Ist die SPD verrückt genug, mit Scholz in den Wahlkampf zu gehen – oder tauscht sie ihn doch noch gegen Pistorius aus?

vor 6 Monaten

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Die SPD ist in der glücklichen Lage, den beliebtesten Politiker Deutschlands zu stellen. Doch sie kann daraus kaum einen Nutzen ziehen: Denn es handelt sich nicht um Kanzler Olaf Scholz.

SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius führt seit Monaten das Ranking der beliebtesten Politiker an. Im ZDF-Politbarometer landete er im Oktober erneut auf Platz eins vor den Unions-Politikern Hendrik Wüst, Markus Söder und Friedrich Merz. Dann folgten die Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock, erst danach kam der Kanzler. Am vergangenen Donnerstag, zwei Tage nach dem Bruch der Ampel-Koalition, sprachen sich bei einer Forsa-Umfrage 57 Prozent der Befragten für Pistorius als Kanzlerkandidaten aus. Scholz kam nur auf 13 Prozent. Sogar bei den Anhängern der Sozialdemokraten befürworteten 58 Prozent Pistorius.

Wenig überraschend also, dass das politische Berlin über eine Auswechslung des SPD-Kanzlerkandidaten spekuliert. Als erste wagten sich am Montag die beiden Kommunalpolitiker Markus Schreiber und Tim Stoberock aus der Deckung, die ausgerechnet in Scholz‘ Heimat Hamburg in der Bürgerschaft sitzen. Auf Instagram erklärten sie, dass Scholz es nicht geschafft habe, „die Menschen mitzunehmen und Führungsstärke zu kommunizieren“. Gegenüber Bild sagte Schreiber: „Olaf Scholz hat jetzt eine große Aufgabe: Boris Pistorius nach vorn zu schieben, und selbst zu verzichten.“

Am Sonntagabend stellte sich Scholz den Fragen von Caren Miosga.

Im Sommer hatte bereits Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter gefordert, die Partei müsse darüber nachdenken, Pistorius ins Rennen zu schicken. Nach dem Ampel-Aus erneuerte er seine Forderung.

Ausgerechnet FDP-Politiker heizten die Gerüchte am Montag an. Martin Hagen, Mitglied des Bundesvorstands, erklärte auf der Plattform X: „Spannendes Gerücht, das grade in Berlin die Runde macht: In der SPD diskutiert man die ‚Biden-Option‘ – also einen Austausch des Kandidaten auf den letzten Metern, um ein absehbares Debakel abzuwenden. Scholz' gestriger TV-Auftritt dürfte die Überlegungen zusätzlich befeuern“,  schrieb Hagen mit Blick auf Scholz‘ Auftritt bei Caren Miosga.

Spannendes Gerücht, das grade in Berlin die Runde macht: In der SPD diskutiert man die "Biden-Option" - also einen Austausch des Kandidaten auf den letzten Metern, um ein absehbares Debakel abzuwenden. Scholz' gestriger TV-Auftritt dürfte die Überlegungen zusätzlich befeuern.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler prophezeite auf X: „Meine Prognose bis Weihnachten: Scholz macht den Biden…“

Meine Prognose bis Weihnachten: Scholz macht den Biden…

Die Frage, die sich angesichts der desaströsen Bilanz von Scholz und der hohen Zufriedenheit der Bevölkerung mit Pistorius stellt, lautet eigentlich nicht: Kommt eine Auswechslung des Kanzlerkandidaten infrage? Sondern vielmehr: Warum hat die SPD nicht längst gehandelt?

Pistorius kommt aus dem bedeutenden SPD-Landesverband Niedersachsen. Von dort stammen Parteigranden wie der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder oder Ex-Bundesminister Sigmar Gabriel, aber auch der jetzige SPD-Chef Lars Klingbeil und der kommissarische Generalsekretär Matthias Miersch. Dennoch ist Pistorius nicht gut in der Partei vernetzt, verfügt nicht über eine Basis, die er vorschicken kann, um für ihn zu lobbyieren. Er kann also selbst keinen Putsch innerhalb der Partei organisieren, sich höchstens ins gemachte Nest fallen lassen.

Pistorius am Montag beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung.

Entsprechend vorsichtig positioniert er sich. In einem Gespräch, das die DPA vor dem Koalitionsbruch geführt, aber erst danach veröffentlicht hatte, erklärte Pistorius, ihn hätten keine Rufe erreicht, Scholz abzulösen. Gleichzeitig aber äußerte er sich zu der Frage, mit welchen Themen die SPD in den Wahlkampf gehen solle und ließ dabei auch eine Distanzierung zu Scholz durchschimmern. Er riet zu einer „klaren Haltung in Sicherheitsfragen“ sowie einem „Fokus auf die Industrie- und Wirtschaftspolitik“: Dies sei „für die SPD, für ihre ursprüngliche Kernwählerschaft essenziell“.

Unter Scholz war die SPD im Bündnis mit den Grünen und der FDP bekanntermaßen nach links gerückt, hatte auch identitätspolitische Anliegen wie das Selbstbestimmungsgesetz vorangetrieben und ihr Augenmerk mit dem Bürgergeld auf die nicht arbeitenden Bevölkerungsschichten gelenkt statt auf die arbeitenden. Gerade in wirtschaftlichen Fragen scheiterte das Scholz-Bündnis, führte das Land in die Rezession.

