Friedrich Merz‘ problematisches Verhältnis zur Meinungsfreiheit

vor 3 Monaten

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CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schreibt regelmäßig eine „MerzMail“. Jeder kann sie beziehen: CDU-Fans, Merz-Follower, CDU-Pflichtabonnenten, CDU-Hasser, politische Gegner, Redaktionen … Bis Ende 2024 gab es insgesamt 234 MerzMails. Mit dem Jahr 2025 hat die CDU eine neue Zählung begonnen: #MerzMail 1/2025, #MerzMail 2/2025 usw.

Nun hat Merz am 12. Januar 2025 die #MerzMail“ Nummer 2/2025 verschickt. Sein Thema diesmal: Freiheit und soziale Medien. Klar, Merz blieb nichts anderes übrig, als auf dieses Thema aufzuspringen. Elon Musk (X) setzte zum großen Unmut Grüner und Linker auf „Community Notes“, und seitdem nun auch noch Mark Zuckerberg (Meta inkl. Facebook, Instagram usw.) angekündigt hat, zukünftig auf den Einsatz sogenannter „Faktenchecker“ verzichten zu wollen, kennt der Furor der „Guten“ kein Halten mehr. Dann plauderte Musk auf seinem X-Space-Kanal auch noch 70 Minuten mit AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel. 150 EU-Beamte haben das Gespräch beobachtet, um herauszufinden, ob es sich hier nicht um einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie „Digital Services Act“ (DSA) und um illegale Wahlkampfhilfe handle. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages will zu dieser Frage seine Einschätzung beitragen. Was wohl alles nicht erfolgt wäre, hätte Musk Robert Habeck zum Gespräch gebeten.

Friedrich Merz hat nun also die Frage, ob „soziale Medien“ kontrolliert werden müssten, in seiner #MerzMail 2/2025 vermeintlich ausgewogen diskursiv, tatsächlich aber sehr einseitig und tendenziös behandelt. Der CDU-Vorsitzende holt ziemlich weit aus, anfangs auch sehr grundsätzlich. Er schreibt: „Demokratie ist Freiheit, nichts anderes.“ (Kursiv im Originaltext). Dann zählt Merz Freiheiten auf: Freiheit der Rede, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Wahlfreiheit, Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit, „ja selbst die Freiheit, nichts zu tun“. Die Freiheit von Lehre und Forschung hat er vergessen. Aber was soll’s – in Zeiten einer an den Universitäten inflationär um sich greifenden „Cancel-Culture“-Unkultur!

Schließlich muss in der MerzMail – idealisierend – der vor rund eineinhalb Jahrhunderten eingerichtete Speakers‘ Corner im Londoner Hyde Park herhalten. Vor allem, weil das britische Unterhaus im November 1955 Regeln aufgestellt hat, was man dort darf und was nicht. Zum Beispiel darf man dort keine Unruhe und keinen Bruch des allgemeinen Friedens auslösen, man darf auch keine Sprache benutzen, die obszön, beleidigend, blasphemisch oder gewaltandrohend ist. Verstöße dagegen würden strafrechtlich geahndet. Merz schreibt dazu: „Aufgeregt hat sich darüber bisher kaum jemand.“

Dann springt Merz in die Jetztzeit: „Speakers Corner, das ist im digitalen Zeitalter Instagram, X, Facebook, TikTok und viele andere Plattformen mehr, auf denen jedermann und jedefrau sagen kann, was er und sie will, lautstark, provokant, skurril, dümmlich, richtig oder falsch über alles und jedes. Der Unterschied zur Hyde Park Corner liegt allein in der Zahl der Speaker und der Zuschauer, beides geht in die mehrstelligen Millionen. Mit der Quantität bekommen die Plattformen allerdings auch eine andere Qualität. Sie beeinflussen die Menschen wirklich, und zwar weltweit, und sie sind allein aufgrund ihrer Reichweite die idealen Plattformen für politische und kommerzielle Werbung, reichweitenstärker als jedes analoge Medium, mit den richtigen Algorithmen auch gezielt einsetzbar auf die Meinungen und Bedürfnisse jeder beliebigen Zielgruppe.“ Naja, die Geister, die man mit dem Digitalisierungs-Hype rief, wird man nun nicht los.

Sodann schlägt sich Merz auf die Seite der Kontrolleure und Zensoren. Er weist die Kritik an einem Rechtsrahmen für Plattformen zurück. Für Merz sind ein solcher Rechtsrahmen und die „Zusammenarbeit mit externen Faktencheck-Redaktionen“ kein Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Hört, hört! Lest, lest!

Dann bemüht Merz das ganze Horrorgemälde, das er offenbar mit Musks und Zuckerbergs Entscheidungen heraufziehen sieht: „grobe Falschmeldungen, KI-generierte, täuschend echt aussehende, aber grob gefälschte Memes mit Aussagen, die der vermeintliche Verfasser nie gemacht hat … Einflussversuche ausländischer Regierungen und ganzer Trollarmeen, die beständig die Plattformen fluten mit Propaganda und Fake News …“

Merz schließt seine Mail mit den Worten: „Wer allerdings dafür plädiert, im digitalen Zeitalter einfach alles zu erlauben, oder wer angesichts der Wucht und Macht der Plattformbetreiber resigniert und alles hinzunehmen bereit ist, der liefert die Meinungsfreiheit binnen kürzester Zeit den Feinden der Meinungsfreiheit aus. Und dann ist es auch um den Rest unserer Demokratie nicht mehr gut bestellt.“

Nein, Merzens Plädoyer für Kontrolle in den sozialen, gewiss oft asozialen Medien, wäre glaubwürdiger, wenn sich Merz den längst enger gezogenen Meinungskorridor in diesem unserem Lande zur Brust genommen hätte, zum Beispiel

Nach zahlreichen Rückruderaktionen und Wendemanövern des Friedrich Merz sollte es auch hier niemanden mehr überraschen oder wundern, dass er sich abermals dem grünen Zeitgeist andient. Schaut man sich Bayern, Berlin, Hessen, Meldestellen-NRW unter Führung von CDU und CSU an, kann man erahnen, dass die Union nicht für die Rückkehr zur Meinungsfreiheit einstehen wird – ganz im Gegenteil.

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