
Nach zähen und in der Schlussphase weitgehend selbst gegenüber der jeweiligen Parteibasis abgeschotteten Verhandlungen einigten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD am Dienstagmittag auf einen Koalitionsvertrag. Titel: „Veranwortung für Deutschland“. Die Bürger interessiert vor allem: was bedeutet die kleinteilige Regelung der künftigen Regierungsarbeit für ihre Steuern, für ihr Ersparten und die Wirtschaft? Um es vorwegzunehmen: Das Konvolut enthält nichts von dem, was Deutschland in seiner Wirtschaftsschwäche jetzt dringender denn je bräuchte, gerade im heraufziehenden Zoll-Krieg mit den USA – also eine durchgreifende Einkommensteuersenkung, eine Reduzierung der Unternehmenssteuer, günstigere Energie und ein Befreiungsschlag gegen die Bürokratie. Also genau das, was zahlreiche Wirtschaftsverbände in einem offenen Brief an die kommenden Koalitionäre am 2. April gefordert hatten.
Das schwarz-rote Papier wirkt zwar außerordentlich detailversessen. Nur: Überall dort, wo es wirklich auf Einzelheiten ankäme, nämlich bei der Besteuerung, bleiben die Formulierungen so vage, dass sich weder Steuerbürger noch Unternehmer konkrete Entlastungen ausrechnen können. So heißt es in Zeile 1430: „Wir werden die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen zur Mitte der Legislatur senken.“ Weder verrät das Schriftstück, wie die Regierung Merz „kleinere und mittlere Einkommen“ genau definiert – noch die Höhe der Entlastung. Fest steht dagegen: „Der Solidaritätszuschlag bleibt unverändert bestehen“ – also jene Steuer auf die Steuerschuld, die laut ihrem Erfinder Helmut Kohl bis 1998 wieder vollständig verschwunden sein sollte. Derzeit wird der Zuschlag ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 73 470 Euro fällig, auf Kapitalerträge (Zinsen, Dividenden) allerdings unabhängig vom Einkommen. Auch Entlastungen für Selbständige und Unternehmer bleiben in der Formulierung so vage, dass sie sich in der Regierungsarbeit fast beliebig auslegen lassen. So heißt es: „Wir werden einen Investitions-Booster in Form einer degressiven Abschreibung auf Ausrüstungsinvestitionen von 30 Prozent in den Jahren 2025, 2026 und 2027 einführen.“ Bis zu welcher Höhe diese „Turbo-Abschreibung“ gelten soll, bleibt offen. Halbwegs konkret gibt sich der Vertrag nur bei der Senkung der Unternehmenssteuer von derzeit insgesamt 30 Prozent (Körperschaftssteuer plus Gewerbesteuer) Auskunft: „Wir werden die Körperschaftssteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt senken, beginnend mit dem 01.01.2028.“ Die eher bescheidene Erleichterung kommt also erst zum Schluss der Legislaturperiode; die kleinen Schritte machen es auch leicht, sie mit Verweis auf die Finanzlage zu verschieben oder, wie es in der Politsprache heißt, „auszusetzen“.
Zu den Maßnahmen auf der Belastungsseite gehört die Erhöhung des Gewerbesteuer-Mindesthebesatzes von 200 auf 280 Prozent. Begründung: damit bekämpfe man innerdeutsche Steueroasen – also Gemeinden, die Unternehmen wenig abnehmen, wenn sie sich dort niederlassen. Eine auf den ersten Blick gute Nachricht gibt es für ältere Arbeitnehmer: „Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei“. Aber auch hier bleibt offen: Ab wann gilt die Regelung? Nur in einem Punkt gibt es Zahlen und Datum, nämlich bei der Entfernungspauschale: „Wir werden die Pendlerpauschale zum 01.01.2026 auf 38 Cent ab dem ersten Kilometer dauerhaft erhöhen“. Bisher gilt dieser Satz erst ab 20 Kilometern, darunter beträgt er derzeit noch 30 Cent pro Kilometer, die steuerlich geltend gemacht werden können.
Auf dem besonders wichtigen Gebiet der Wirtschaftsregulierung forsten die Koalitonäre in spe nicht aus, sondern sogar auf. bringen. Nach ihrem Willen soll das Bundestariftreuegesetz für Vergaben ab 50.000 Euro, für Startups schon vier Jahren nach ihrer Gründung ab einer Ausschreibungssumme von 100 000 Euro gelten, wobei Union und SPD für die Zukunft einen Mindestlohn von 15 Euro ab 2026 in Aussicht stellen. Den Wohnungsmangel hoffen sie nicht durch eine Entschlackung der Bauvorschriften anzukurbeln, sondern vor allem durch Preisdeckelung: „Die Mietpreisbremse“, so hält es der Vertrag fest, „wird in angespannten Wohnungsmärkten wird für vier Jahre verlängert. Bis zum 31.12.2026 wird eine Expertengruppe mit Mieter- und Vermieterorganisationen die Harmonisierung von mietrechtlichen Vorschriften, eine Reform zur Präzisierung der Mietwucher-Vorschrift im Wirtschaftsstrafgesetz und eine Bußgeldbewehrung bei Nichteinhaltung der Mietpreisbremse vorlegen.“
Auch zur Reduzierung der Energiekosten unternimmt die kommende Regierung nur einen Mini-Schritt, der insgesamt gesehen noch nicht einmal eine Nettoentlastung der Bürger vorsieht. „Wir wollen Unternehmen und Verbraucher in Deutschland dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh mit einem Maßnahmenpaket entlasten. Dafür werden wir als Sofortmaßnahme die Stromsteuer für alle auf das europäische Mindestmaß senken und Umlagen und Netzentgelte reduzieren“. Reduzierung der Netzentgelte – das bedeutet in der Praxis, dass sie wie schon die EEG-Umlage von der Stromrechnung in den Bundeshaushalt wandert. Und was den Haushalt und die Schulden betrifft: die drei Parteien einigten sich auf eine grundsätzliche „Reform der Schuldenbremse“. Mit anderen Worten: die „Sondervermögen“ sollen keine Ausnahme bleiben. An den unter der Ampel eingeführten beziehungsweise erhöhten Steuern und Abgaben möchte die neue Koalition offenkundig nichts ändern. Die Luftverkehrsabgabe bleibt, die CO2-Abgabe soll weiter steigen. Jedenfalls sagt der Koalitionsvertrag dazu nichts Gegenteiliges aus. Lediglich die Steuerbegünstigung für Agrardiesel setzt schwarz-rot wieder auf den alten Stand.
Alles in allem können weder Arbeitnehmer noch Selbständige und Unternehmer in den kommenden Jahren auf konkrete Entlastungen hoffen. Die Union dürfte damit argumentieren, sie hätte wenigstens Steuererhöhungspläne der SPD verhindert. Wobei: ein klares Bekenntnis, Steuern und Abgaben nicht weiter zu erhöhen, findet sich im Koalitionsvertrag nicht. Außerdem: mit der Formel, man habe noch Schlimmeres verhindert, versuchte schon die FDP ihre Wähler bei Laune zu halten. Ausgang bekannt.