Koalitionsausschuss: Showdown um Strom, Bürgergeld und Mütterrente

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Eigentlich sollte bis zur Sommerpause Lieferzeit sein für die Regierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU). Rund 70 Tage von Amtsantritt (6. Mai) bis zur Bundesratssitzung am 11. Juli, in denen die Milliardenkredite auf den Weg gebracht werden, an den Grenzen die Zurückweisungen anlaufen, in der Familiennachzug eingeschränkt wird, die Renten gesichert und Steuererleichterungen für die Wirtschaft zumindest beschlossen werden sollten. Und natürlich sollte sich Deutschland als kraftvoller Mitspieler auf der Weltbühne zurückmelden.

Botschaft: Die packen an, die bringen das Land wieder auf Kurs. Und die Umfragen sollten unter dem Eindruck dieser geballten Tatkraft wieder nach oben gehen. Das war der Plan. Doch wenn der Kanzler am Mittwoch um 17 Uhr mit Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) und den CSU-Granden zum nächsten Koalitionsausschuss zusammenkommt, droht das erste Scherbengericht der neuen Regierung.

Basis und Mittelbau der Union können mit den Milliardenschulden nur schwer leben. Vor allem junge Abgeordnete und Junge Union dulden nur unter Murren, dass viel Geld gar nicht investiert, sondern zum Füllen von Finanzlücken verwendet wird. Länder und Kommunen haben ausdrücklich einen Freibrief zum Ausgeben der Kredite für alles Gute und Schöne bekommen. Von Sportstätten bis Hochkultur.

Die versprochene Senkung der Strompreise „für alle“ soll nach dem Willen von Finanzminister Lars Klingbeil ausfallen oder verschoben und damit zum nächsten gebrochenen Wahlsprechen werden. Er habe den Streit „aus den Augenwinkeln mitbekommen“, sagte Merz am vergangenen Donnerstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel, wollte sich jedoch erst nach der Rückkehr nach Berlin dazu äußern. Dort schob er dann ein freundliches Filmchen auf Instagram nach, in dem er auf eine Bürgerfrage erklärte, es seien im Augenblick leider keine Spielräume für billigen Bürgerstrom vorhanden.

Markus Söder, Lars Klingbeil, Friedrich Merz und Saskia Esken bei der Pressekonferenz nach der ersten Sitzung des Koalitionsausschusses von Union und SPD im Kanzleramt.

Strompreise der Bürger aus dem „Augenwinkel“? Viel schnöseliger kann man nach heftig gebrochenen Wahlaussagen kaum umgehen mit den eigenen Landsleuten, monieren sie hinter vorgehaltener Hand in CDU und CSU. „Mensch Leute, ich habe global echt wichtigeres zu tun, muss von Gipfel zu Gipfel, und ihr kommt mir mit solchen Cent-Beträgen. Dann macht halt so…“, äfft ihn ein langjähriger Ministerieller nach. Motto: Im Ausland hui, im Inland pfui.

Bei der ebenfalls versprochenen Reform des Bürgergelds, trödelt Sozialministerin Bärbel Bas in den Augen der Union demonstrativ. Als neue SPD-Co-Vorsitzende wird sie am Mittwoch ebenfalls dabei sein. Anstatt also den Sozialstaat schlanker zu machen, wurde bislang lediglich das Rentenniveau festgeschrieben, was zu weiteren Milliardenzuschüssen an die Rentenkasse führt. Eine Wunde, in der CSU-Chef Markus Söder in gespielter Unschuld genüsslich herumbohrt: „Es kann nicht sein, dass wir beim Bürgergeld Rekordausgaben haben und deswegen andere wichtige Anliegen wie Entlastungen bei der Stromsteuer aufschieben müssen. Genau darüber wird im Koalitionsausschuss zu sprechen sein“, sagte Söder dpa.

Außerdem will die CSU am Mittwoch über eine rasche Umsetzung der letzten Stufe der Mütterrente sprechen und hat Bas im Verdacht, die Chefin der Deutschen Rentenversicherung Gundula Roßbach vorgeschoben zu haben, der erklärt hatte, aus technischen Gründen sei das CSU-Projekt vor 2028 nicht zu realisieren.

Ein ungutes Süppchen köchelt da in der Koalitionsküche von Friedrich Merz, und die Hitze steigt nicht nur draußen auf den sonnigen Wiesen und glühenden Städten.

Zu allem Überfluss trifft Merz am Mittwoch auch noch auf einen angeschlagenen SPD-Chef, dem seine Parteibasis die Vorbereitung eines AfD-Verbots mit auf den Weg gegeben hat, von dem die Union realistischerweise nichts hält. Eigentlich hätten die 70 Liefertage der Ära Merz unter dem Motto „Wachstum first“ stehen müssen, sagt einer vom Wirtschaftsflügel der Fraktion. Stattdessen hat Klingbeil angekündigt, die gerade von der Ampel verkürzten Aufbewahrungsfristen für Rechnungen und Belege im Kampf gegen Finanzbetrug wieder verlängern zu wollen. Von der Abschaffung des Lieferkettengesetzes sei schon lange nichts mehr zu hören gewesen, und der drastische Stellenabbau in der Regierungsverwaltung sei auch ein Witz. Parlamentarische Staatssekretäre gebe es jetzt sogar mehr als unter der alten Regierung.

SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil beim Parteitag am Wochenende. Er dürfte versuchen, die Koalition noch massiver nach links zu ziehen.

Merz weiß noch nicht, dass sich in diesen Stunden sein politisches Schicksal entscheidet, sagt ein ehemaliger Staatssekretär und Wirtschaftsfunktionär zu NIUS. Klingbeil braucht nach diesem SPD-Parteitag einen kräftigen Linksruck zur Rechtfertigung der Regierungsbeteiligung in der eigenen Partei, die Union braucht das ganze Gegenteil. Ein Kanzler, der „aus den Augenwinkeln“ der Weltpolitik das eigene Land zu regieren versucht, wird von seinen Ministern bald schon am Nasenring durch die Manege geführt. Und zu allem Überfluss tourt auch noch Kanzlerin a.D. Angela Merkel (CDU) mit einer Lesereise durchs Land, erklärt, dass sie die neue Migrationspolitik für falsch hält und läst durchblicken, dass sie Merz für einen Stümper hält.

Die Strategen in den Parteizentralen von CDU und CSU ahnen, dass dieses untergründige Brodeln zwischen den zwangsvermählten Koalitionspartnern nicht ewig von pflichtmäßiger Disziplin zu überdecken sein wird. Gut möglich, dass man sich jetzt noch einmal mit Formelkompromissen und schönen Worten in die Sommerpause retten kann. Doch während im Reichstag die nötigen Reparaturen erledigt werden, beugen sich die Haushaltsexperten über das Zahlenwerk des Finanzministers und müssen im kommenden Herbst gleich zwei Haushalte, einen für 2025 und den für 2026 beschlussfähig machen. Mal sehen, wie weit wir kommen, sagt ein CDU-Mann.

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