
Manchmal kann ein Blick von außen bei der Selbsterkenntnis helfen. Ob es der schwarz-roten Koalition aufhilft? Die konservative Regierung in Athen ist sicher nicht perfekt. Premierminister Mitsotakis lässt politische Freunde, Gegner und Journalisten abhören. Und seit vielen Jahren hätte jede griechische Regierung viel drastischer gegen Korruption und Amtsmissbrauch im Lande vorgehen müssen. Aber auf einem Feld verkörpert Griechenland in Europa heute fast schon einen Standard der Vernunft. Es geht um die Migrationspolitik, und dort ist man – ähnlich wie in Polen – zu Zurückweisungen an der EU-Außengrenze bereit.
So hat Athen die Bootsankünfte auf den Ägäisinseln seit 2019 vermindert und auch die löchrige Landgrenze am Evros mit einem Zaun besser verschlossen. Die griechische Regierung tut das aus Eigeninteresse, weil die Leute, die da über die grüne und blaue Grenze kommen, zunächst einmal durch Griechenland wandern, Anträge stellen und die Bevölkerung gegen sich aufbringen.
Die Ampel war sich seit 2021 vollkommen einig darin gewesen, dass „Migration völlig normal ist und es keinen Grund zur Sorge gibt“, heißt es laut Bild in dem Papier. So habe Nancy Faeser im November 2022 in einer Bundestagsrede keinen Zweifel daran gelassen, dass „wir auch in Zukunft viele Nationalitäten aufnehmen“ werden. Die Sozialdemokraten wollen Deutschland bekanntlich zu einem „modernen Einwanderungsland“ umformen, was aber nur heißt, dass sie die illegale Zuwanderung der schwarz-roten Merkel-Zeit weiterlaufen ließen und durch Spurwechsel, Turboeinbürgerung und Chancenaufenthaltsrecht noch aufpreppten. So wurde Illegales scheinlegalisiert. Merz wird das weiterführen, wie seine Beibehaltung von Chancenaufenthalt und verkürzter Einbürgerungsfrist (fünf statt acht Jahre) zeigen.
In Athen vermerkt man außerdem, dass schon die Ampel das „Mandat von Frontex ändern“ wollte, damit die EU-Grenzschutzagentur „auch als Rettungsdienst fungieren kann“. Das passiert freilich längst, sollte also nur offiziell gemacht werden. Längst versteht sich ein Teil der EU-Grenzmitarbeiter als Empfangskomitee für gestrandete Migranten, sucht auch einmal griechische Felszungen nach ihnen ab. Die griechischen Grenzer achten daher zunehmend darauf, dass Frontex nicht mehr unmittelbar in die hoheitlichen Aufgaben eingebunden wird.
Laut dem griechischen Papier hat es im Grunde eine automatische Aufenthaltserlaubnis für alle die gegeben, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen. Das kann man bestätigen, es ließ sich immer ein Grund finden. Das gilt allerdings auch für die Folgejahre seitdem. Nach vier bis sechs Jahren folgt dann jeweils der Familiennachzug.
Und auch die erleichterte Einbürgerung nach fünf oder sogar nur drei Jahren Aufenthalt ist natürlich ein Pullfaktor sondergleichen. Hinzu komme die automatische Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft an in Deutschland geborene Kinder, wenn ein Elternteil auch nur fünf Jahre im Lande weilt. 2023 kam es zu einem neuen Rekord bei den Einbürgerungen: 200.100 wurden es in nur zwölf Monaten. 2022 waren es noch weniger als 70.000 gewesen.
Auch in der aktuellen Lage – angesichts der baldigen Geburt der neuen schwarz-roten Koalition – bleibt das Athener Establishment alarmiert: „Die Deutschen schieben die Schuld für die illegale Migration auf alle, nur nicht auf sich selbst, aber eigentlich sind sie an dem ganzen Schlamassel schuld.“ Friedrich Merz hatte konsequente Zurückweisungen an der deutschen Grenze mit dem ersten Tag seiner Kanzlerschaft fest angekündigt. Inzwischen rudert er zurück, will aber nach wie vor in Gesprächen mit den unmittelbaren Nachbarn sein.
Aber Griechenland ist wohl auch bereit, noch strikter an den eigenen Außengrenzen durchzugreifen. Es erhielt dafür nur in der Vergangenheit immer wieder Schelte aus Brüssel und auch linken Berliner Kreisen. Und das dürfte der eigentliche Grund dieses durchgestochenen Regierungspapiers sein. Athen will Berlin und andere informieren, dass man sicher nicht tatenlos dabei zusehen wird, wie das eigene Land mit einem – noch immer sehr eventuell daherkommenden – Rückstoß von Migranten geflutet wird. Man wird dann darauf bestehen, dass man zumindest in Ägäis und Evros konsequent zurückweisen kann, ohne Kritik aus den nördlichen Kapitalen des Kontinents.
Fürs erste wartet man die Regierungsbildung in Deutschland ab. Erst an deren Ende, wenn auch die Ministerposten besetzt sind und erste Festlegungen gemacht sind, wird Griechenland genauer wissen, wie stark die Pullfaktoren aus Deutschland aufrechterhalten werden und ob neue Belastungen für die Südländer dazukommen. Im Grunde wäre das aber positiv, weil alles, was die Lage in diesem sich integrierenden „Asylsystem“ verschärft, gut ist und eine Veränderung der allgemeinen Marschrichtung bringen kann, die nach wie vor auf eine Ausweitung oder Aufrechterhaltung der illegalen Migration ausgeht.
Derweil haben die Innen- und Migrationsminister der MED5-Staaten (Griechenland, Italien, Malta Spanien und Zypern) auf einem Treffen in Neapel festgehalten, dass freiwillige oder erzwungene Ausreisen – also auch Abschiebungen – der „einzige Weg sind, auf dem das Migrationsmanagement Kohärenz und Effizienz erhalten kann“. Das sind schöne Worte, doch solange Deutschland im Zentrum der EU andere Signale setzt, werden auch die Grenzstaaten im Süden nichts am Migrationsdruck in die EU ändern. Die Ströme laufen ohnehin weitgehend an Griechenland vorbei, durch klandestine Bewegungen und Grenzübertritte.
Dass Abschiebungen durch das beschlossene gemeinsame Asylsystem der EU (GEAS) erleichtert würden, ist ohnehin kaum zu glauben. Der griechische Migrationsminister Makis Voridis drängt schon vor der GEAS-Umsetzung auf mehr Maßnahmen: „Wenn jemand kein Asyl oder keine Aufenthaltsgenehmigung hat und sich weigert, das Land zu verlassen, sollte er verwaltungsmäßig und sogar strafrechtlich eingeschränkt werden. Jeder, der sich illegal im Land aufhält, muss das Land verlassen. Andernfalls kommt es zu einer Freiheitsberaubung.“ Die Migranten müssten also in Abschiebehaft. Viel besser wäre ohne Zweifel, wenn Migranten ohne Chance auf Asyl – die aus anderem Grund in die EU streben – gar nicht erst kämen.