Nachts ohne Marla Svenja in Chemnitz: Wie ein Rechtsextremer ein linksextremes Gesetz ins Wanken bringt

vor 7 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Es wurde Nacht über Chemnitz, ohne dass der wegen Volksverhetzung verurteilte Rechtsradikale Marla-Svenja Liebich bei der Justizvollzugsanstalt vorstellig wurde, um dort wie angekündigt seine Haft im Frauengefängnis anzutreten. Noch während die angereisten Unterstützer und die Medien warteten, ließ Liebich über einen Livestream, der von seinen Unterstützern auf dem Parkplatz vor der JVA gestartet worden war, bekannt geben, dass er sich ins Ausland abgesetzt habe und nun mit einem internationalen Haftbefehl rechne. Die gleichlautende Erklärung über sein X-Profil übersandten zusätzlich „Liebesgrüße aus Moskau“. Humor hat er ja. Es ließ ihn innerhalb kürzester Zeit zu einer Art Kultfigur seiner Szene avancieren, inklusive Fanshop mit Marla-Svenja-T-Shirts und feministischen Tipps für die Frau von heute.

Seine Fangemeinde war dann auch herbei gepilgert, aber doch nicht so übermäßig, wie man es nach dem großen Trommeln auf X hätte erwarten können. Autos mit sehr unterschiedlichen Kennzeichen von nah und fern säumten die Straße zur JVA, nachdem sie einer ums andere von der Polizei gehindert worden waren, die Zufahrt zum Parkplatz der Haftanstalt zu erreichen. Bei jedem vorfahrenden Auto steigt die Nervosität unter der Pressemeute: Sitzt Liebich hier in dem Auto? Die Zeit schreitet voran, wollte er nicht um 18 Uhr schon da sein, oder doch erst um 21 Uhr? Vans mit abgedunkelten Scheiben, die Polizei leuchtet jedes Auto aus. Wieder nichts. Einmal wird es kurz nervöser als sonst, ein Wagen aus den Niederlanden mit einem Marla-Svenja-Double inklusive Leoparden-Shirt und Hut fährt vor. Er ist nur ein Spaßvogel, aber offensichtlich eingefleischter Fan. Derweil füllen sich die Ränge auf dem Parkplatz, Grüppchen offensichtlicher Unterstützer Liebichs streben zum Parkplatz, eine junge Frau mit kahlrasiertem Schädel, eine andere hat sich als Rotkäppchen verkleidet und auch gleich Rotkäppchen Sekt mitgebracht zur Feier des Tages, den sie aber nicht mit aufs Gelände nehmen darf. Andere haben sich Pizza liefern lassen und harren neben ihrem Bierkasten aus. Schneidige junge Männer mit misstrauischen Blicken. Ein paar junge Männer mit Lederhose und blütenweißen Hemden schwenken große Fahnen mit der Aufschrift „Heimat“, mit der Presse wollen sie nicht reden.

Marla-Fans und Rotkäppchen

Ob Liebich sich tatsächlich nach Russland abgesetzt hat, auch um eine mögliche Auslieferung nach Deutschland zu umgehen, oder sich in einer Ferienwohnung an der Ostsee gerade totlacht über das deutsche System, kann zu diesem Zeitpunkt niemand sagen. Auch nicht der Sprecher der Chemnitzer Polizei, der auch nur zu bestätigen vermochte, was alle Welt auch auf X nachlesen konnte: Dass Liebich sich offensichtlich abgesetzt habe und sich nicht in der JVA eingefunden habe.

Noch ist ja auch Zeit, der Tag hat zu diesem Zeitpunkt immer noch 3 Stunden bis Mitternacht, wenn die Frist zum freiwilligen Haftantritt Liebichs abläuft. Vielleicht hat er sich doch noch vor 23:59 Uhr an der Tür der JVA Chemnitz eingefunden und an einem Abend die Medienöffentlichkeit gleich zweimal genarrt. Es erscheint rational nicht ganz nachvollziehbar, warum sich ein Mensch wegen einer doch eher überschaubaren Strafe von einem Jahr und sechs Monaten ins Ausland absetzt, eine internationale Fahndung auslöst und den Rest seines Lebens im Versteckten leben muss. Wegen anderthalb Jahren Gefängnis? Aber was ist im „Fall Liebich“ schon normal?

