
Donald Trump führt in den Vereinigten Staaten gerade vor, wie Siegen geht. Die wichtigste Zutat: sich über die eigene Stärke freuen.
Die Deutschen haben keinen Trump, dafür hatten sie bis vorgestern eine Ampel. Von ihr können sie lernen, sich an der eigenen Schwäche zu ergötzen. FDP-Chef Christian Lindner trat am Donnerstag, in seinen letzten Stunden als Finanzminister, vor die Medien, gemeinsam mit der FDP-Spitze. Die Minister hatten ihr ernstes Gesicht aufgesetzt. Lindner sah aus, als habe er vor der Pressekonferenz rasch an einer rohen Zwiebel geschnüffelt.
Lindner wurde gefragt, was sein erster Gedanke nach dem Aufwachen gewesen sei. Er bat um Verständnis dafür, dass auch er sich in einer „Lage“ befinde, „und ähm...“. Blick nach oben. Pause, die offenbar „um Worte ringen“ darstellte. „Und deshalb auch viele Gedanken habe.“ Ihn mache die Situation „tatsächlich betroffen“: „Ich habe mich hier in anderen getäuscht.“ Tiefes Einatmen, das mit Wohlwollen als Schniefen durchging.
Mitgenommen: Christian Lindner, bis gestern Finanzminister.
Das Verhältnis des deutschen politischen Spitzenpersonals zur Macht ist von Widersprüchen durchzogen. Einerseits gilt das ganze Bemühen von Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck dem Machtgewinn und Machterhalt. Andererseits inszeniert sich ein jeder von ihnen in diesen Tagen als Opfer des Geschehens, nicht als selbstbewusster Akteur.
Die Ampel ist tot, aber niemand will sie ermordet haben. Warum eigentlich? Was wäre ehrenrührig daran, eine dysfunktionale Koalition zu beenden? Jede Seite erfindet umständliche Ausreden, um die eigene Verantwortung kleinzureden: Lindner erzählte hanebüchene Geschichten über eine angebliche Indiskretion, durch die sein eindeutig für die Öffentlichkeit gedachtes 18-Seiten-Papier an Journalisten durchgestochen worden sei. Überhaupt sei er nur aus der Ampel geworfen worden, weil er sich dem Plan des Kanzlers widersetzt habe, die Schuldenbremse auszusetzen.
Scholz stellte es auf seiner Pressekonferenz am Mittwochabend so dar, als sei er quasi dazu gezwungen, Lindner zu entlassen: „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten.“ Er behauptete, „Schaden von unserem Land“ abwenden zu wollen, und klang dabei, als handle es sich bei seiner Richtlinienkompetenz vor allem um ein Abwehrrecht gegen toxische Gefahren wie Christian Lindner.
Für März plant Scholz Neuwahlen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck fand, der Bruch der Koalition „fühlt sich falsch an“. Karl Lauterbach äußerte sich bei X wie ein Teenager, der auf Tiktok vom Ampel-Aus erfahren hat: „Wenn Christian Lindner gewollt hätte, wäre es gegangen. ALLE ANDEREN waren bereit, die Krise zu meistern. Wir scheitern an einem FDP Ideenpapier, Spiegelstrichen und der mangelnden Bereitschaft, den Haushalt dem Krieg in der Ukraine anzupassen. Krass.“
An der Spitze der Macht überschlagen sich die Ereignisse in diesen Tagen. Doch die Beteiligten geben sich als passive Beobachter aus oder simulieren, aus Notwehr zu handeln. Inmitten der unsicheren Lage, in der die Parteien ausloten müssen, wie sie als Gewinner vom Platz gehen, fürchten sie sich vor allem davor, die Schuld für das Ende der Koalition zugeschrieben zu bekommen. Das ist bezeichnend: Sie könnten schließlich auch darauf setzen, es als Verdienst angerechnet zu bekommen.
Ähnlich furchtsam agiert die Union. Sie hätte noch in dieser Woche im Bundestag einen Antrag zur Eindämmung der illegalen Migration im Bundestag zur Abstimmung einbringen können. Doch die SPD machte Druck und räumte die anstehenden Tagesordnungspunkte ab – mit Billigung der Union. Die CDU fürchtete offensichtlich, dass die AfD ihren Antrag unterstützen würde. Dahinter steht auch die Sorge der Partei, Wählerschichten zu verlieren, die die AfD kritisch sehen und eine Zusammenarbeit nicht goutieren. Gleichzeitig aber opfert die Union auf diese Weise die Option auf Gestaltungsmacht auf dem wichtigen Feld der illegalen Migration. Auch sie will, aus Angst vor Kontaktschuld, im Zweifel lieber als oppositionelle Kraft wahrgenommen werden.
Will Friedrich Merz (CDU) Kanzler werden, dann braucht er SPD, Grüne – oder die AfD.
In Deutschland gehört es zur politischen Kultur, die eigene Ohnmacht zu inszenieren. Macht zu genießen, ist nach der Etikette der postmodernen Opferhierarchie ohnehin unschicklich. Für Deutschland gilt das erst recht, schließlich fürchtet sich das Land der nationalsozialistischen Machtergreifung bis heute vor seiner eigenen Stärke. Das bedeutet nicht, dass die Ampel-Minister ihre Macht nicht genossen, im Gegenteil. Sie versteckten es nur gut und kleideten ihre autoritären Gelüste stets in ein edles Gewand der Notwehr. Wenn sie Kritiker mit Anzeigen zum Schweigen zu bringen versuchten, galt dies dem Kampf gegen „Hass und Hetze“. Gesetze und Programme trugen niedliche Namen wie „Gutes-Herz-Gesetz“ oder „Doppelwumms“.
In Deutschland wird nicht hoch angesehen, wer sich nimmt, was er will. Er braucht dann mindestens eine gute Erklärung, weshalb er gezwungen war, es sich zu nehmen. Die Protagonisten der Ampel führt die Suche nach solchen Erklärungen auf direkten Weg in die Larmoyanz. Zum Ende der Koalition hat jeder seinen Teil beigetragen. Gewesen sein will es trotzdem keiner.
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