Bei Lanz: Viel Mimimi, wenig Meinungsfreiheit

vor 18 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Markus Lanz liest seinem Stuhlkreis am Mittwochabend die neuesten Zahlen vor. Ungefähr 40 Prozent der Deutschen sagen, dass sie das Gefühl haben, alles sagen zu dürfen. Das bedeutet, dass 60 Prozent der deutschen Bevölkerung dieses Gefühl nicht haben. Die Grünen-Politikerin Renate Künast lenkt das Gespräch sofort in die von ihr gewünschte Richtung. Seit 2015 begann der Begriff „Lügenpresse“ zu kursieren und die Debatte um die Einschränkung der Meinungsfreiheit wurde als Geschäftsmodell missbraucht, so Künast. Drei Mal dürfen Sie raten, wer sich angesprochen fühlen darf. Richtig, jeder der die Migrationspolitik kritisiert hat. Künast selbst geht seit mehreren Jahren gerichtlich gegen Beleidigungen und üble Nachrede im Netz vor. Auch mit der Mahnung von J.D. Vance kann Künast nichts anfangen – solle dieser sich doch erst einmal um sein eigenes Land kümmern. Ein reichlich ironischer Vorschlag für eine Grünen-Politikerin.

Ulf Poschardt dagegen kann mit der Warnung schon ein wenig mehr anfangen und nennt die Zahlen ein Desaster. Konkret nennt er auch das Faeser-und das Schwachkopf-Meme. Das erstere bedeutete sieben Monate Haft für David Bendels – für Künast „das eine Mal“ kein Drama. Poschardt kritisiert: „Dass Robert Habeck wegen einem Schwachkopf-Meme sozusagen Polizei anrücken lässt, also nicht er persönlich, aber dass die Politiker so dünnhäutig geworden sind, finde ich problematisch. Und wir müssen uns überlegen, wenn wir die Zahlen sehen, ob wir so weitermachen.“ Er selbst hätte nur einmal jemanden wegen „linksradikalen Tötungsfantasien“ angezeigt und betont, dass Angela Merkel in all ihren Jahren kein einziges Mal Strafanzeige gegen jemanden wegen Beleidigung gestellt habe. Von Künast kommt Widerspruch: „Wer weiß was sie heute tun würde. Die Zeiten haben sich geändert.“ Von Poschardt und Palmer kommt gleichzeitig ein deutlicher Widerspruch. Der Beginn einer Verbrüderung.

Lanz muss den Kontext des Schwachkopfs-Memes selbstverständlich noch einmal für die ÖRR-Zuschauer einordnen. Nicht das der gute Habeck wieder einmal verunglimpft wird. Künast liefert ebenfalls ganz selbstverständlich nach, wie wichtig das Bundeskriminalamt ist, um Netzstellen des Hasses, der Verleumdung und der üblen Nachrede zu überführen. „Ist das für Sie Hass? Schwachkopf?“ wirft Poschardt ein. „Wie bitte?“ „Ist das Hass?“ Künast umgeht eine Antwort, wie es zu erwarten ist und kommt wieder zurück zum Anfangspunkt – Hass und Hetze in rechtsextremen Kreisen. Wieder ist es Poschardt der einwirft, dass das bei linken Kreisen ganz genauso sei. Künast knickt genervt ein: „Das stimmt, das gibt es da mittlerweile auch.“

Das zeigt Markus Lanz dann auch deutlich an einer Aufzählung von Strafanzeigen von Politikern. Angeführt von der liberalen Strack-Zimmermann mit knapp 2000 Anzeigen. Poschardt grätscht Lanz höhnisch dazwischen: „Crazy, das ist auch keine richtige Liberale.“ Lanz setzt seine Liste fort: „Habeck 800, Baerbock 500. Sind wir dünnhäutiger geworden? Oder wird das zu Recht gemacht?“ Eine Antwort soll die Neurowissenschaftlerin Maren Urner geben. Diese erklärt „ihren wissenschaftlichen Blick“ auf diese Zahlen und hakt schon in der Fragestellung der Umfrage ein. Bei der Formulierung „Haben Sie das Gefühl“ würden „sämtliche Alarmglocken im Gehirn“ von Neurowissenschaftlern losgehen, so Urner. „Das heißt, was wir hier abfragen, […] das ist das Gefühl. Und woher kommen unsere Gefühle? Aus unserer Umgebung, aus dem was wir wahrnehmen. Und dies ist massiv beeinflusst von den Informationen, die wir konsumieren. Also die wir in unser Hirn reinlassen.“

