
Von einem „klaren Signal“ an die Bürger und die Welt spricht Friedrich Merz. Doch klar ist an diesem Koalitionsvertrag tatsächlich sehr wenig – klar ist nur das Signal für ein „Weiter-so“.
Diese Botschaft überschattet alles – und die leere Rhetorik der Parteichefs sowieso, die mit viel aufgesetzter guter Laune und Zufriedenheit verschleiern wollen, wie dünn dieser Vertrag ist. „Verantwortung für Deutschland“ ist die ermüdende Überschrift, die so oder so ähnlich auch schon über drei von vier vergangenen Koalitionsverträgen stand oder zumindest gestanden haben könnte. Darunter findet sich auf 144 Seiten aber wenig, was Verantwortung für Deutschland wirklich entspräche.
Man vollbringt das Kunststück, an vielen Stellen alles und nichts zu vereinbaren: Man geht in Details auf, von Rechtsformen für grenzüberschreitende, europäische Vereine über die Umsetzung einer afrikanischen Freihandelszone bis zur Digitalisierung des Bundesarchivs wird alles mögliche Klein-Klein im Vertrag festgehalten. Gleichzeitig heißt es am Schluss, dass alles unter Finanzierungsvorbehalt stünde – also vielleicht gar nicht kommt.
Bei den großen Fragen kommt wenig Konkretes zustande. Die Migrationsfrage ist weitgehend offen, lediglich die Wachsweich-Formulierung, Zurückweisungen „in Abstimmung“ mit den europäischen Partnern zu gestalten, wird festgehalten. „Irreguläre Migration“ will man „wirksam zurückdrängen“. Merz‘ Fünf-Punkte-Plan findet so gut wie gar nicht statt.
Ein paar Tropfen auf den heißen Stein der Masseneinwanderung gibt es: Bundesaufnahmeprogramme wie das umstrittene für Afghanistan sollen auslaufen und nicht neu aufgesetzt werden. Der Familiennachzug soll für einen Bruchteil seiner Profiteure für zwei Jahre ausgesetzt werden, mehr nicht. Ausweisung bei schweren Straftaten soll kommen, eine „Rückführungsoffensive“ verspricht man.
Konkret bleibt aber nur: Die von Merz schon ultimativ versprochene Wende kommt nicht wie versprochen. Ob eine Migrationswende überhaupt noch kommt, ist unklar. Nahe liegt: Was in dieser Frage im Vertrag nicht steht, hat die SPD erfolgreich abgewürgt.
Das zweite Steckenpferd der Union im Wahlkampf war die „Wirtschaftswende“. Die Union ging mit massiven Steuersenkungen in den Wahlkampf und wollte eine Wende weg von der Habeck-Politik. Die Steuersenkungen kommen nur zaghaft, mal hier, mal da – ein paar Prozente an der Körperschaftssteuer gestaffelt streichen, niedrigere Steuern für Gastronomiebetriebe. Immerhin: Man will die allermeisten Bürger in der Einkommenssteuer entlasten, irgendwann später. Und auch die Stromabgaben sollen gesenkt werden. Das alles kommt im Zweifel vielleicht auch nicht – Finanzierungsvorbehalt der SPD, die das Finanzministerium besetzen wird.
Das sind ein paar gute Punkte, die es für den Vertrag insgesamt aber auch nicht mehr herausreißen – der strahlt vor allem Lethargie und „Weiter-so“ aus. Einen Politikwechsel, eine Wende bei Wirtschaft oder Migration garantiert er nicht. Stattdessen ist er voll von kleinen Fallen, die ebenjener versprochenen Wenden verhindern können.
Dazu unterschreibt die Union allerlei linkes ABC – Stärkung ebenjener „Zivilgesellschaft“, die CDU und CSU mit 551 Fragen gerade noch kritisch beäugt hatten. Ein staatlicher Kampf gegen „Desinformation“ und „falsche Tatsachenbehauptungen“, der das Tor für Orwells Wahrheitsministerium aufstößt, und die Abschaffung des Informationsfreiheitsgesetzes beunruhigen. Der Angriff auf das Wahlrecht – bei „mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung“ soll das Recht, gewählt zu werden, entzogen werden – ist ein Angriff auf die Demokratie an sich. Staatliche Finanzierung von Medien kommt einem Anschlag auf die freie Presse gleich. Nancy Faeser wird wohl keine Ministerin bleiben – ihr Ungeist regiert fort.
Unterm Strich bleibt beim Lesen des Vertrages vor allem die Erkenntnis, dass die SPD die Union nach allen Regeln der Kunst an die Wand verhandelt hat. Sie hat viel Konkretes umgesetzt – die Union bekommt wenig und das im Zweifel auch noch unter Vorbehalt.
Das bürgerliche Lager ist von diesem Vertrag enttäuscht – aber Merz ist das egal. Er tönt schon, er nehme Kritik „von Rechtsaußen“ einfach „nicht mehr ernst“. Mit „Rechtsaußen“ meint er offenbar Köpfe bis weit ins liberalkonservative, bürgerliche Lager der Publizistik hinein, etwa Welt-Herausgeber Ulf Poschardt, die ihn scharf attackiert haben. Menschen, die mit „Rechtsaußen“ gar nichts am Hut haben. Wirklich arrogante und erbärmliche Kritik eines Mannes, der seine späte Karriere bis zur Kanzlerschaft auf den Träumen und Hoffnungen ebenjener Bürgerlichen und ihren Stimmen aufgebaut hat.
Die verachtende Rhetorik gegen die (ehemals) eigenen Anhänger passt aber zum Koalitionsvertrag. Ein Vertrag, der den versprochenen „Politikwechsel“ in vielen Bereichen als rhetorische Schreckschusspatrone entlarvt hat. Auf 144 Seiten wird vor allem das „Weiter-so“ festgehalten, der lethargische Politikstil einer Konsensfindung nach Links spiegelt Merkels Geist.