
Um 17 Uhr am Montagnachmittag wollen die Arbeitsgruppen, die für Union und SPD die Themenblöcke in den Koalitionsverhandlungen bearbeiten, eigentlich ihre Berichte vorlegen. Doch bei entscheidenden Themen gibt es noch Streit und Dissens – an vielen Stellen stecken die Gespräche fest, beide Seiten werfen sich jeweils vor, der Blockierer zu sein. Während die Union insgesamt schon massive Schritte in Richtung SPD gemacht hat, graben die Sozialdemokraten die Hacken ein.
Das Themenfeld Steuern und Finanzen sorgt für Spannungen: Obwohl die Union der SPD schon den Schuldentopf „Sondervermögen“ und die Aufweichung der Schuldenbremse hergeschenkt hat, finden beide bisher nicht zueinander. Die Union hatte im Wahlkampf Steuersenkungen quer durch die Bank versprochen. Unter anderem will sie die Unternehmenssteuer auf maximal 25 Prozent reduzieren.
Die SPD hatte in den Gesprächen jedoch nur die Reduktion um einen Prozentpunkt ab 2029 in Aussicht gestellt. Außerdem will die SPD den Spitzensteuersatz erhöhen. Die Union ist dagegen – und fühlt sich von den Sozialdemokraten brüskiert, von denen CDU und CSU nach den massiven Schulden-Zugeständnissen ihrerseits wiederum Zugeständnisse erwartet hatten.
Die SPD demonstriert Kampfbereitschaft und eskaliert auch mal: Beim Thema Ehegattensplitting, einem Steuervorteil für Ehepaare, den die SPD gerne abschaffen möchte, verließen die sozialdemokratischen Verhandler nach einer verbalen Eskalation gar demonstrativ den Raum (Apollo News berichtete).
Scharf wird auch über Migration diskutiert. Hier sind für beide Partner noch weite Gräben zu überbrücken, die Verhandler gingen am Sonntagabend ohne Ergebnisse auseinander. Die strittigen Punkte sind weiter offen: Das Thema Zurückweisungen sorgt nach wie vor für Reibungen, genauso die Frage nach Leistungskürzungen für abgelehnte Asylbewerber. Die Union will ausreisepflichtigen Migranten nur noch das absolute Minimum an staatlichen Leistungen zur Verfügung stellen – „Brot, Bett und Seife“ wird das genannt.
Die SPD betrachtet das als inhuman und will völlig in die andere Richtung: gar noch mehr Bleibemöglichkeiten für abgelehnte Asylbewerber schaffen, dafür das „Chancenaufenthaltsrecht“ der Ampel ausweiten. Das sorgt für Frust: Die SPD „will keine Begrenzung der Migration“, schimpft ein Unions-Verhandler laut Table.Media.
Von den zentralen Unions-Forderungen, die man vor der Wahl als „Fünf-Punkte-Plan“ zusammengefasst und die es auch weitgehend in das Sondierungspapier geschafft hatten, ist Berichten zufolge immer weniger übrig. Die SPD will hier, wie überall, eigentlich keine Zugeständnisse machen, die über lasche Symbolmaßnahmen hinausgehen.
Die Sozialdemokraten selbst bestreiten derweil, der Blockierer zu sein: Man sei gesprächsbereit, erklärt die Partei gegenüber ThePioneer. Die Union wolle nachverhandeln und im Sondierungspapier getroffene Einigungen wieder revidieren, heißt es. Welche das konkret seien, geht aus dem Bericht nicht hervor.
Auch bei Sozialleistungen für ukrainische Flüchtlinge gibt es Unstimmigkeiten: Strittig ist neben den Sanktionen für Arbeitsunwillige die Frage, ob ukrainische Geflüchtete im SGB-II-System bleiben oder geringere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.
Beim Thema Heizungsgesetz traut sich die Union nun offenbar doch mehr Widerstand: Sie fordert eine Revision der Habeck-Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, nachdem zunächst andere Töne aus der Partei zu vernehmen waren. CDU und CSU wollen ein neues Förderungsprogramm für die energetische Sanierung von Häusern und Wohnungen aufbauen. Aus der SPD hört man aktuell keine solchen Forderungen.
In der Vergangenheit hatte jedoch unter anderem die noch amtierende Bundesbauministerin Geywitz eine Reform des Gesetzes gefordert und Habecks Gesetzgebung kritisiert. „Aus meiner Sicht müssen wir dieses Gebäudeenergiegesetz grundsätzlich reformieren und viel, viel einfacher machen“, sagte Geywitz im Februar, vor der Bundestagswahl, beim Tag der Wohnungswirtschaft in Berlin. Es sei zu komplex und habe zu viele Einzelvorschriften. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man sich noch auf einige kleinere Änderungen am Gesetz einigen können wird.
Auch das umstrittene sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ ist ein offener Punkt: Hier soll es ebenso keine Einigkeit geben. Das Aussitzen einer Einigung wäre ein Punktsieg für die SPD, die auf ein unverändertes Fortbestehen des Gesetzes aus grüner Feder hofft. Auch die Sozialdemokraten hatten das „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, wie es offiziell heißt, in der Ampel-Koalition offensiv vertreten.
Die Union hat schon viele Zugeständnisse gemacht und wurde von der SPD überrumpelt – langsam entwickelt sie Kampfgeist. Ob der noch reichen wird, angesichts der kurzen Zeit? Bis Ende der Woche soll der Koalitionsvertrag stehen.