„It’s the culture, stupid!“: Warum es in den Wahlkämpfen schon lange nicht mehr nur um die Wirtschaft geht

vor 6 Monaten

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„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“, heißt es im Kommunistischen Manifest. Dass eine solche Aussage überhaupt jemals von Menschen geglaubt werden konnte, ist erstaunlich. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie der Satz endet. Jeder Satz, der mit „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist“ beginnt, kann nur falsch sein, denn die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ist ein riesiger Urwald voller Ereignisse, die sich nicht durch einen einzigen Mechanismus erklären lassen.

Auch wenn es – außerhalb der Grünen Jugend – nur noch wenige Fundamentalmarxisten gibt, die den Glaubenssätzen ihres Stifters wortgetreu folgen, so gilt der Klassenkampf unter den gesellschaftlichen Beobachtern nach wie vor als interpretativer Leitfaden. Das Verhalten der Menschen, insbesondere ihre politischen Sympathien, werden mit ihrer Klasse, ihrer sozialen Situation in Verbindung gebracht.

Daher verwundert es besagte Beobachter, dass Angehörige der amerikanischen Arbeiterschaft einen Mann wie Donald Trump als „One of us“ („einer von uns“) bezeichnen, und fragen: Wie können sich diese Menschen mit einem Milliardär identifizieren? Merkwürdigerweise stellt diese Frage niemand bei einer Musikerin wie Taylor Swift, aber das steht auf einem anderen Blatt. Auch bei der AfD reiben sich Analysten die Augen, sprechen gar, wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), von einem „AfD-Paradox“: Die Wirtschaftspolitik der AfD würde Menschen mit geringerem Einkommen benachteiligen, trotzdem würden insbesondere diese Menschen die Partei wählen.

Paradox sind solche Phänomene jedoch nur für denjenigen, der von falschen Prämissen ausgeht. Hat man hingegen akzeptiert, dass wirtschaftliche Fragestellungen und Klassenbewusstsein nicht die entscheidenden Gründe für das Wahlverhalten sind, wird aus dem scheinbaren Paradox eine zwingende Logik.

„Ich kann das alles nicht mehr hören“, lautet die Aufschrift auf dem derzeit meistverkauften T-Shirt aus dem Shop von Mario Barth. Man muss kein Fan des Berliner Komikers sein, um zuzugestehen, dass er hier einen Nerv getroffen hat. Ob Gendersprache, Zigeunerschnitzel oder Indianerkostüm – die Menschen können es nicht mehr hören und machen ihrer Verzweiflung Luft, sei es durch T-Shirts oder in der Wahlkabine. Auf einem Plakat im Europawahlkampf stand einfach nur zu lesen: „Wir verbieten keine Lieder“.

Diejenigen, die solch absurde Forderungen wie das Verbot von Frisuren oder Liedern aufstellen, haben keinerlei Verständnis für die heftigen Gegenreaktionen, die sie damit auslösen. In einer Talkshow musste sich Peter Hahne, der bekanntlich das „Zigeunerschnitzel“ retten will, von seiner Nachbarin höhnisch sagen lassen, er solle doch nicht so tun, als würde er zu Hause sitzen und weinen, weil er das Wort nicht mehr sagen dürfe.

Der alte Spruch von Bill Clinton „It’s the economy, stupid!“

Nein, weinen tut deswegen wohl kaum jemand, aber es verursacht Stress, es führt zu Anspannung und Gereiztheit. Das Argument, es sei doch nicht so schwer, auf diese Dinge zu verzichten, geht völlig in die falsche Richtung. Denn es geht nicht um den Schwierigkeitsgrad, sondern um die Sinnhaftigkeit bzw. Sinnlosigkeit solcher Forderungen. Es wäre auch nicht schwer, etwa auf das Tragen von gestreiften Socken zu verzichten, aber gäbe es dazu ernsthaft einen Verbotsantrag, würde sich zweifellos Widerstand regen.

Und dieser Widerstand, der ist es eben, der Menschen zu dem für viele so wunderlichen Verhalten treibt. Es ist nämlich nicht mehr „the economy, stupid“, wie Bill Clinton einst erfolgreich propagierte, sondern „the culture“. Von einem Kulturkampf zu sprechen ist dennoch in gewisser Weise irreführend, denn den woken Aktivisten stehen keineswegs konservative Revolutionäre gegenüber. Die Gegner des Wokismus haben meist gar keine eigene kulturelle Agenda, sie wollen nur von dem kulturellen Kasperletheater verschont bleiben. Sie können es einfach nicht mehr hören.

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