
Der Autor, Journalist, Reporter und Podcaster Thilo Mischke soll ab Mitte Februar das ARD-Kulturmagazin „ttt“ moderieren. Seit der Ankündigung des Senders laufen woke Kulturschaffende Sturm, sie werfen dem designierten Moderator „Sexismus“ vor und verlangen, ihn zu canceln.
Seit die ARD ein paar Tage vor Weihnachten ankündigte, dass als Nachfolger von Dieter (seit 2013 Max) Moor ab 16. Februar 2025 Siham El-Maimouni und Thilo Mischke das Kulturmagazin „ttt – titel, thesen, temperamente“ moderieren sollen, tobt der linke Mob: Mischke, so der Vorwurf, habe sich „mehrfach öffentlich sexistisch und rassistisch geäußert“, seine Personalie stehe für das Problem der Bro Culture, in der patriarchale Denkstrukturen fest verankert seien, selbst bei dezidiert „progressiven“ Männern.
Als Beleg für den Vorwurf wird das Buch „In 80 Frauen um die Welt“ herangezogen. 2010 schilderte Mischke darin Reisen in verschiedene Länder, in denen er insgesamt 80 Frauen herumkriegen sollte – Resultat einer absurden Wette, die er in einer Bierlaune mit Freunden abgeschlossen haben soll. Gelänge es ihm, wollten ihm die Freunde die Reise bezahlen. Auch Passagen wie „Ich wollte Fingerabdrücke nehmen, heimlich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jeweiligen Sex“ bringen Mischkes Kritiker jetzt mit gehöriger Verspätung auf die Zinne.
Zwar kam es nur zu einigen und bei weitem nicht zu den 80 Sexualkontakten, die der Buchtitel suggerierte, und es geht im Buch wohl auch mehr um Land und Leute als um das Flachlegen junger Damen, aber das kann der Furor der Feministinnen nicht besänftigen. Mit diesem Werk habe sich der Autor, so die Leute, die ihn noch vor dem Start bei „ttt“ zu Fall bringen wollen, bis heute nicht kritisch auseinandergesetzt, so der Vorwurf. Tatsächlich hatte Mischke 2021 gesagt: „Das Buch hab ich vor dreizehn Jahren geschrieben, da gab es noch keine Sexismus-Debatte … Das Buch selber ist kein Fehler, der Titel ist ein Fehler, das ist mir immer ganz wichtig.“
Sex allerdings auch, mit dem Thema trat Thilo Mischke öfter in Erscheinung, etwa mit den Büchern „Wir, intim. Das Sexbuch“ und „Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen“ sowie 2012 und 2013 mit den ProSieben-Reportagen „Unter fremden Decken – Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt“. Auch für die Gentlemen’s Quarterly hatte er dazu eine Kolumne. Damit haben die linken Neopuritaner offenbar ein Problem, auch wenn Mischke, der in der Corona-Zeit die „unsäglichen Demonstrationen“ Maßnahmengegner als „frauenfeindlich, antidemokratisch, antisemitisch“ bezeichnete und in seinem Podcast gendert, klar zum Lager der Woken gehört.
Der Titel von Mischkes Buch weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden.
Aber unter den Ideologen kann man nie woke genug sein, irgendwann können selbst langjährige Mitstreiter auf einen losgehen, wenn ein falsches Wort ausgesprochen – oder ausgegraben wird. Denn während Ordnungswidrigkeiten – je nach Höhe der Bußgeldandrohung – nach sechs Monaten bis drei Jahren verjähren, gilt das für gewisse Aussagen nicht: 2019 hatte Mischke in einem Podcast die These aufgestellt, der Urmensch sei, „zu zärtlich“ zu Frauen, ausgestorben, während der heutige Homo sapiens überlebt habe, weil er Frauen vergewaltigte:„Und die Gesellschaft und die Moral, die wir in den letzten 2000 Jahren Christianisierung in Europa verteilt haben, hat uns das so ein bisschen abgewöhnt, dass wir nicht mehr vergewaltigen“, sagte er in seinem Podcast „Uncovered“. Vergewaltigung sei etwas „Urmännliches“, das man dem modernen Mann nur abtrainiert hätte. Und: „Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschenzeit, und überlebt haben die, die den Gendefekt hatten ‚Meine Vagina wird feucht‘, weil sie eben keine inneren Verletzungen beim Geschlechtsverkehr bekommen haben.“
War der Urmensch zu zärtlich zu Frauen und starb deshalb aus? Eine These, mit der Mischke aneckt.
