
Eine der spannendsten Erkenntnisse aus dem TV-Duell von Olaf Scholz und Friedrich Merz: Der CDU-Kanzlerkandidat hat die Roadmap seiner Koalitionsverhandlungen verraten. Ein genauer Blick auf seine Aussagen offenbart, was Merz nach der Wahl plant – und wirft die Frage auf, ob er sich dabei nicht verrechnet.
Der Blick auf die aktuellen Umfragen zeigt: Die CDU liegt um die 30 Prozent, die AfD um 21. Die Kanzlerpartei SPD kommt auf etwa 15, die Grünen auf 13 bis 15. Die FDP würde mit 4 Prozent nach jetzigem Stand den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen.
Scholz versus Merz bei ARD und ZDF.
Die Merz-Rechnung geht so: Die AfD schließt er als Koalitionspartner aus. Dies bekräftigte er im TV-Duell erneut, als ihn die Moderatorinnen zur Brandmauer befragten. Ausgeschlossen bleiben nach Merz’ Aussage eine Koalition sowie eine Duldung durch die AfD, also die Option, dass Merz sich in einer Minderheitsregierung Mehrheiten mithilfe der AfD beschaffen könnte.
In den letzten fünf Minuten des TV-Duells verrät Merz, wie er nach der Wahl vorgehen will. Gefragt nach Koalitionsverhandlungen sagt Merz: „Ich gehe davon aus, dass wir die Bundestagswahl gewinnen und dass wir sie möglicherweise so gewinnen, dass wir nur einen Partner brauchen. Vielleicht zwei haben. Dann werden wir selbstverständlich miteinander sprechen.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als möglicher Koalitionspartner der CDU?
Als Ziel gibt Merz also aus, die AfD zu schwächen, indem er mit SPD oder Grünen koaliert: „Aber ich will schon mal eines sehr deutlich machen: Das Problem, was hier im Raum steht (...) ist die AfD. Das ist eine ernsthafte Bedrohung für unsere Demokratie. Diese AfD muss wieder kleiner werden.“
Wie aber will Merz seine Inhalte umsetzen, wenn er mit linken Parteien koalieren muss? Und würde eine Koalition mit Linken die AfD nicht eher stärken? Merz erklärt: „Herr Scholz hat mit den Grünen zusammen versucht, in Deutschland eine linke Politik zu machen. Für linke Politik gibt’s in diesem Lande schon lange keine Mehrheit mehr. Das heißt, alle diejenigen, die mit uns regieren wollen, werden sich bewegen müssen hin zur politischen Mitte, um dafür zu sorgen, dass dieses Problem verschwindet. Das heißt konkret: Migration und Wirtschaft. Das muss gelöst werden. Und unter dieser Bedingung führen wir Gespräche.“
Merz will also die Bedingungen setzen und glaubt, dass er die konservative Mehrheitsmeinung im Land als Hebel einsetzen kann, um SPD auf einen Kurs der Mitte einzunorden. Mehrere gewagte Annahmen stecken in dieser Einschätzung von Merz.
Erstens unterstellt er linken Parteien, dass sie sich der Stimmung im Land stärker verpflichtet fühlten als der eigenen Wählerschaft. Doch wohl kaum eine Partei, inklusive der Union, unterwirft sich in Verhandlungen einem allgemeinen gesellschaftlichen Klima. Vielmehr sind Koalitionsverhandlungen der Moment, in dem Parteien sich besonders stark auf ihre Kerninhalte fokussieren, um möglichst viel durchzusetzen.
Scholz und Merz im TV-Studio.
Zweitens setzt Merz’ Taktik voraus, dass die Medienlandschaft die Wählerstimmung widerspiegelt. Dem ist aber nicht so: Vielmehr ist die deutsche Medienöffentlichkeit mehrheitlich dem links-grünen Lager zugewandt und Merz gegenüber maximal kritisch eingestellt. Es wird also in vielen Medien kein Druck auf SPD und Grüne erzeugt werden, sich hin zur politischen Mitte zu bewegen, sondern vielmehr Merz gedrängt werden, auf die linken Parteien zuzugehen.
Im Folgenden verrät Merz sogar, in welcher Reihenfolge er Gespräche führen möchte. Maybrit Illner spricht ihn darauf an, dass der Politikwechsel, den er garantiere, nur mit der FDP umsetzbar wäre, die allerdings bei 4 Prozent liegt. Merz darauf: „Das teile ich so nicht. Ich glaube, dass die Sozialdemokraten und auch die Grünen – in der Reihenfolge vermutlich – nach dieser Bundestagswahl einsehen werden, dass sie so nicht weitermachen können.“ Merz setzt also darauf, dass zunächst die SPD und dann die Grünen von Maximalpositionen abrücken und er dann mit ihnen in dieser Reihenfolge Gespräche führen kann.
Merz’ weitere Ausführungen offenbaren seine dritte fragwürdige Annahme. Merz sagt, dass SPD und Grüne einsehen würden, „dass sie vor allen Dingen nicht die AfD als Werkzeug benutzen können, um eine Politik zu blockieren, aggressiv zu blockieren, die die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland will. An der Stelle werden sich diese beiden Parteien bewegen müssen. Wenn die Sozialdemokraten im Ruhrgebiet dann Wahlkreise an die AfD verlieren, dann glaube ich: Ganz sicher spätestens in dem Augenblick wird die SPD gesprächsbereit sein.“
Merz geht also davon aus, dass Verluste bei den Wahlen zu einem Umdenken der linken Parteien führen könnten. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass Misserfolge eher dazu führen, dass Parteien energisch für ihre Kernforderungen kämpfen, um an Profil zu gewinnen. Es liegt auf der Hand, dass ein schlechtes Abschneiden von SPD und Grünen bei der Wahl nicht dazu führen würde, dass beide Parteien sich von der Instrumentalisierung der AfD als Blockade-Werkzeug trennen: Der, dessen Macht schwindet, klammert sich umso fester an alle Machtinstrumente, die ihm bleiben.
Ist es klug, dass Merz seine Strategie für die Zeit nach der Wahl so offen präsentiert? Die Brandmauer-Debatte zwingt ihn zumindest dazu, sich zu einer Koalition mit der AfD zu positionieren. Doch dass er die Option einer Minderheitsregierung vom Tisch wischt und zugleich den Verhandlungs-Fahrplan verrät, schwächt seine Position gegenüber den Parteien, mit denen er verhandeln will.
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