
Während der Bundeskanzler in einer Charmeoffensive seinen Koalitionspartner SPD umgarnt, wächst der Reformdruck innerhalb der CDU. Am Dienstag begab sich Merz in das Epizentrum der deutschen Krise und eröffnete die Automobilmesse IAA in München.
Der Bundeskanzler bewegt sich dieser Tage in einem bemerkenswerten Spannungsfeld: Auf der einen Seite drängt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf tiefgreifende Reformen beim Bürgergeld. Auf der anderen Seite steht innerhalb der eigenen Koalition die stramm linke SPD-Fraktion, die sich mit aller Kraft gegen jede Kürzung des überbordenden deutschen Sozialstaats stemmt.
Zur Beilegung des Streits – und man darf getrost annehmen, dass dies einmal mehr auf Kosten der Steuerzahler geschieht – legte Merz seine Reformpläne zum Bürgergeld nach dem gemeinsamen Koalitionsausschuss mit der SPD zunächst wieder auf Eis. Bei einem Bier mit Sozialministerin Bärbel Bas zeigte sich Einvernehmen: Die bestehenden Bürgergeld-Budgets sollen zunächst unverändert bleiben – bloß keine Kürzungen am aufgeblähten Budget des attraktiven Sozialstandorts Deutschland.
Auffällig ist ohnehin in diesen Tagen: Merz betont mehrfach, er sei im Wesentlichen mit der Regierungsarbeit zufrieden – allein die Kommunikation wolle nicht recht zum ansonsten positiven Gesamtbild passen. All das wirkt indes grotesk und völlig entkoppelt von der wirtschaftlichen Realität eines Landes, das sich in einer schweren Krise befindet.
Der Bundeskanzler konzentriert sich derzeit vor allem auf die innerkoalitionäre Hygiene, auf kommunikative Taktiken und die Stabilisierung des fragilen Berliner Bündnisses. Substantielle Probleme hingegen – etwa die Schuldenkrise, die in Frankreich gerade einem neuerlichen Höhepunkt entgegensteuert – werden im Bundeskanzleramt systematisch ausgeblendet.
Denn es ist vergleichsweise einfach, inmitten einer schweren Wirtschaftskrise die Erhöhung der Erbschaftsteuer, womöglich die Einführung einer Vermögensteuer oder höhere Kapitalertragssteuern medial schmackhaft zu machen. Weitaus schwieriger wäre es hingegen, harte Sozialreformen durchzusetzen oder gar den von Brüssel verordneten Migrationskurs zu korrigieren, um den Druck auf die Sozialsysteme zu mindern.
Merz kommt dabei zugute, dass die Kritik aus der Wirtschaft am grundsätzlichen politischen Kurs bislang erstaunlich verhalten bleibt. Zwar wird das Lamento über hohe Energiekosten und ein groteskes Regulierungsregime lauter, doch drängt die Wirtschaft den Kanzler nicht zu entscheidenden Reformen. Am Ende könnte die Rechnung simpel ausfallen: Der Steuerzahler wird stärker belastet, Deutschland verschuldet sich planmäßig um zusätzliche Hunderte Milliarden, und die Subventionsmaschine läuft zur Beruhigung der Gemüter weiter auf Hochtouren. Für die Politik ist das eine bequeme Lösung – für den Steuerzahler eine Katastrophe.
Dass nun ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Manuel Hagel, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, mit scharfer Kritik am von der EU dekretierten Verbrenner-Aus laut werden, dürfte dem Bundeskanzler kaum ins Schema passen. Dieser eröffnete am Dienstag die Automobilmesse IAA in München – inmitten des schwersten Sturms des deutschen Niedergangs.
Es ist davon auszugehen, dass die Spitzen der deutschen Automobilwirtschaft die Steilvorlagen aus der CDU aufnehmen werden und Druck auf den Kanzler ausüben, den zerstörerischen Kurs des Klimaregimes zu verlassen und einen technologieoffenen Weg zu öffnen. Merz wird sich – stellvertretend für die deutsche Politik der vergangenen Jahre – fragen lassen müssen, wie es überhaupt so weit kommen konnte, das wirtschaftliche Fundament des Landes derart schwer zu beschädigen.
Dieser Abwärtstrend wird durch mehrere Faktoren verstärkt: Chinesische Hersteller wie BYD haben ihre Marktanteile in Europa nahezu verdoppelt und verdrängen deutsche Marken zunehmend. Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz verzeichnen teils zweistellige Rückgänge bei den Gewinnen, während chinesische Unternehmen wie BYD ihren Umsatz in Europa um 290 Prozent steigern konnten.
Hinzu kommen protektionistische US-Zölle, die Volkswagen mehrere Milliarden Euro gekostet haben, sowie die anhaltende Energiekrise in Deutschland. Das geplante EU-weite Verbot neuer Verbrennungsmotoren ab 2035 wirkt wie ein Damoklesschwert über der Investitionsbereitschaft der Unternehmen, die nach wie vor ihr Hauptgeschäft mit klassischer Antriebstechnologie tätigen.
Vielleicht sind es ja die fiskalischen Schäden, die sich nun auf kommunaler Ebene zeigen, die die Politik zum Umdenken zwingen werden. Städte wie Stuttgart, zum größten Teil abhängig vom Gewerbesteueraufkommen der Automobilwirtschaft, stehen vor dem Bankrott.
Weder seine Charmeoffensive bei der SPD noch der Auftritt bei den krisengeschüttelten Automobilkonzernen dürfte Merz großes Vergnügen bereitet haben. Es ist daher anzunehmen, dass der Bundeskanzler sich bald wieder auf Reisen begeben wird.
Diesmal auf einer Tour durch tatsächlich blühende deutsche Landschaften – und zwar zu den mit öffentlichen Mitteln reich ausgestatteten Rüstungsfabriken von Rheinmetall über Heckler & Koch bis hin zu Diehl Defence. Da werden dann die passenden Bilder geliefert, die der Bundeskanzler braucht, um sein angekratztes Image in der Öffentlichkeit aufzupolieren.