
Von der Komödie zur Farce, so kann man die Entwicklung in der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen. Daran, dass Brosius-Gersdorf sich für das Amt einer Verfassungsrichterin nicht eignet, kann kein Zweifel bestehen. Gerade weil das Bundesverfassungsgericht häufig auf dem schmalen Grat zwischen Politik und Rechtsprechung zu balancieren hat, müssen die Richter in der Lage sein, zwischen der eigenen politischen Auffassung und der rechtlichen Bewertung zu unterscheiden, und zwar in der Art, dass die möglichst neutrale rechtliche Bewertung nicht von den politischen Überzeugungen interferiert wird.
Den Eindruck vermittelt Brosius-Gersdorf nicht, die zwar in der Phrase anerkennt, dass das Grundgesetz ein Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat ist, aber in den praktischen Ausführungen das Grundgesetz zu einer Norm des Staates erhebt, um die Bürger zu beherrschen. Das Grundgesetz wird in ihren Äußerungen praktisch zu Programmschrift, welche Handlungen des Staates Bürger bei Androhung des Grundrechtsentzuges hinzunehmen haben. Wie kann jemand zum Hüter des Grundgesetzes werden, der das Grundgesetz so eklatant missversteht? In ihren Äußerungen zum Parteien- und Vereinsverbot, in ihrer Stellungnahme gegen das Kopftuchverbot von Amtsträgern in der Ausübung ihres Amtes, in der sie letztlich gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates argumentiert, in ihrer Forderung der Einführung der Impfpflicht, der gesetzlichen Quoten in der Auswahl der Abgeordneten, also des dreisten Eingriffes in das Wahlrecht, lässt sich schwerlich erkennen, dass Brosius-Gersdorf ein Anhänger des liberalen Rechtsstaates sei.
Das sieht man zum Teil auch in der Unionsfraktion so. Gestern kam es dort zu heftigen Diskussionen, weil Unionsabgeordnete erklärten, Brosius-Gersdorf nicht wählen zu wollen. Fraktionschef Jens Spahn, der schon in der Maskenaffäre eine ungute Figur abgibt, versuchte die Abgeordnete dadurch zu besänftigen, dass es besser sei, Brosius-Gersdorf zu wählen, als sie nicht zu wählen. Die WELT berichtet, er habe mit der SPD einen Kompromiss ausgehandelt, der darauf hinausläuft, dass Brosius-Gersdorf nicht Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichtes wird, was eigentlich schon eingepreist war, weil sie die Nachfolge von Doris König antreten würde, die Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts ist. Doch damit nicht genug, denn worüber noch niemand spricht, ist, dass sie Vorsitzende des Zweiten Senats und 2030 auch als Nachfolgerin von Stephan Harbarth Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden könnte.
Mal abgesehen davon, dass Spahns Hinterzimmer-Eskapaden dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichts als Beute der Brandmauerparteien maximal schaden, stellt sich die Frage, wie Spahn die Einhaltung des „Kompromisses“ durchsetzen will. Auf eine entsprechende Anfrage, ob die Darstellung, dass mit der SPD ein solcher Kompromiss vereinbart worden sei, korrekt ist, und wie Spahn garantieren wolle, dass Brosius-Gersdorf zu einem späteren Zeitpunkt nicht doch Vizepräsidentin oder Präsidentin des Gerichtes würde, antwortete Jens Spahn bisher nicht.
Antwort kam indes vom Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, der nicht nur behauptete: „Alle drei Nominierten für das Bundesverfassungsgericht sind herausragend qualifizierte Juristen und damit fachlich exzellent für Karlsruhe geeignet“, sondern zutreffend äußerte: „Über die Frage, wer Prof. Dr. Doris König letztendlich als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts nachfolgt, entscheidet aber nicht der Bundestag, sondern souverän der Bundesrat. Hier gibt es folglich keine Vorfestlegung.“
Hat Spahn nun einen Kompromiss geschlossen oder nicht? Hat er die SPD nur falsch verstanden? Oder haben wir alle ihn nur falsch verstanden? Oder hat er gelogen?
Zumindest appellierte Spahn am Ende der Fraktionssitzung gestern an die Unions-Abgeordneten, die Brosius-Gersdorf nicht zu wählen beabsichtigen, sich beim Parlamentarischen Geschäftsführer zu melden, damit mit ihnen persönliche Gespräche geführt werden können.
Tiefer kann ein Kotau vor der SPD nicht ausfallen.