
Sehr lange hat die Courage von Julia Klöckner nicht gehalten. Auf die Ankündigung der designierten Parlamentspräsidentin, sich als Präsidentin des ganzen hohen Hauses zu verstehen und sich daher auch allen Fraktionen vorstellen zu wollen, folgte ein kurzer schriftlicher Hinweis der Grünen, dass eine Vorstellung bei der größten Oppositionspartei natürlich nicht akzeptabel sei. Frau Klöckner fügte sich umgehend und geht nun nicht zur AfD.
Die Grünen haben offenbar zwar ein Drittel ihrer Wähler verloren, aber keineswegs an Selbstbewusstsein eingebüßt. Die Union hingegen hat einige Wähler gewonnen, aber an Rückgrat leider nicht zugelegt.
Während sich der Bundestag in diesen Tagen konstituiert, wollen Union und SPD die offenen Punkte aus den Arbeitsgruppen für den Koalitionsvertrag besprechen und dann zeitnah einen Koalitionsvertrag vorlegen. Rhetorisch wird seit einigen Tagen vorbereitet, dass man schon zufrieden sein könne, wenn die heftigsten sozialdemokratischen Forderungen abgewehrt werden könnten. Die SPD droht derweil mit dem ausstehenden Mitgliederentscheid, der nur zu gewinnen sei, wenn die vom Wähler abgestrafte sozialdemokratische Seele im Koalitionsvertrag hinlänglich gestreichelt werde. Die Republik erlebt verwundert, was man aus einer Wahlniederlage alles machen kann – aus einem Wahlsieg übrigens auch.
Die Parteispitze der Union verhandelt weiter mit der SPD.
Friedrich Merz hat nach der vom alten Bundestag noch durchgewunkenen Verfassungsänderung zur Rekordverschuldung keinerlei Trümpfe mehr in der Hand. Das scheint ihm nun auch klar zu werden. So sagte er bei einem Leserkongress der FAZ, wenn das mit der Kanzlerschaft jetzt nicht klappe, ende seine Karriere jedenfalls zu einem Zeitpunkt, wo er damit gut umgehen könne. Vermutlich meint er seinen bevorstehenden 70. Geburtstag. Die politischen Gegner dürften diese Ankündigung mit Interesse vernommen haben, die eigenen Anhänger mit Irritation.
Redet so jemand, der als Kanzler von Zeitenwende und neuem Wirtschaftswunder in Erinnerung bleiben möchte? Noch nicht mal ins Kanzleramt gewählt und bereits über das Ende der Laufbahn philosophieren? Kann so jemand vier Jahre durchhalten?
Außen- wie innenpolitisch steht Deutschland vor erheblichen Herausforderungen. Viel spricht dafür, dass nun nicht nur mehr Geld gebraucht wird, sondern vor allem eine andere Einstellung und Mentalität. Weniger Anspruchshaltung, Besitzstandswahrung, Substanzverlust, woke Umerziehung. Mehr Leistung, Anstrengung, Wertebewusstsein und Renaissance der Sekundärtugenden. Dem Wahlergebnis kann man entnehmen, dass eine stabile Mehrheit der Wähler das genauso sehen dürfte.
Doch die Union beweist: Wer sich als Wahlsieger derart vor den Wahlverlierern in den Staub wirft, braucht vor allem selbst eine andere Mentalität.
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***Peter Kurth (64) war CDU-Finanzsenator von Berlin und zuletzt Präsident eines Wirtschaftsverbandes. Zuletzt war er auch im Interview bei „Schuler! Fragen, was ist“ zu Gast.