Paragraph 218 wird zum Sprengsatz für die schwarz-rote Koalition

vor etwa 7 Stunden

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Bei den aktuellen koalitionsinternen Streitereien geht es nicht nur um die Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin. Es geht vielmehr grundsätzlich um den Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches und die Auslegung des Koalitionsvertrages in dieser Sache.

Aktuell gilt in Deutschland, dass Abtreibungen rechtswidrig sind, in den ersten zwölf Wochen aber unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben. Der Koalitionsvertrag bleibt hier vage, wird aber mittlerweile von den Koalitionspartern unterschiedlich ausgelegt. Auf Seite 102 des Koalitionsvertrages steht unter der Überschrift „Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen“: „Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen. Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“

Bei der CDU/CSU heißt es dazu: „Eine Veränderung bei Paragraph 218 ist nicht vereinbart und stünde im klaren Widerspruch zur Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Ungeborenen und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes“. So sagte es jedefalls die CDU-Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker gegenüber der Welt.

Ganz anders klingt das bei der SPD. „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir die Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen über die aktuelle Regelung hinaus erweitern. Für mich bedeutet das, dass wir diese zu einer Kassenleistung machen wollen.“, so SPD-Rechtsexpertin Carmen Wegge. «Dafür wäre es tatsächlich erforderlich, den Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase zu legalisieren, weil rechtswidrige Eingriffe nicht über die Krankenkassen finanziert werden können.“ Letzterer Lesart schloss sich die SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf an.

Die Union weist diese Interpretation zurück: Mit der Formulierung sei lediglich die Verbesserung der finanziellen Unterstützung für bedürftige Frauen gemeint, so Winkelmeier-Becker. „Bei geringem Einkommen werden die Kosten schon heute von den Bundesländern aus Steuermitteln übernommen. In dem Antragsverfahren sind die Krankenkassen das Scharnier, sie leiten die Anträge an die staatlichen Stellen weiter.“ Nichts anderes sei gemeint, wenn von einer Erweiterung der Kostenübernahme die Rede sei.

Wegge widerspricht postwendend. Mit ihrem fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf, Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase zu legalisieren, hätten sich SPD, Grüne und Linke vor der Bundestagswahl zwar nicht durchsetzen können – auch weil die Zeit gefehlt habe. CDU-Chef Friedrich Merz habe aber im Zuge der Debatte gesagt, dass er dazu bereit sei, nach der Wahl über eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu reden. „Daran werden wir ihn auch messen.“

Was die SPD-Lesart betrifft, sollte man bedenken, mit welcher Vehemenz SPD-Frauen in die Koalitionsverhandlungen im März und April 2025 gegangen waren. Sie verlangten als Bedingung für die Zustimmung zu einer Koalition die Anpassung des Paragraphen §218. In einem offenen Brief an die SPD-Parteispitze schrieb die Bundesvorsitzende der SPD-Frauen, Ulrike Häfner, eine Reform der Regelungen nach Paragraph 218 StGB sei „essenziell für einen künftigen Koalitionsvertrag von Union und SPD“. „Eine Nicht-Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wäre ein Stillstand, den wir so nicht mehr akzeptieren“, so Häfner. „Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper muss für die SPD eine rote Linie sein.“ Mit der möglichen Übernahme der Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenkassen haben sie in diesem Sinn eine Tür zur Legalisierung eines Schwangerschaftsabbruchs geöffnet bekommen.

Der Bundeskanzler hatte am 18. Juli bei seiner Sommerpressekonferenz gesagt, die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag sollten ohne Abstriche kommen. „Welche Rechtsfolgen das hat, möglicherweise auch auf den Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches, kann ich jetzt nicht abschließend beurteilen“, so der Kanzler. Er wies darauf hin, dass Schwangerschaftsabbrüche derzeit rechtswidrig seien, aber unter bestimmten Umständen straffrei blieben. «Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten. Meine Vermutung ist, wir werden daran, jedenfalls deswegen, nichts ändern müssen», so Merz.

Doch bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Union sich tatsächlich entgegen ihrer bisherigen Haltung in den Verhandlungen mit der SPD über den Koalitionsvertrag auf eine Legalisierung von Abtreibungen in der Frühschwangerschaft eingelassen hat, wie Brosius-Gersdorf meint? Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geriet angesichts dieser Frage ins Schwimmen.

Das klingt alles erheblich anders als das, was Merz noch im November 2024, damals als Oppositionsführer, gesagt hatte. Damals zeigte er sich empört über einen Vorstoß zur kompletten Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft aus der Rest-„Ampel“ heraus.

Besonders verärgert war Merz über Kanzler Scholz, der die Initiative mit unterschrieben hatte. Merz damals wörtlich: „Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und von Gemeinsinn spricht, mit auf der Liste dieses Gruppenantrages mit seiner Unterschrift erscheint.“

Merz warnte damals vor einem „Großkonflikt“. Mit dem „Ampel“-Vorstoß solle nämlich versucht werden, den Paragraphen 218 „im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen“, sagte Merz. Es handele sich um ein Thema, „das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“.

„Wenn wir über dieses Thema reden, dann brauchen wir dafür Zeit, dann brauchen wir dazu auch Gutachten, was verfassungsrechtlich zulässig ist“, sagte Merz. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hatte erst im April 2024 Empfehlungen für eine Liberalisierung der Schwangerschaftsabbrüche vorgelegt und sich dafür ausgesprochen, das Gesetz aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

In der Union gärt es derweil, die Unzufriedenheit mit dem Politikstil der Unionsspitze ist offenkundig: „Wir schauen nicht mehr auf die Dinge selbst, wir leben und denken nur noch in Machtfragen“, klagt ein erfahrener Abgeordneter. Ein anderer sekundiert, dass nicht mehr in der Sache debattiert würde. Machttaktische Fragen hätten alles andere überlagert.

Die SPD-Parteiführung um Bärbel Bas und Lars Klingbeil freilich kann kaum mehr klein beigeben kann, ohne in der SPD heftigste Proteste auszulösen. Es braut sich etwas zusammen. Es geht der Union nur vordergründig um die Wahl von Brosius-Gersdorf, die von der SPD als Wegbereiterin der Legalisierung der Abtreibung instrumentalisiert wird. Nein, es geht es geht ans Eingemachte.

Gibt es für die CDU/CSU ein Hintertürchen? Für Fragen um die Schwangerschaftsabbrüche ist in Karlsruhe übrigens der Erste Senat zuständig, Frauke Brosius-Gersdorf soll nach dem Willen der SPD in den Zweiten Senat gewählt werden. Dort allerdings wäre sie womöglich für ein mögliches Verbot der AfD zuständig. Es bleibt aber der Konflikt zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem feministischen Prinzip „My Body my Choice.“

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel