
Der Ausschluss des AfD-Politikers Joachim Paul von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen am 21. September 2025 steht offenbar in einem größeren Zusammenhang: So war das Verfassungsschutz-Dossier, das die Stadt Ludwigshafen über Paul anforderte, und welches letztlich zu seinem Ausschluss führte, die direkte Folge einer Handlungsempfehlung der zentralen Verwaltungsbehörde, die wiederum dem rheinland-pfälzischen Innenministerium unterstellt ist. Das zeigen exklusive NIUS-Recherchen und Dokumente, die der Redaktion vorliegen.
Demnach schrieb die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) am 14. Juli in einem Schreiben an die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck, dass die „Verfassungstreue eine Wählbarkeitsvoraussetzung“ für Wahlbeamte sei. Die Behörde teilte ferner mit, die Gemeindeverwaltung habe bei „objektiven Anhaltspunkten“ eine „Prüfung auf Verfassungstreue zu erstrecken“. Bei der ADD handelt es sich um die Kommunalaufsicht mit Sitz in Trier, in deren Kompetenzbereich etwa die Prüfung und Beanstandung von Haushalten, städtebauliche Erneuerung, Sportanlagenförderung oder Denkmalschutz auf Gemeindeebene fallen.
Und offenbar auch die Gesinnungsprüfung von Oberbürgermeister-Kandidaten. Denn genau jene Behörde teilte der Stadt Ludwigshafen in besagtem Schreiben vom 14. Juli mit: „Für die Prüfung von Wahlvorschlägen im Wahlverfahren bedeutet dies, dass bei Bestehen von objektiven Anhaltspunkten dafür, dass die Verfassungstreue der Bewerberin oder des Bewerbers für ein kommunales Wahlamt nicht gegeben sein könnte, die zuständige Wählleitung oder Aufsichtsbehörde frühzeitig die Verfassungsschutzabteilung des Ministeriums des Innern und für Sport unter Angabe der objektiven Anhaltspunkte […] informiert.“ Das Schreiben ging am 15. Juli per E-Mail bei der Stadt ein, wie diese NIUS gegenüber bestätigte. Auch die Rheinpfalz hatte über die brisante Kontaktaufnahme berichtet.
Alles in SPD-Hand: Der Ausschluss Joachim Pauls von der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen trägt rote Parteifarbe.
Drei Tage später, am 18. Juli, wurde die 175.000-Einwohner-Stadt am Rhein schließlich tätig – und schrieb dem Amt für Landesverfassungsschutz, man benötige Informationen über den Bewerber Joachim Paul (AfD). Dessen Kandidatur war seit dem 3. Mai bekannt, Ende Juli wollte Paul seine Bewerbungsunterlagen einreichen. Auf Grundlage der Kontaktaufnahme der Stadt Ludwigshafen entstand dann aber das elfseitige Dossier, das NIUS exklusiv veröffentlichte, und in dem auf Grundlage von Kontaktschuld-Konstruktionen, Publikationen über „Herr der Ringe“ oder Kritik an der Entwicklung des Stadtteils Hemshof Joachim Pauls Verfassungstreue angezweifelt wurde.
Am 29. Juli lag das fertige Gutachten schließlich der Stadt vor, am 5. August 2025 entschied der Wahlausschuss Ludwigshafens unter Vorsitz von Oberbürgermeisterin Steinruck: Joachim Paul darf nicht zur OB-Wahl antreten. Die Entscheidung wurde inzwischen von zwei Instanzen, dem Verwaltungsgericht in Neustadt und dem Oberverwaltungsgericht in Koblenz, bestätigt – und hat eine bundesweite Debatte über demokratische Mitbestimmung und die Rechtmäßigkeit von Wahlausschlüssen ausgelöst.
Die Korrespondenzen, über die NIUS nun exklusiv berichtet, sind vor dem Hintergrund brisant, dass gleich zwei Behörden in den Ausschluss des AfD-Politikers involviert sind, die direkt dem Innenministerium unterstehen: Sowohl die Kommunalaufsichtsbehörde ADD als auch das Landesamt für Verfassungsschutz sind weisungsgebunden und stehen unter der Kontrolle des Innenministeriums in Mainz.
Der rheinland-pfälzische Innenminister, Michael Ebling (SPD), gilt wiederum als einer der vehementesten AfD-Gegner auf Landesebene. In seine Ägide fällt etwa der „Beamtenerlass“ vom Mai 2025, in dem er forderte, AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst zu überprüfen und Maßnahmen in die Wege zu leiten, sollten Zweifel an ihrer Verfassungstreue bestehen. Die Überprüfung weitete Ebling im Juli offenbar auf Kandidaten für politische Ämter, so auch Joachim Paul, aus: Während die dem Innenministerium unterstellte Behörde ADD gezielt Kommunen kontaktierte, um eine Gesinnungsprüfung anzuregen, lieferte im zweiten Schritt der ebenfalls dem Innenministerium unterstellte Landesverfassungsschutz die Argumente, um den Ausschluss durchzusetzen.
Der SPD-Innenminister Michael Ebling gilt als einer der härtesten Kämpfer gegen die AfD.
