nun nur noch Personen, „welche die extremistische Ideologie aktiv durch Unterstützungshandlungen verbreiten oder aufgrund ihrer herausgehobenen Position innerhalb der Bewegung hierzu in der Lage wären“. Milli Görüs gilt in Bayern wie die Muslimbrüder als antisemitisch.
Im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 heißt es mustergültig, wenn auch nur allgemein formuliert: „Der islamistische Extremismus, auch Islamismus genannt, ist eine auf islamischen Quellen basierende politische Ideologie. Seine Vertreter fassen den Islam als allumfassendes Ordnungssystem auf, das alle Lebensbereiche regelt und das Kollektiv – die islamische ‚Umma‘ (Gemeinschaft) – über das Individuum stellt.“ Das Ziel „aller Islamisten“ bestehe folglich in der „Etablierung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung, in der es keinerlei Trennung von religiöser und politischer Sphäre gibt“: Allah gälte darin „als höchster Souverän, dessen göttliches Gesetz (Scharia) gänzlich anzuwenden ist“ – man sieht gelegentlich Splitter dieser neuen Realität in Deutschland.
Der baden-württembergische Verfassungsschutz sieht „in einem solchen totalitären theokratischen System“ unter anderem „die Meinungsfreiheit, den Minderheitenschutz, das Prinzip der Gewaltenteilung sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter“ nicht mehr als gewährleistet an. „Islamismus und islamistische Strömungen“ seien folglich nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Die Milli-Görüs-Bewegung, die in diesem Bereich eingeordnet ist, hat im Ländle demnach ein Personenpotential von 2.300 und macht damit mehr als die Hälfte des „islamistischen“ Personenpotentials (4.020) aus. Diese Zahlen sind freilich immer nur die Spitze des Eisbergs.
Daneben kommen verschiedene Verfassungsschutzberichte darin überein, dass gerade neuerdings – beim angesprochenen „Verschwimmen“ der verschieden islamisch-extremistischen Strömungen – dem „Feindbild des Judentums bzw. Israels“, auch bekannt als Antisemitismus, eine Schlüsselrolle bei der Kommunikation der Gruppierungen zukommt. Dieses Feindbild habe sich „zum Brückennarrativ zwischen den verschiedenen Strömungen etabliert“, schreibt der niedersächsische Bericht (Seite 45).
Niederländische und österreichische Medien berichten derweil recht eindeutig von einer „radikalisierenden“ (Elsevier) und „anti-integrativen“ Wirkung der Milli-Görüs-Bewegung, so etwa die Wiener Zeitung durch ein Interview mit der deutschen Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter. Die Milli-Görüs-Bewegung versucht demnach, der auslandstürkischen Bevölkerung einzureden, dass sie „als Muslime allen anderen überlegen“ seien und sich nicht „in die säkularen Gesellschaften Europas integrieren“ sollten. Das Ergebnis sei eine „Parallelgesellschaft für hauptsächlich türkische und türkischstämmige Muslime“.
In einer Untersuchung des Historikers Heiko Heinisch von 2017 kam heraus, dass nur zwei von 16 Moscheen die Integration der Gläubigen in die Mehrheitsgesellschaft forderten. Am schlechtesten stand hierbei hingegen die Milli-Görüs-Moschee da, wo laut ORF erstaunliche Prinzipien gepredigt werden: • die prinzipielle Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Werte, • eine islamische Überlegenheit, bis hin zum Weltherrschaftsanspruch, • der notfalls auch gewaltsam durchgesetzt werden soll. Zuvor hatten theologisch geschulte Beobachter mehrmals an den Freitagspredigten teilgenommen und die Kernaussagen der Imame ausgewertet. Etwas ähnliches hat sicher in keiner deutschen Großstadt stattgefunden. Die Ignoranz ist total.