
Da war er wieder. Frisch aus dem mehrfach unterbrochenen Sommerurlaub zurück, sprang Kanzler Friedrich Merz (CDU) am Samstagnachmittag mit einem sportlichen Schritt auf die Bühne des Parteitags der CDU-Niedersachsen in der Osnabrückhalle. Mit ihm waren auch der Wahlkampf-Kanzler, der Beschwörungs- und Rhetorikkanzler und der freundliche Herrenreiter angereist, der Partnern und politischer Konkurrenz gern mal jovial über den Kopf streicht.
„Wenn die SPD die Kraft besitzt, migrationskritisch zu werden und industriefreundlich zu werden, dann hat diese Partei auch eine Chance, in der Regierung Tritt zu fassen, mitzumachen und die Reformen dieses Landes in die richtige Richtung, auf den richtigen Weg zu bringen. Ich wünsche mir das.“ Die Genossen werden es zu schätzen wissen, wenn ihnen der Kanzler Tipps gibt, wie sie sich verändern müssen, um „in der Regierung Tritt zu fassen“ und gewissermaßen mit den Erwachsenen am Tisch sitzen zu dürfen.
Für seine Rede bekam Friedrich Merz (l) Standing Ovations, auch von Sebastian Lechner, CDU-Chef in Niedersachsen
Und weil man bei der Erziehung der Kinder ja so viel falsch machen kann, schiebt Merz später nach: „Ich mache es der SPD bewusst nicht leicht!“ Sätze, in denen stets eine Art Alleinherrscher-Allüre mitschwingt, die an der eigenen Parteibasis kraftvoll und durchsetzungsstark klingen sollen, aber eben immer auch eine ungute Anmutung von Herablassung und unpassender Jovialität enthalten.
Denn die Sommerpause, die Merz am Dienstag mit Besuchern aus Belgien und Kanada im Kanzleramt beendet, hat keineswegs zur Verbesserung der Stimmung in der Koalition beigetragen. Im Gegenteil. Wo Merz von tiefgreifenden Reformen spricht, antworten die Sozialdemokraten mit ihrem traditionellen Schlagwort-Repertoire von „Kahlschlag“ und „Sozialabbau“. Wo Merz und die Union die Konjunktur durch Senkung von Abgaben ankurbeln wollen, denkt SPD-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil im Sommerinterview offen über Steuererhöhungen nach. Und auch die höhere Besteuerung von „Reichen“ ist längst nicht vom Tisch.
Der Wahlkämpfer-Merz, der inzwischen Kanzler geworden ist, kann auch beim Landesparteitag in Osnabrück wieder punkten mit seinen Knallhart-Analysen, aus denen man vor der Wahl stets das Gefühl mitnahm, sie müssten logischerweise Folgen haben und sich in der späteren Politik der Koalition niederschlagen. Ein Missverständnis. „Wir sind in einer strukturellen Krise unserer Volkswirtschaft“, sagt Merz mit harter Betonung auf „struk-tu-rell“. Der deutsche Sozialstaat sei so auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten. 5,6 Millionen Menschen seien derzeit im Bürgergeld. „Das kann und wird nicht so bleiben. Wir werden das ändern müssen!“
Gelegenheit, genau das umzusetzen haben Union und SPD am kommenden Donnerstag und Freitag bei der Klausur ihrer Fraktionsvorstände in Würzburg, die mit einem sinnstiftenden Foto-Termin von Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU), seinem SPD-Kollegen Matthias Miersch (SPD) und dem Chef der CSU-Landesgruppe Alexander Hoffmann auf der alten Mainbrücke in Würzburg beginnt. Brücke über schweren Wassern. Metapher, ick hör dir trapsen.
Die SPD will aber bislang nur kosmetisch ans Bürgergeld gehen und Missbrauch stärker verfolgen. Das kann nie schaden, löst aber weder die Frage der ausländischen Bezieher noch reduziert es signifikant die Zahl der Anspruchsberechtigten. Hier dürfte es schon in der Sache hinter den verschlossenen Klausurtüren krachen.
Doch viel mehr Sorgen macht der Unionsspitze die Beobachtung, dass die SPD-Seite kein Thema auslässt und alles dafür tut, um mit Ende der Koalition zu spielen. So soll die Union schon im September widerspruchslos eine neue Kandidatin zur Richterin am Bundesverfassungsgericht wählen, was in CDU und CSU von vielen als eine Art Macht- und Willfährigkeitsprobe verstanden wird. Auch dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nun schon seit Wochen immer wieder massiv von Genossen angegangen wird, weil sie die Regenbogenfahre nur einmal im Jahr auf dem Reichstag hissen will und unlängst eine CDU-Veranstaltung mit dem NIUS-Gesellschafter Frank Gotthardt in ihrem Landesverband in Koblenz besuchte.
Es sind diese scheinbaren Randthemen, die in der Union als Zeichen verstanden werden, dass der Geist in der SPD eben nicht im gemeinsamen Projekt der Koalition oder beim Lösen der Probleme des Landes angekommen ist, sondern ein immer aggressiverer Kampfgeist geblieben ist, gegen die Union und alles, was man für „rechts“ hält.
Ob Merz das in voller Dramatik verstanden hat, darüber rätselt sein Umfeld nach der Sommerpause genauso wie vorher. In Osnabrück jedenfalls gibt sich Merz kämpferisch: „Es mag in der SPD den einen oder anderen geben, der Freude daran hat, über Steuererhöhungen zu diskutieren“, unter seiner Führung „wird es das nicht geben“. In der Koalition solle man miteinander reden, statt übereinander. Man habe vieles bereits erreicht, „erste Weichen gestellt“, die Sonderabschreibungen für die Wirtschaft zum Beispiel auf den Weg gebracht, weshalb er sich auch den „nöligen Unterton“ bei Kommentatoren verbitte.
Aber: „Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden. Wir müssen besser werden.“ Da ist er wieder, der Ich-Kanzler, der seiner Basis das Gefühl von schonungsloser Analyse und kraftvoller Steuerung vermitteln will. Der zumindest jene Kraftprotz-Pose noch kann, für die sie ihn gewählt haben, und die er bislang ausweislich der Umfragen nicht einlösen konnte. Der von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ausgerufene „Herbst der Entscheidungen“ wird auch über das Schicksal von Friedrich Merz und seiner Kanzlerschaft entscheiden. So oder so.