
Wenn Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) – noch ist er nicht gewählt – am Mittwoch zum traditionellen Antrittsbesuch nach Paris und Warschau fliegt, ist er auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere angekommen. Auf der höchsten Karrierestufe, die man als aktiver (nicht nur repräsentativer) Politiker in Deutschland erreichen kann.
Doch während Merz mit seiner Reise die Rückkehr Deutschlands zu Stabilität und europapolitischer Normalität demonstrieren will, demonstriert der Koalitionspartner SPD dem neuen Regierungschef den ersten Großangriff auf seine Partei und seine Person: Mit der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ wenige Stunden vor Regierungswechsel beginnt eine strategische Treibjagd, die die Union deutlich in die Defensive drängt.
Eigentlich war damit zu rechnen, dass die SPD das Thema „Kampf gegen Rechts“ bereits im Wahlkampf gegen die Union ins Feld führt. Nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD Ende Januar im Deutschen Bundestag hatte es erneut Großdemonstrationen in dieser Richtung gegeben, die dem Muster der weitgehend inszenierten Enthüllungen über das „Treffen von Potsdam“ zum Jahresbeginn 2024 folgten. Die Union war damals auf Plakaten und in anderen Beiträgen als „unsicherer Kantonist“ und möglicher „Steigbügelhalter“ für das Wiedererstarken „rechter“, „rechtsextremistischer“ oder gar offen „nationalsozialistischer“ Kräfte verantwortlich gemacht worden. Eine Tonlage, die nach der Bundestagsdebatte im Januar binnen Stunden wieder aufbrandete, interessanterweise jedoch nach der Bundestagswahl während der Koalitionsverhandlungen weniger Aufmerksamkeit erhielt und jetzt wieder mit Wucht auf die Tagesordnung zurückkehrt.
Bei den „Demos gegen Rechts“ demonstrierte die „Zivilgesellschaft“ zusammen mit Linksextremisten gegen die Opposition.
Merz sucht die große, internationale Bühne, doch sein politisches Schicksal wird auf dem Spielfeld im Inland entschieden. Und da ist die Treibjagd längst eröffnet. Wie vermint das Terrain ist, zeigen die ersten Wortmeldungen aus der Union. Er werde das Gutachten des Verfassungsschutzes intensiv prüfen, sagte der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) in der ARD. Man könne die AfD nicht einfach „wegverbieten“, sondern müsse sie „wegregieren“. Der bis vor kurzem von dem CDU-Mann Thomas Haldenwang geführte Verfassungsschutz bringt die Union in einen unangenehmen Bekenntniszwang. Sie muss sich auch in Zukunft mit Blick auf das Gutachten permanent von der AfD abgrenzen, muss sie geradezu pflichtgemäß weiter ausgrenzen und damit – wider besseres Wissen – stärken und gleichzeitig begründen, warum ein Verbotsantrag nicht infrage kommt und sich damit weiter dem Verdacht der Steigbügelhalterei aussetzen.
Thomas Haldenwang (CDU) war von 2018 bis 2024 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Der designierte Vizekanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil kann derweil unschuldig die Schultern zucken und sich darauf verlassen, dass kein anderes Thema so zuverlässig das linke Lager weit über die Grenzen der SPD hinaus bis in die Linke und die Grünen hinein mobilisiert, wie der „Kampf gegen Rechts“. Schon für das kommende Wochenende haben mehrere Bündnisse zu bundesweiten Demonstrationen aufgerufen. Und natürlich ist auch die mediale Flankierung bei dieser Kampagne gesichert.
Darüber hinaus steht die Union auch von innen unter Druck. Das Verständnis für die hohen Hürden eines Parteiverbots ist nicht in allen Teilen der Partei gleich ausgeprägt. So fordert der frühere Ost-Beauftragte Marco Wanderwitz (CDU) seit langem ein AfD-Verbot und sammelte dafür auch Unterschriften. Der frühere Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, ließ sich dieser Tage in einem Gastbeitrag für die Welt ebenfalls in diesem Sinne vernehmen. „Es gibt Momente in der Geschichte, in denen Demokraten Farbe bekennen müssen. Wir erleben einen solchen Moment“, schrieb Kuban. Andere in der Union machen keinen Hehl daraus, dass es darum geht, sich die politische Konkurrenz vom Halse zu schaffen, nachdem alle anderen Methoden (ignorieren, kooperieren, aggressive Angriffe) nicht funktioniert hätten.
Der Union ist das Führen eines offenen Kulturkampfes gegen links-grüne Milieus sichtlich unangenehm, weil sie befürchtet, einen Bruch auch quer durch moderate bürgerliche, großstädtische Klientelen zu riskieren, die beim „Kampf gegen Rechts“ auch regelmäßig mit auf der Straße stehen. Mit dem dauerhaften Hochkochen des AfD-Themas lassen sich CDU und CSU aus Sicht der SPD permanent in der Defensive halten. Außerdem wird eine wie auch immer geartete Kooperation der Union mit der AfD so durchgehend skandalisiert, dass ein Auftrumpfen der Bürgerlichen innerhalb der Koalition oder gar die Drohung mit einem Bruch des Bündnisses unweigerlich in eine Sackgasse zur AfD führt.
„Links ist vorbei“, hatte Friedrich Merz beim Wahlkampf-Abschluss am 22. Februar in München in die johlende Menge gerufen. Ein tiefes Missverständnis. Links legt gerade erst los.
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