
Es ist ein Anfang ohne Zauber: Friedrich Merz wurde im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt. Zuvor verweigerten ihm 18 Abgeordnete seiner schwarz-roten Koalition die Gefolgschaft. Merz steht einem Bündnis vor, auf das er sich nicht verlassen kann. Noch verheerender aber dürfte diese Erkenntnis sein: Mit Merz haben CDU und CSU dem Antikommunismus abgeschworen. Sie paktieren mit Sozialisten, um Macht zu erringen. Merz dürfte ein Kanzler der Beliebigkeit werden. Jeder Verhandlungspartner weiß nun: Von Merz kann man alles bekommen – sogar die Selbstverleugnung.
Die CDU will eine Partei der Werte sein. Darum gab sie sich ein Grundsatzprogramm. Darin steht, man lehne sozialistisches Denken ab, da es „dem ideologisch begründeten Kollektiv den Vorrang vor den einzelnen Menschen“ gebe. Gestern aber, im Bundestag, eilte die Union händeringend zur Partei „Die Linke“. Man wollte von der unbenannten SED den Segen bekommen für ein riskantes Manöver. „Die Linke“ sollte für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament sorgen. Eine solche Mehrheit war aus Sicht der Union nötig geworden, damit der zweite Wahlgang noch am selben Tag stattfinden konnte.
CDU-Wahlplakat von 1953: Einst galt die CDU als antikommunistische Partei.
„Die Linke“ zierte sich nicht. Gar zu verlockend war das Angebot. Dem verhassten Merz eine zweite Chance zu spendieren, vertrug sich zwar nicht mit den klassenkämpferischen Tönen der antifaschistischen Antikapitalisten. Doch der Lohn war groß. Als Steigbügelhalter für Merz wird „Die Linke“ in den Kreis der sogenannten demokratischen Mitte aufgenommen. Nur unter den sogenannten demokratischen Fraktionen wollte die Koalition schließlich nach einem Ausweg aus dem Merz-Schlamassel suchen. Die Linke erntete, was sie säte: Lob und Dankbarkeit von CDU und CSU.
Jens Spahn, Alexander Hoffmann, Steffen Bilger: Drei wichtige Abgeordnete von CDU und CSU bedanken sich herzlich bei der Linkspartei. Was für eine Unbedenklichkeitserklärung, was für ein Ritterschlag von der Fraktion des Kanzlers! Faktisch wurde damit der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU aufgehoben. „Die Linke“ ist in den Augen von Spahn, Merz und Söder nun eine ganz normale Partei. Man versichert sich ihrer Unterstützung gern – um die verhasste AfD draußen zu halten. Insofern hat die Union gestern einen weiteren Linksschwenk vollzogen.
Mit radikalen Sozialisten haben CDU und CSU keine Berührungsängste. Die Brandmauer gilt nur den Rechten. Links ist alles möglich, rechts wird das Tabu gepflegt. Die AfD und ihre Wähler grenzt man aus, der Linkspartei flicht man Kränze. Von der Linken lässt man sich demütig beschimpfen, bei der AfD sieht man immer rot. Auch so kann man den Abschied von der Volkspartei organisieren.
Mit radikalen Sozialisten haben CDU und CSU keine Berührungsängste.
Merz und Söder ist nicht nur die Geschichte der SED egal. Es kümmert sie auch nicht, dass „Die Linke“ den Kapitalismus stürzen, das System überwinden und Firmen enteignen will. Und dass die linke Frontfrau Heidi Reichinnek als Anti-Merz-Kämpferin berühmt wurde.
Insofern hat das Zugehen der Union auf die Linke etwas Ehrloses. Friedrich Merz trinkt nicht nur vom Kakao, durch den man ihn zieht; er kocht ständig neuen. Der Sauerländer lässt sich vom ideologischen Hauptgegner in den Sattel heben. Nötig gewesen wäre der Prinzipienbruch nicht. Der zweite Wahlgang hätte an einem anderen Tag stattfinden können. Oder man hätte in Kauf genommen, auch mit Stimmen der AfD die Geschäftsordnung zu ändern. Beides wollten Merz und Söder nicht. Sie demütigten sich vor der Linken. Sie müssen damit rechnen, eine Gegenrechnung präsentiert zu bekommen.
Am ersten Tag seiner Kanzlerschaft rollt Friedrich Merz der Linken den Teppich aus. „Die Linke“ wird weiterhin den freien Markt verabscheuen, die DDR verharmlosen und Merz verteufeln. Merz aber wird sich nur mit gebremstem Schaum wehren können. Ohne „Die Linke“ wäre er schließlich am 6. Mai nicht Kanzler geworden. Von Merz können Linke alles bekommen.