Außer Spesen jedenfalls nichts gewesen für das große Presseaufgebot, das sich an der Einfahrt zum Gelände der Justizvollzugsanstalt bereits am späten Nachmittag eingefunden hatte, um auf keinen Fall zu verpassen, wenn Deutschlands derzeit bekannteste sogenannte „Transfrau“ genau jenen Alptraum wahr macht, den die Befürworter des Selbstbestimmungsgesetzes doch jahrelang für unmöglich erklärt hatten: Dass ein Mann, der sein Geschlecht auf dem Papier ändert, seine Strafe dann natürlich in einem Frauengefängnis absitzt. Wäre er aufgetaucht, wäre es genau dazu gekommen. Gesetz ist Gesetz im besten Deutschland, das es jemals gab.

Ein Sprecher der Polizei beim (Nicht-)Haftantritt von Marla-Svenja.

Tagelang hatte Liebich via Social Media zu einer Art Pressegespräch vor den Türen der JVA eingeladen, seine Fanbase mobilisiert und dazu aufgerufen, seinen Einzug ins Frauengefängnis gebührend zu begleiten. Und sie waren alle gekommen, die Deutsche Presseagentur und RTL, BILD und Welt, N-TV, Servus TV, Sat.1 und natürlich auch NIUS dazu die Lokalpresse und eine ganze Menge Fotografen. Auch ein paar Blogger bei denen man nicht sicher sagen konnte, ob sie Journalisten, oder Aktivisten aus der Fangemeinde jenes Mannes sind, der nun bereits seit Monaten nach seinem Geschlechterwechsel von Sven zu Marla-Svenja die Republik zum Narren hielt. Und natürlich alles und jeden kurz und klein verklagte. Jeden, der es wagte darauf hinzuweisen, dass man es hier selbstredend nicht mit einer Person zu tun hat, die als Frau geboren wurde – dafür war die Ermittlungsakte aus seinem Leben als Mann auch einfach zu lang – sondern mit einem Mann, der – Selbstbestimmungsgesetz sei „Dank“ – nun mit Leopardendress, Schnurrbart und Damenhut Justiz und Politik demütigte, indem er sie zwang, ihn rechtlich als Frau anzuerkennen.

Ein paar Damen im Frauengefängnis und auch ein paar Herrschaften in der Politik mögen heute Abend aufgeatmet haben, dass es nun doch nicht zum Äußersten gekommen ist, und doch nicht ein Mann in Damenkleidung in einem Frauengefängnis einfährt. Und genaugenommen war es ja nur Glückssache, dass es sich bei Liebich nicht um einen Sexualstraftäter oder Frauenmörder gehandelt hat, der beanspruchte als Frau betrachtet zu werden, sondern „nur“ um einen Rechtsradikalen, den man wegen eines Äußerungsdeliktes verurteilt hatte. Es hätte auch schlimmer kommen können.  Was jetzt aber nicht mehr wegzudiskutieren wäre, ist die Tatsache, dass das Selbstbestimmungsgesetz in seiner jetzigen Form genau jene ideologische Farce ist, für die es seine Kritiker immer gehalten haben und welche Ansicht sie sich von allen Toleranz-Beauftragten im Land als transphob und Schlimmeres titulieren lassen mussten. Spätestens jetzt sollte jedem Klardenkenden nicht mehr zu entgehen sein: Jeder, wirklich jeder Mann schafft es damit auch zukünftig in einen deutschen Frauenknast, wenn dieses Gesetz nicht wieder abgeschafft wird.

Es wird also möglicherweise eines Tages die größte Ironie der gesamten Causa Liebich sein, dass ausgerechnet ein Rechtsextremer einem linksextremen Gesetz die Axt an den Stamm gesetzt hat.

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