
Schon einmal hatte Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) für schwarz-grünen Wirbel gesorgt, als er im Gespräch mit Sandra Maischberger im vergangenen Dezember nicht ausschloss, dass Grünen-Frontmann Robert Habeck erneut Wirtschaftsminister werden könnte.
Damals, erkennbar genervt von der Debatte über einen von der CSU geforderten kategorischen Ausschluss jeglicher Koalition mit den Grünen, hatte Merz im Eifer des Gefechts zu der Formulierung gegriffen, entscheidend sei nicht der Amtsinhaber, sondern dass es zu einem wirklichen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik komme.
Beim sogenannten „Quadrell“ (RTL) am Sonntag versuchte Merz sich erst gar nicht auf die Frage einzulassen, mit wem er denn nach der Wahl seinen „Politikwechsel“ umsetzen wolle. „Wir führen keinen Koalitionswahlkampf“, lautet die Zauberformel, die etwa so überzeugend klingt wie eine trapsende Nachtigall. Selbstverständlich werde es nach der Wahl Sondierungen mit den Grünen und der SPD geben, so Merz. Über mögliche Koalitionen sollten die Wähler entscheiden – mit der AfD werde er aber „ganz sicher nicht“ zusammenarbeiten. Bemerkenswert: Eine denkbare Kooperation mit der AfD ist, Merz zufolge, dem Votum der Wähler offenbar entzogen.
Die Spitzenkandidaten beim Quadrell.
Über eine andere Frage verschafft die Passage im Kandidaten-Quartett aber wieder keine Klarheit: Könnte Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck nach der Wahl Minister, womöglich sogar wiederum Wirtschaftsminister, werden? Um diese Spekulationen aus der Welt zu bekommen, stellte Merz dann einen Tag später beim Portal Politico klar: „Das ist eine Aufgabe, an der ist er gescheitert in den letzten drei Jahren. (...) Und wer käme denn auf die Idee, einen gescheiterten Bundesminister erneut in ein Ressort zu setzen, dessen Teil er nun wirklich vollkommen untergepflügt hat?“, sagte Merz. Habeck könne „einem reinen Wirtschaftsministerium“ nicht mehr angehören.
Immerhin: Einen Wirtschaftsminister Habeck schließt der CDU-Chef somit für ein mögliches Kabinett unter seiner Führung aus. Alle anderen Ressorts allerdings nicht.
Schon die bisher von der Union nahezu durchgängig bemühte Formel, „mit DIESEN Grünen“ sei eine Zusammenarbeit nicht vorstellbar, ließ gehörigen Spielraum für Interpretationen und etliche Hintertüren sperrangelweit offenstehen. Merz’ jetzige Ankündigung, nach der Wahl Sondierungen mit SPD und Grünen zu führen, ist nur sinnvoll, wenn CDU/CSU zumindest anfangs eine ernsthafte Perspektive für eine Koalition erkennen lassen. Als bloße Poker-Masse werden sich die Grünen nicht missbrauchen lassen und würden sehr rasch aus den Gesprächen aussteigen. Dann wäre Merz auf die SPD als alleinigen Partner angewiesen und damit weitgehend erpressbar, wenn er tatsächlich ins Kanzleramt einziehen will.
Es liegt in der Natur der Dinge, dass jede Partei selbst ihr Spitzenpersonal bestimmt, wenn es tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung kommt. Auf eine Rücksichtnahme gegenüber den Empfindlichkeiten von Unionswählern kann Merz bei den Grünen ganz gewiss nicht setzen. Ganz im Gegenteil: Gerade Parteien, die vom Wähler abgestraft wurden, müssen hinterher gegenüber ihrer Basis besonders strahlende programmatische Ämter-Trophäen vorweisen, um die Selbstfesselung in einem neuen Bündnis mit Gefahr des Profilverlusts zu rechtfertigen.
Als Spitzenkandidat ist Habeck deshalb automatisch mit im Boot, wenn die Grünen an einer neuen Regierung beteiligt sind. Es sei denn, er tritt wegen massiven Stimmenverlusts selbst zurück, was derzeit nicht wahrscheinlich ist. Sollte die Union auf zwei Koalitionspartner angewiesen sein und die SPD gemäß den aktuellen Umfragen stärker abschneiden als die Grünen, würden die Genossen vermutlich den Vizekanzler stellen. Kommt es zu Schwarz-Grün, dürfte der Posten wohl erneut an Habeck fallen. Welches Ressort er dann übernehmen würde, ist zumindest offen. Auf den Berliner Fluren wird vermutet, er strebe das Außenministerium an. Koalitionsverhandlungen haben am Ende aber immer eine eigene Dynamik, die solche Dinge schwer planbar machen.
Erfahrungsgemäß bestehen alle Partner darauf, je nach Wahlergebnis jeweils mindestens ein „starkes“ oder auch Schlüsselressort (Finanzen, Verteidigung, Innen, Justiz) zu erhalten. Fordert eine Partei mehr politisches Gewicht ein, so kann auch ein „schwaches“ Ministerium wie etwa Wirtschaft um zusätzliche Zuständigkeiten aufgewertet werden, wie im Zuge der Ampel-Verhandlungen geschehen. Dass die Grünen sich dieses Profilierungsfeld aus der Hand nehmen lassen, ist wenig wahrscheinlich.
Mit anderen Worten: Wenn es nicht zu einer reinen GroKo aus Union und SPD kommt, stehen die Chancen für eine weitere Amtszeit von Robert Habeck (und Annalena Baerbock) als Bundesminister nicht schlecht. Das Gleiche gilt natürlich erst recht für eine theoretisch denkbare rot-rot-grüne Minderheitsregierung.
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