Kein Volk, kein Ort, kein Land: Warum die Politik nicht mehr von „Deutschen“ spricht, sondern von der „Bevölkerung“

vor 22 Tagen

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Die Politik spricht mittlerweile nur noch die „Bevölkerung“ an oder „die Menschen der Bundesrepublik Deutschland“. In den vergangenen Jahrzehnten hat so eine Entdeutschung des öffentlichen Diskurses stattgefunden, analysiert Gastautor Andreas Lombard.

Bundeskanzler Friedrich Merz wurde jüngst von der Wochenzeitung Die Zeit gefragt, ob er den „inneren Wandel vom Oppositionsführer zum Landesvater“ schon vollzogen habe. Merz antwortete leider nicht das, was im Grundgesetz steht: dass die überparteiliche Sorge um die Landeskinder, die einst dem König oblag, nicht vom Bundeskanzler, sondern vom Bundespräsidenten ausgeht. Statt Die Zeit an das vormals königliche Schloß Bellevue zu verweisen, fühlte sich Merz gerne angesprochen – um dann aber nicht gerne Landesvater zu sein: „Landesvater – das klingt beruhigend, hat aber auch etwas Behäbiges. Das ist nicht mein Bild.“

Es folgte eine Begründung, die keine war: „Die Bundesregierung arbeitet für alle 84 Millionen Menschen der Bundesrepublik Deutschland, das ist meine Botschaft.“ Dann fügte Merz noch hinzu, dass er ein Bundeskanzler sei, der „hin und wieder auch in seiner Parteizentrale vorbeischaut“ – und nicht umgekehrt. Merz hat formal nicht falsch geantwortet, aber die Leser haben nicht erfahren, warum er sich trotz seiner Zuständigkeit für 84 Millionen Landeskinder nicht als deren Vater fühlt. Seine Ablehnung des Begriffs „Landesvater“ erinnerte an Herman Melvilles „Schreiber Bartleby“, dessen freudlose Arbeitsverweigerung unter dem Motto „I would prefer not to“ – ich möchte lieber nicht – bekanntlich in tödlicher Lebensverweigerung endete.

Was passiert hier? Blicken wir in die politisch korrekte Vorgeschichte: Vor 25 Jahren wurde in einem Innenhof des Bundestages ein Kunstwerk von Hans Haacke (geboren 1936) eingeweiht: ein knapp 21 x 7 Meter großer, von Holzbohlen eingefasster und bepflanzter Trog, den über 400 Abgeordnete mit Erde aus ihren Wahlkreisen befüllten. Damit wurde auf „Blut und Boden“ Bezug genommen, eine bekannte Propagandaformel der nationalsozialistischen Agrarpolitik. Um das „ius soli“, das Territorialprinzip, gegen den ethnisch definierten Volksbegriff in Stellung zu bringen, wurde in Haackes Kunstwerk deutscher Boden noch akzeptiert: Aus der Mitte dieses Troges strahlen in weißer Neonleuchtschrift die Worte DER BEVÖLKERUNG in die Höhe. Sie sind von allen Etagen aus zu lesen: vom Plenarsaal, von der Presse- und Fraktionsebene sowie von Besuchern auf dem Dach. Die Schrifttype ist dieselbe, die Peter Behrens (1868–1940) für die am westlichen Mittelrisalit des Reichstagsgebäudes 1916 angebrachte Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE entworfen hatte.

Haackes Widmung an „die Bevölkerung“ ersetzte symbolisch das in Deutschland beheimatete Volk durch eine beliebig zusammengesetzte Ansammlung von Menschen, für die sich das Parlament per Zustimmung zu diesem Kunstwerk fortan zuständig fühlen wollte. Offenbar sollte die parlamentarische Fürsorge, die schon im Grundgesetz nicht auf das deutsche Volk als einer ethnischen Größe beschränkt war, nicht mehr exklusiv dem Staatsvolk gelten. Dieses existierte zwar weiter, trat aber in eine unbestimmte Konkurrenz zur seitdem angesprochenen „Bevölkerung“. Spätestens ab 2015 hebelte dieser schleichende Umbau auch das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes aus.