Dieses Gefühl, die eigene Meinung nicht mehr äußern zu können, sei also geschichtlich gesehen eine Ablenkungsstrategie, um Demokratien zu zerstören. So viel zu ihrem „wissenschaftlichen Blick“. „Und ich möchte Sie hier in der Runde fragen, wo durften Sie in diesem Land Ihre Meinung nicht sagen? Und was ist Ihnen dann passiert?“ Auf Urners Gesicht macht sich ein selbstgefälliger Ausdruck breit. Nach der vorangegangenen Diskussion über Hausdurchsuchungen und Haftstrafen für Memes nähern sich nun Boris Palmers und Ulf Poschardts Gesichtszüge der Fassungslosigkeit. Palmer erwidert: „Ich spreche Wörter aus, die im Duden stehen und dann geht ein Shitstorm in ganz Deutschland los und sagt, der Mann ist untragbar.“ Urner unterbricht ihn überheblich: „Aber da wurde doch gerade gesagt, dass das aushaltbar sein muss.“ Die Runde ist sichtlich vor den Kopf gestoßen.

Palmer versucht es also erneut: „Ich bin nicht mehr in meiner Partei wegen dieser Sprach-Jakobiner.“ Und erzählt weiter von Begegnungen mit Menschen, die ihn für ermutigen und loben, dass er seine Meinung so offen vertritt. Wieder versucht Urner zu unterbrechen, bis Lanz einschreiten muss. Urner reagiert schnippisch: „Das ist anekdotische versus empirische Beweisbarkeit.“ Poschardt schaltet sich genervt ein: „Naja, wenn Sie fragen nach Anekdoten, dann gibt’s Anekdoten!“ Das sollte auch nicht der letzte bissige Kommentar gegen Urner bleiben.

Die beiden liefern sich immer wieder persönliche Seitenhiebe und Poschardt wird nach mehrmaliger Unterbrechung zickig: „Es ist eine Art und Weise, Diskurse einfach zu zerhacken, indem man Leute, wenn sie versuchen, was zu erklären, einfach nicht ausreden lässt und dann mit so halbschlauen Ableitungen versucht, das zu unterbinden.“ Und fügt wieder Richtung Lanz hinzu: „Wenn wir anfangen, Leute für Memes mit Haftstrafen zu belegen, wenn wir wie Frau Strack-Zimmermann und Habeck und Baerbock, und wie sie alle heißen […] Dass man sozusagen so eine Anzeigekultur hat, dann wird es toxisch.“

Der infantile Wahnsinn ist aber an diesem Punkt noch immer nicht beendet. „Es sind ganz viele Beleidigungen gerade in meine Richtung gegangen.“, nörgelt Urner. Lanz wird zum pädagogischen Betreuer und fragt etwas irritiert welche Beleidigungen sie meine, etwa die „halbschlauen Ableitungen“? Und so wird durch ihre eigenen Sabotageakte Urners pochen auf eine ernsthafte Debatte fortdauernd unterbrochen.

Einen tieferen Einblick in Urners Gesinnung zeigt schließlich ihr ausgeprägtes Engagement, Wörter wie „Klimakrise“ in der Debattenkultur zu verankern oder ihre Entrüstung über die „Abschaffung der Demokratie in den USA“. In diesem Punkt kann Poschardt – zum Schock für Lanz – mal wieder nicht an sich halten: „[Amerika] ist für mich immer noch die großartigste Demokratie. Die hat viel ausgehalten und die wird auch jemanden wie Donald Trump aushalten.“

Poschardt und Urner mussten in dieser Sendung am Mittwochabend vor allem persönliche Seitenhiebe aushalten. Für Poschardt – der auch keinerlei Reue angesichts seiner sehr persönlichen Kritik an Heidi Reichinnek zeigt – ist das kein Problem. Für Urner dagegen sehr, wie der Abend zeigt. Trotz der Unterbrechungen zur beständigen pädagogischen Betreuung des Stuhlkreises entstand eine einigermaßen erfolgreiche Debatte. Dank Palmer und Poschardt wurde deutlich, dass Meinungsfreiheit sehr wohl noch existiert – es bedarf nur mehrerer tausend Euro oder ein paar Monate freier Zeit in Haft, um sie sich zurückzukaufen.

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