Frankreich versucht sich am Haushalt

vor etwa 8 Stunden

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Frankreich hat sich über lange Zeiten hinweg den Ruf der Unregierbarkeit erarbeitet. Das Land trat in der Vergangenheit immer wieder den Beweis für die These an, dass parlamentarische Demokratien im Prinzip fiskalisch nicht reformierbar seien. Ausgabenkürzungen in den Sozialbudgets führten in der Regel zum sicheren politischen Tod der Initiatoren. In einem Land, das seine Sozialversicherungen zum allverantwortlichen Staat im Staate erhoben hat, ist dies politischer Suizid.

In ihrem Vorkrisenstadium mutieren postmoderne Demokratien zu illusionären Sozialkörpern, deren innerer Friede zu einem großen Teil auf kostspieligen, schuldenfinanzierten Sozialgeschenken beruht. In Frankreich finden daher geplante Kürzungen der Sozialbudgets regelmäßig in brennenden Großstadt-Banlieus ihr verschämtes Ende.

Nächster in der Reihe der politischen Suizidkandidaten ist nun also Premierminister François Bayrou. Dieser hatte dem Parlament am Dienstag ein erstes Paket zur Konsolidierung der maroden Staatsfinanzen vorgelegt. Mit Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro plant er die angedrohten EU-Sanktionen abzuwenden und das Haushaltsdefizit von 6,1 Prozent aus dem vergangenen Jahr auf zunächst 4,6 Prozent im Jahr 2026 zu reduzieren.

Zieht man als Richtmaß der Neuverschuldung eines Staates die längst vergessenen und verwaisten Maastricht-Kriterien zu Rate, so würde Frankreich auch im kommenden Jahr die Marke von drei Prozent deutlich überschreiten. Das Land, das sich zur Befriedung seiner zahlreichen sozialen Krisen, denken Sie an die Migrationsproblematik, eine Staatsquote von 57 Prozent erlaubt, wäre also noch immer weit von fiskalpolitischer Normalität oder ruhigerem Fahrwasser entfernt.

Flankierend zu den geplanten Kürzungen der Sozialbudgets soll bis einschließlich 2026 auf Rentenerhöhungen verzichtet werden. Zudem ist geplant, zwei Feiertage zu streichen, um die Produktivität der darniederliegenden französischen Wirtschaft anzuheben. Aus ökonomischer Sicht wäre wohl eine Politik, die privatwirtschaftliche Investitionen anreizt, das geeignetere Format. Aber wir reden von einer von Brüssel inspirierten Regierung und sollten an dieser Stelle nicht zu viel erwarten.

Auch der öffentliche Dienst soll seinen Beitrag leisten. Ein Drittel der durch Verrentung offenen Beamtenstellen, also etwa 3000, sollen nicht wieder besetzt werden.

Um sein Maßnahmenpaket auf den Weg zu bringen, versucht Bayrou, das zersplitterte Parlament, das in der Vergangenheit jede Reformbemühung paralysierte, mithilfe des Verfassungsartikels 49.3 zu umgehen. Und genau hier entzündete sich unmittelbar der politische Streit, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Blockade der Reform führen wird.

Frankreichs Opposition reagierte auf Premierminister Bayrous Sparprogramm, wie zu erwarten, mit scharfer Ablehnung. Die linke La France Insoumise brandmarkte die Maßnahmen als Angriff auf die soziale Sicherheit und verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf das Einfrieren der Renten und Sozialleistungen. Jean-Luc Mélenchon nannte es „eine Abrechnung mit den Schwächsten“, die soziale Spannungen schüre. Das rechtsnationale Rassemblement National unter Marine Le Pen kritisierte die Steuererhöhungen, etwa auf Gas, Strom und Flugtickets, als Belastung für die Mittelschicht, während Großkonzerne „zu milde“ behandelt würden.

Beide Lager vereint die Empörung über Bayrous Einsatz von Artikel 49.3 – ein „demokratischer Affront“, so Le Pen.

Es ist parteipolitischer Opportunismus, der die Paralyse des Landes auf groteske Weise verfestigt. Jede der Oppositionsparteien wittert in einer Haushaltskrise die Chance auf Neuwahlen und potenziellen Machtzuwachs. In diesem Modus kann das Land die lähmende Polarisierung nicht überwinden und zu einer rationalen Lösung der Haushaltskrise finden.

Klar ist, alle Seiten und soziale Gruppierungen müssten zur Lösung dieser Krise beitragen und zu schmerzhaften Zugeständnissen bereit sein. Es kann angesichts der Dramatik der Schuldenlage des Landes keine Privilegierungen mehr geben. Auf lange Sicht muss der gigantische Staatsapparat zurückgebaut werden – das kennen wir aus Deutschland.

Es ist daher durchaus möglich, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten eine Antwort auf die Frage erhalten werden, wo genau die nächste Staatsschuldenkrise in Europa ihren Ausgang nehmen wird. Und die Wetten stehen nicht schlecht, dass diesmal Paris den ersten Funkenschlag für einen fiskalpolitischen Flächenbrand liefern könnte.

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