Als nur noch von „Bevölkerung“ die Rede war, begannen der Bundespräsident und andere Vertreter des Staates systematisch, nicht mehr von „den Deutschen“ zu sprechen, sondern von „Menschen in Deutschland“, ein semantischer Vorgriff auf Merkels Grenzöffnung. Denn „Menschen in Deutschland“ meint noch einmal etwas anderes als „Bevölkerung“; es meint neben Landesbewohnern mit oder ohne Staatsangehörigkeit auch Touristen, illegale Einwanderer und im Ernstfall sogar feindliche Truppen – halt alle, die in Deutschland aus irgendeinem Kühlschrank essen. Mit der Rede von „Menschen in Deutschland“ wurde jegliche positive Definition des staatlichen Subjekts aufgekündigt, denn nun entfiel auch das Kriterium der dauerhaften Ansiedlung, die noch in „Bevölkerung“ steckte; abgesehen davon, dass „Menschen“ nichts anderes heißt als „keine Tiere“. Die Rede von „Menschen in Deutschland“ war die wohlklingende Umschreibung eines schleichenden, aber organisierten Landesverrats. Man brauchte nur hinzuhören.

Friedrich Merz ist derzeit vor allem als Außenpolitik-Kanzler unterwegs.

Wenn Merz jetzt glaubt, er müsse auch noch den Begriff „Landesvater“ ablehnen, damit er sich um alle 84 Millionen Menschen in Deutschland kümmern kann, dann setzt er auf die nihilistische Misere noch eins drauf. Wie man sieht, führen diese politisch korrekten Dekonstruktionen in einen unendlichen Regress. Die linksradikale Parole „Nie wieder Deutschland!“ muss gar nicht befürwortet werden. Es reicht, dass jede öffentliche Person sich mit eigenen Akzenten vor dem Verdacht schützt, ihr etwas Positives entgegensetzen zu wollen. Allein das mündet in einen angstvollen Überbietungswettbewerb, bei dem kein Stein auf dem anderen bleibt und auch der Bundeskanzler immer unbestimmter daherreden muss. Wenn er nicht einmal „Landesvater“ sein will – was er, wie gesagt, sowieso nicht ist –, wird ihm auch das Wort „Deutschland“ als Teil der gerade noch korrekten Formel „Menschen in Deutschland“ bald zu viel sein. Nicht nur mit „Vater“, auch mit „Land“ könnte ja etwas gemeint sein, und „etwas“ ist immer schon zu viel.

Der derzeitige Vielflieger Merz macht Deutschland zu einem „Flyover Country“, wo die Regierung über die Rechte und Bedürfnisse der „länger hier Lebenden“ kalt hinweggehen kann. In seiner Unsicherheit, welche Rolle er spielen soll, wirkt Merz wie ein „König Ohneland“.

Erklärtermaßen will er Wohnen und Verkehr mit der europäischen CO2-Bepreisung (statt sie aus nationalem Interesse zu verhindern) noch teurer machen, während doch alle anderen Posten auch immer kostspieliger werden und die energetischen Alternativen, zu denen Merz die Menschen „zwingen“ will, keineswegs billiger. Brandmauer, Taurus-Raketen und tägliche Messeropfer verfallen einfach der Schweigespirale, Ortlosigkeit und Mitleidlosigkeit gehen Hand in Hand. Lieber schnell nach Paris fliegen.

Vermutlich wird auch weiterhin allem, was noch steht, „das Mark aus den Knochen geblasen“ – bis keine Substanz mehr übrig bleibt, bis keiner mehr weiß, worum es noch geht, wo oben und wo unten ist, was wahr ist und was falsch, wer hier leben darf und wer nicht, wer wen regiert und mit welchen Interessen … Aber wie sagen wir's nun korrekt? Wenn Herr Merz auf Nummer sicher gehen will, mag er „Menschen in Deutschland“ ersetzen durch „Landesvaterlose Menschen in der nordeuropäischen Tiefebene“. Das wird ihn für eine Weile retten.

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