Überlegungen zur Evolution, die für Mischkes Umfeld mehr als eine Mikroaggression darstellen. Das bringt ihn mit der Rape Culture in Verbindung und wirft ihm vor, wiederholt „sexistische und misogyne Stereotype“ zu bedienen. Der Journalistinnenbund, ein feministisches „Netzwerk für Frauen in den Medien“, verweist auf den „Baukasten gegen Sexismus“, mit dem die ARD vor einigen Monaten angekündigt habe, für eine Unternehmenskultur stehen zu wollen, in der Sexismus, sexuelle Belästigung und überholte Rollenklischees keine Chance haben.“ Mischke solle auf die Moderationstätigkeit verzichten.
In der taz schrieb eine Ann-Kathrin Lecrere, Mischke habe sich von seinen „früheren sexistischen, rassistischen und ableistischen Aussagen bisher nicht distanziert“, der Sender sollte seine Einsetzung als Moderator „und auch die Signalwirkung davon“ überdenken, schließlich habe man Personen des öffentlichen Lebens wegen problematischer Aussagen schon öfter „den Job streichen“ können.
Zuletzt haben sich auch noch 100 „Autor:innen und Kulturschaffende“ zusammengetan, um Mischke als „ttt“-Moderator zu verhindern. In einem Offenen Brief an die zuständige Programmdirektion der ARD, der im Tagesspiegel nachgelesen werden kann, erklären sie, eine Zusammenarbeit mit Thilo Mischke als Moderator der Kultursendung „schließen wir für uns aus“. Was zu verschmerzen wäre, zumal die Namen von 90 Prozent der Kulturschaffenden nur Insidern etwas sagen dürften. Der Rest gehört eher zum üblichen Unterschriftenkartell, von Sibel Schick und Margarete Stokowski über Hengameh Yaghoobifarah bis zum Aktivisten Raul Krauthausen.
Sie seien „bestürzt über diese Personalentscheidung der ARD, mit der die Kultursendung ‚ttt - titel thesen temperamente' nachhaltig beschädigt wird“. Die Sendeanstalt habe 2022 die Erklärung „Gemeinsam gegen Sexismus und sexuelle Belästigung“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterzeichnet und sich damit „verpflichtet, aktiv gegen Sexismus einzutreten“.
Ob Thilo Mischke hier Platz nehmen darf? Noch hält der Sender zu ihm.
Der so Attackierte hat sich, obwohl akut von linker Cancel Culture bedroht, bisher nicht in die Debatte hineinziehen lassen. In einem Instagram-Reel hatte er angekündigt, die Sendung zu übernehmen und erklärt, einen „unterkomplexeren“ Begriff von Kultur zu haben als Max Moor. Er sei als Kind von Buchhändlern aus Ost-Berlin mit Kultur aufgewachsen und verstehe seinen neuen Job als „Näherbringen von Kultur“, weil er möchte, „dass jeder Mensch in der Lage ist, Kultur zu konsumieren“. Zum derzeit tobenden Shitstorm verliert er kein Wort.
Anders als die „ttt“-Redaktion, die sich zu einer Stellungnahme genötigt sah („Wir nehmen eure Kritik ernst“). Man setze man sich konsequent mit Themen wie Sexismus und toxischer Männlichkeit auseinander („Feministische Perspektiven prägen unsere Arbeit und werden es auch weiterhin tun. Diese Werte sind nicht verhandelbar.“) und habe „intensive Gespräche“ geführt, um die Vorwürfe zu prüfen: „Wir sitzen das nicht aus.“ Andererseits war aus der ARD zu hören, der mehr als einmal ausgezeichnete Journalist und Reporter [Mischke erhielt unter anderem den Deutschen Fernsehpreis und den Bayerischen Fernsehpreis, Anm. d. Red.] habe „seine Kompetenz vielfach unter Beweis gestellt“. Man freue sich auf Mischke und seine Sicht auf Kultur.
Deutscher Fernsehpreis 2023: Thilo Mischke bekommt ihn für Beste Dokumentation/Reportage für seine Geschichte „Verlassen und vergessen? Afghanistan im Griff der Taliban“.
Die feministische Front gegen Mischke will jedoch nicht lockerlassen. Annika Brockschmidt behauptete in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, die Intention der „Causa TTThilo Mischke“ bestehe nicht darin, Mischke zu canceln, sondern zu hinterfragen, „ob er der geeignete Moderator für ein öffentlich-rechtliches Kulturformat sei, das wichtige Zeitgeistfragen verhandeln will.“ Da nützt Mischke auch die progressive Gesinnung nichts, die 100 „Kulturschaffenden“ möchten lieber „Moderatoren, die sensibel und empathisch in der Lage sind, auf Gegenwartsdiskurse zu antworten und der Komplexität aktueller Kulturdebatten gerecht zu werden.“ Trotz seiner nur 43 Lenze steht Mischke jetzt für den alten, weißen Mann – und der soll weg.
„Ich möchte lange genug leben, um mitzuerleben, dass die jüngere Generation nicht mehr woke genug für die nächste Generation sein wird“, hat der britische Comedian Ricky Gervais einmal gesagt. „So wird es passieren.“