Zudem zeigen Recherchen von NIUS, dass Ludwigshafen nicht die einzige rheinland-pfälzische Stadt war, die von der Kommunalaufsicht kontaktiert worden war, um mögliche Wahlbeamte auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen. So liegt NIUS unter anderem ein wortgleiches Schreiben aus Kusel (100 Kilometer westlich) vor, das ebenfalls auf den 14. Juli datiert. Darin fordert die Kreisverwaltung Kusel Verbands-, Ortsgemeinden und Städte auf, die Kandidaten zu überprüfen. Unklar ist, ob das Schreiben der Kommunalaufsicht an weitere (und wie viele) Kommunen verschickt worden ist, um den gezielten Ausschluss von AfD-Kandidaten durchzusetzen.
Auch in Kusel sollten Kandidaten auf „Verfassungstreue“ überprüft werden.
Die Vorgänge im rheinland-pfälzischen Behördenapparat zeichnen dabei auch das Bild eines SPD-dominierten Klüngels und in sich geschlossenen Systems auf Landesebene: Während die Kommunalaufsicht ADD vom SPD-Politiker Thomas Linnertz geleitet wird, steht dem Landesamt für Verfassungsschutz Elmar May vor, der nach 38 Jahren Polizeilaufbahn von SPD-Innenminister Ebling befördert wurde.
May wiederum ist mit Sabine May liiert, der nicht nur beste Kontakte in die Landesregierung nachgesagt werden, sondern die als SPD-Mitglied auch seit 2012 Drogenbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz ist und persönliche Referentin der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) war. Auch die amtierende Oberbürgermeisterin Ludwigshafens, Jutta Steinruck, war bis 2023 Mitglied der Sozialdemokraten. Interessanterweise wurde sie bei ihren Oberbürgermeister-Kandidaturen 2017 und 2021 von einer gewissen Malu Dreyer unterstützt – und galt als ihre Vertraute.
Jutta Steinruck (links) beklatscht Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nach einer Rede.
Der Ausschluss Pauls von der Oberbürgermeister-Kandidatur könnte zudem einen Präzedenzfall darstellen: Wenn sich künftig Kommunen lediglich auf eigens angeforderte Zitatesammlungen von Verfassungsschutzämtern berufen können, um Kandidaten der AfD von ihrer Kandidatur abzuhalten, dürfte das Beispiel Schule machen – und den demokratischen Wettbewerb in zahlreichen Gemeinden verunmöglichen.
Unterdessen bleibt fraglich, welchen Einfluss das „Netzwerk gegen Joachim Paul“ auf die Vorgänge in Ludwigshafen hatte – und ob das „zivilgesellschaftliche Bündnis“ womöglich Wissen über Inhalte des Verfassungsschutz-Dossiers hatte. Das Netzwerk, in dem Mitglieder von Grünen und SPD, aber auch bekennende Antifa-Aktivisten mitmischen, schrieb sich Anfang August auf die Fahnen, die Kandidatur Pauls verhindert zu haben. Auch hatte sich Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck bei dem Bündnis persönlich bedankt, wie NIUS exklusiv berichtete.
Wird Ludwigshafen zur Blaupause für die ganze Bundesrepublik?
Wie die Stadt Ludwigshafen nun auf Anfrage von NIUS mitteilen musste, gibt es eine zumindest bemerkenswerte zeitliche Nähe zwischen dem Austausch der Stadt Ludwigshafen mit Verfassungsschutz ebenso wie mit dem „Netzwerk gegen Joachim Paul“. So übersendete das Bündnis am 30. Juli, also nur einen Tag nach dem Eingang des Verfassungsschutz-Dossier, eine Email an Bürgermeisterin Steinruck, in welcher ein Anhang hochgeladen war, der die Dateibezeichnung „Dossier J.Paul.pdf“ hatte und den Titel „Warum Joachim Paul als Oberbürgermeister von Ludwigshafen ungeeignet ist. Eine biografisch-chronologische Analyse“ trug. Zwar ignorierte Steinruck diese Zustellung, doch sie antwortete auf eine zweite Mail, die just am Folgetag, am 31. Juli, zugestellt worden war.
Dass zwischen Verfassungsschutz-Dossier, Hinweis-Email eines dezidiert linken Netzwerks und Antwort der SPD-nahen Bürgermeisterin lediglich drei Tage liegen, lässt zumindest aufhorchen. In einer Antwort der Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs, die die Stadt Ludwigshafen vertritt, teilte diese auf Nachfrage von NIUS, dass das Dossier des Aktivisten-Netzwerks „nicht identisch“ mit dem Gutachten des Verfassungsschutzes sei. „Es handelt sich um unterschiedliche Dokumente.“ Das Dokument sei auch nicht an die Mitglieder des Wahlausschusses weitergeleitet worden.
Nicht beantworten konnte man die Frage, inwieweit das Dossier des „Netzwerk gegen Joachim Paul“ (31. Juli) und die Auskunft des Verfassungsschutzes (29. Juli) deckungsgleich seien. Einblick in die Übersendung der Informationen der Anti-Paul-Aktivisten wollte man unterdessen nicht erteilten. „Ein Akteneinsichtsbegehren“ sei „von vornherein nicht vom presserechtlichen Auskunftsanspruch erfasst.“
Auch bei NIUS: Hochstufung zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“: Das vollständige AfD-Gutachten des Brandenburger Verfassungsschutzes