Hat Orbán die Opposition in die Falle gelockt?

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Ungarische regierungskritische Portale, westliche Medien und Politiker und gar die EU-Führung selbst waren am Samstag entzückt, weil die Budapester Pride erstens stattgefunden hatte, und zweitens größer war als jemals zuvor. Dabei war sie eigentlich verboten gewesen.

Oder doch nicht? Die Polizei erklärte vor und nach der Demonstration, zu der mehr als 100.000 Teilnehmer kamen, sie sei nach dem jüngst modifizierten Versammlungsgesetz nicht zugelassen. Das Gesetz besagt, dass Versammlungen, die dazu führen könnten, dass Kinder Darstellungen von „abweichender” Sexualität zu Gesicht bekommen, oder zu hören bekommen, unzulässig sind.

Dementsprechend untersagte die Polizei die Versammlung – dreimal. Und dreimal wurde das Verbot im Berufungsverfahren gerichtlich gekippt: Die Polizei habe nicht klar genug gesagt, was genau an der Versammlung die gesunde seelische Entwicklung von Kindern schädigen könnte. Was sie danach jedesmal auch zu erklären versuchte.

Gegen das dritte und letzte Verbot legten die Organisatoren – unter anderem die aus dem Ausland finanzierte „Regenbogen-Stiftung” – keine Berufung mehr ein, insofern gab es keine weitere Gerichtsentscheidung, und deswegen erklärte die Polizei das Verbot für gültig. Sie war dann aber nicht sonderlich präsent, als am nächsten Tag mehr als Hundertausend mit Regenbogenfahnen durch Budapest zogen. Immerhin wurde ein auf einem Spielplatz masturbierender Mann festgenommen.

Mit dabei: Linke/grüne MEPs (Daniel Freund), Greta Thunberg und eine ganze Reihe von EU-Politikern. Da müssen die Reisebudgets einiges hergegeben haben im Kampf gegen das Böse.

Vor der Demo hielt die EU-Kommissarin für Chancengleichheit, Hadja Lahbib, gemeinsam mit Budapests Bürgermeister Gergely Karácsony eine Pressekonferenz, auf der sie eine EU-Offensive für LGBTQ-Rechte ankündigte, in deren Rahmen die Kommission 1,5 Milliarden Euro an Steuergeldern zu verfeuern gedenke, zugunsten von 5.500 NGOs.

Karácsony war die Schlüsselfigur im Budapester Pride-Thriller, für ihn wurde es ein großer politischer Erfolg: Er hatte die Pride schlicht umbenannt in „Budapests Stolz” und daraus eine von der Stadt organisierte „Veranstaltung” gemacht. Also falle sie nicht unter des Versammlungsgesetz, weshalb die Organisatoren auch keine Berufung einlegten gegen das letzte polizeiliche Verbot.

Was nun rechtlich gesehen gilt, die Sichtweise der Polizei oder der Stadt, das wird wohl im Nachhinein zu klären sein. Davon wird abhängen, ob Veranstalter und Teilnehmer, wie im Gesetz vorgesehen, mit Geldstrafen belegt werden.

Politisch gesehen war das Spektakel im Endeffekt gut für Karácsony, eine Ikone der herkömmlichen Linksliberalen in Ungarn. Aber eher schlecht für Oppositionsführer Péter Magyar, den Neuankömmling in der politischen Arena.

Und für Orbán? Katastrophal, so analysieren liberale Beobachter. Hat nicht trotz Verbot eine Riesendemo stattgefunden? Ist das nicht Beweis für Orbáns Ohnmacht? Sogar sein eigener Verkehrsminister, János Lázár, sagte einige Tage zuvor, man solle sich lieber nicht zur Lachnummer machen, indem man ein Gesetz verabschiedet, dass man dann nicht durchsetzen kann.

Da ist was dran, auch wenn man sich darauf verlegt, dass Karácsonys innovativer Kunstgriff, die Demo umzubenennen und sich zueigen zu machen (zu seinem politischen Vorteil) letztlich bedeutet, dass das Gesetz gar nicht gebrochen wurde.

Der Eindruck bleibt: Orbán wollte keine Pride, es gab trotzdem eine, und zwar viel größer, als wenn es kein Pride-Verbot gegeben hätte.

Ja, aber. Aus der Sicht der Regierung und der ihr geneigten Medien wie Mandiner (dessen stellvertretender Chefredakteur ich bin, volle Transparenz) hat Orbán hier einen Meisterstreich vollbracht. Die geschwollene Pride war in dieser Lesart erwartet und erwünscht, denn der Efffekt ist, dass die komplette Opposition und auch Péter Magyar in eine Ecke manöviert wurden, in der sie sich zwar sehr wohl fühlen – allerdings im Gegensatz zur Mehrheit der Gesellschaft, die die Pride eher ablehnt. Sie haben sich also in eine Minderheitsposition begeben.

Dabei ging es nicht um die herkömmlichen Linken und Liberalen. Auf die ist immer Verlass, wenn es darum geht, Positionen zu verteidigen, die die Mehrheit der Bürger ablehnen. Sondern es ging um Péter Magyar. Dessen Narrativ im Vorwahlkampf lautet im Kern: „Ich bin wie Viktor Orbán, nur ohne Korruption”.

Zur Pride hatte er sich nie geäußert, hatte sie nie unterstützt, hatte gar das Wort „Pride” nie ausgesprochen oder niedergeschrieben. Er wusste: Das ist die Ecke, in der Orbán ihn haben will.

Jetzt aber, im Nachhinein, da es nach einem so großen Erfolg aussah (und es aus auch sicher war), da schrieb er erstmals anerkennend das Wort „Pride” in einem Facebook-Beitrag, und nannte den Umzug „eine der größten Veranstaltungen zu Freiheitsrechten in Europa”.

Damit hat Orbán ihn tatsächlich, wo er ihn haben will, meint Ágoston Mráz, Leiter des regierungsnahen Meinungsforschungsunternehmens (und Think Tanks) Nézőpont. Denn die jüngste Umfrage des Unternehmens zeigt, dass eine knappe Mehrheit der Befragten (51 %) eine Einschränkung der Pride unterstützen. Nur 43 % lehnen das ab.

Nézőpont hat zudem immer noch einen Vorsprung für Fidesz ausgemacht: 44 Prozent der „sicheren Wähler”, 39% für Tisza, die Partei von Péter Magyar. Zudem sieben Prozent für die rechte Randpartei „Mi hazánk”, potentiell ein Bündnispartner für Orbán, sollte er einen brauchen. Das stand in Kontrast zu einer Umfrage der eher oppositionsfreundlichen Meinungsforscher bei „Median”, die 15 Prozentpunkte Vorsprung für Tisza maßen.

Derweil ist zu hören, dass interne Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen suggerieren. Falls Nézőpont recht hat (üblicherweise sind seine Prognosen recht verlässlich), ist der Abstand von fünf Prozentpunkten zwischen den beiden Parteien freilich der geringste, der bislang von diesem Unternehmen gemessen wurde. Die Entscheidung fällt im April.

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