In der Sicherheitspolitik wiederum steht Pistorius für den Zeitenwende-Kurs von Scholz. Er setzt sich für eine entschlossene Unterstützung der Ukraine ein, warnte gegenüber der DPA vor einer Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Die Parteilinke ist davon nicht unbedingt begeistert. Der neue Generalsekretär Miersch hatte erst kürzlich dafür plädiert, dass in der deutschen Sozialdemokratie Raum für Altkanzler Schröder sein müsse, obwohl dieser enge Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt. Entschieden gegen Pistorius stellt sich Ralf Stegner, der die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisch sieht und den Krieg „einfrieren“ möchte. Der Neuen Zürcher Zeitung sagte Stegner, man solle die Frage der Kandidatur nicht nach der Beliebtheit entscheiden – die SPD erwäge ja auch nicht, Thomas Gottschalk oder Günther Jauch zum Kandidaten zu machen.

Besonders interessant ist die Rolle von SPD-Chef Klingbeil. Als ambitionierter und vergleichsweise junger SPD-Mann spräche vieles dafür, an Scholz‘ Stuhl zu sägen – schließlich hängt Klingbeils eigenes Schicksal auch davon ab, ob er die Partei in einen erfolgreichen Wahlkampf führt.

Doch Klingbeils Handeln ist auch von alten Seilschaften aus Niedersachsen geprägt. Er ist ein Zögling Gerhard Schröders – und fühlt sich dem Altkanzler, trotz dessen Russland-Nähe, noch immer persönlich verbunden. Schröder wiederum ist auf Pistorius nicht gut zu sprechen: Bis 2022 war Schröders Exfrau, Doris Schröder-Köpf, mit Pistorius liiert. Eine alte Rivalität zweier Männer also, die tief ins Private hineinreicht: Man kennt intime Geschichten übereinander, trägt langjährige Wunden mit sich. Klingbeils Hemmungen, Pistorius auf den Thron zu hieven, erwachsen also auch aus seiner Loyalität zu Schröder.

Klingbeil und Pistorius bei der Vorstandssitzung am Montag.

Entsprechend erratisch äußerte sich Klingbeil in einem Interview der Zeit. Einerseits wagte er einen Seitenhieb auf Scholz: „Dieser Regierung hat ein strategisches Zentrum gefehlt, in dem man offen und vertraulich hätte reden können. Wir hatten die Dreierrunde mit Scholz, Habeck und Lindner. Und den Koalitionsausschuss, mit 17 Leuten. Die eine Runde war zu klein, die andere zu groß.“ Eine direkte Kritik an Scholz, von dem als Kanzler die zentrale strategische Energie hätte ausgehen müssen.

Gleichzeitig aber weckte Klingbeil mit Blick auf Pistorius Assoziationen zu einem legendär abgestürzten SPD-Kandidaten. Er glaube nicht an einen „Messias-Effekt“, erklärte Klingbeil: „Die Kandidatur von Martin Schulz hat 2017 gezeigt, dass eine Person alleine nicht den Erfolg bringt. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, die klären wir gemeinsam.“

Weder hat also Pistorius das Zeug zum Königsmörder, noch springen ihm bislang einflussreiche Parteimitglieder zur Seite. Doch die Unbeliebtheit der geplatzten Koalition und ihres Kanzlers ist so auffällig, dass eine Auswechslung dennoch nicht unwahrscheinlich erscheint. Einen Hinweis darauf lieferte Miersch am Montag, als er nach einer Vorstandssitzung vor die Presse trat.

Dort gab er über den Zeitplan der Partei Auskunft: Den eigentlich für Juni angekündigten Bundesparteitag will die SPD auf Ende Januar oder Anfang Februar vorziehen. Dort soll der Kanzlerkandidat gewählt werden. Zu diesem Zeitpunkt wird der Wahlkampf bereits in vollem Gange sein. Anwesende Journalisten zeigten sich bei der Pressekonferenz erstaunt über diese Terminierung: Ob Scholz Plakate im ganzen Land zieren werde, obwohl er noch nicht formal zum Kandidaten gekürt sein wird?

Offenbar wollen die Sozialdemokraten sich möglichst lange die Möglichkeit erhalten, ihren Kandidaten auszutauschen. Und auch Pistorius‘ Aussagen klingen nicht gerade nach einem Dementi. Der Bild erklärte er: „Ganz ehrlich: Wir haben einen Bundeskanzler und der ist der designierte Kanzlerkandidat. Ich sehe niemanden in der Partei, der daran etwas verändern möchte.“

Sätze, die mit „ganz ehrlich“ beginnen, haben in der Politik meist eine kurze Halbwertszeit. Solange Pistorius niemanden sieht, der am aktuellen Kandidaten rütteln will, wird Pistorius die Füße stillhalten. Wenn Stimmen für eine Auswechslung laut werden sollten – so lässt sich Pistorius‘ Statement verstehen – dann steht er bereit.

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