Rechtssozialismus und die Gefährdung der Meinungsfreiheit

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Gleiche Rechte und gleiche Pflichten: Ab 1. Juli 2025 tritt in Dänemark die Wehrpflicht auch für Frauen in Kraft, die ab diesem Tag 18 Jahre alt werden . Dänemark ist neben Schweden das zweite Land der EU, das die Frauenwehrpflicht einsetzt. Als einen der Gründe nennt, laut der Welt, Verteidigungsminister Troels Lund Poulsen „die vollständige Gleichstellung von Frauen und Männern“ . Aber eine Gleichstellung, die Gleichheit auch materiell und nicht nur funktional als Gleichheit vor dem Recht versteht, führt in der Praxis zu Ungleichheit. Im Fall der Wehrpflicht werden die biologischen Bedingungen mit ihren sozialen Folgen nivelliert und Benachteiligungen von Frauen wahrscheinlich. Noch sind es in der Regel die Frauen, welche die Kinder zur Welt bringen und mindestens in den ersten Wochen und Monaten primär betreuen.

Das Verständnis von Gleichheit als materiell gleiche Rechte führt an die Wurzel von Problemen unserer Zeit, weit über die Frage von Gleichstellung und Wehrpflicht hinaus, und führt – auch wenn dies auf den ersten Blick verwundern mag – zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – lautet der erste Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Das Deutsche Institut für Menschenrechte legt diesen Satz auf der Startseite seines Webauftritts so aus, dass „dieser erste Artikel … jedem Menschen die gleichen Rechte“ garantiere, die „ihre Wurzel in der Würde eines jeden Menschen“ haben. Die Freiheit, das erste Wort der Erklärung, taucht bezeichnenderweise nicht mehr auf. Stattdessen betont das Institut die Gleichheit im Besitz von Würde und Rechten. Die Freiheit ist nur noch eins der „gleichen Rechte“ (Artikel 3 der Charta).

Zu diesen „gleichen Rechten“ gehört auch das Recht auf „Gesundheit und Wohl für sich selbst und die eigene Familie“ (Artikel 25). Die Erfüllung dieses Grundrechts weltweit mit dem Ziel der Gleichheit zu befördern ist die Aufgabe der WHO, und dieser Aufgabe sollen auch die Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) sowie der unlängst angenommene Pandemievertrag dienen.

Das klingt sehr gut. Aber dieses Rechtsverständnis öffnet Tür und Tor für Tendenzen, welche die Freiheit des Einzelnen gegenüber dem Kollektiv aufgrund des Anspruchs auf Gleichheit leicht zu relativieren erlauben, wie etwa im Fall von Einschränkungen des Einzelnen in der körperlichen Unversehrtheit durch Impfpflichten oder in der Meinungsfreiheit durch Schutz vor „schädlicher Information“ und durch Recht auf richtige Information auf Basis von „best science“.

Rechtspositive Ausführungen schwächen den Kern des Naturrechts, wie es die liberale Tradition entwickelt hat, welche zum einen die Freiheit vor die Gleichheit setzt und zum anderen Gleichheit als Gleichheit vor dem Recht versteht. Rechte werden primär als negativ, als Schutzrechte vor dem Anderen, speziell auch vor dem Staat, verstanden, nicht aber als Anrecht auf Herstellung von inhaltlich bestimmten Gleichheiten.

Das Recht wurde im Naturrecht metaphysisch oder transzendental begründet. Mit der positivistischen Verschiebung der Begründung von Recht in die Rechtsgeschichte wurde Recht alsbald nicht mehr als Prinzip der Rechtstradition, sondern als konkrete Rechte gedeutet. Die Kappung der metaphysischen – oder säkularisiert: transzendentalen – Begründung des Rechts förderte die Tendenz, die Freiheit als erstes und wesentliches Recht durch gleiche Rechte zu verdrängen.

So konnte eine Art Rechtssozialismus mit totalitärer Tendenz in dem Sinn entstehen, dass die Gemeinschaft rechtlich legitimiert das Leben des Einzelnen zwecks Herstellung von Gleichheit nicht nur steuern kann, sondern sogar steuern soll – durch Gebote, Erziehung bzw. Propaganda sowie durch Verbote, Zensur und Bestrafung bzw. Suppression.

Genau diese Situation erleben wir heute, und sie wird rechtlich und organisatorisch durch vor allem die WHO, die UN und die EU im Zusammenspiel mit der jeweiligen nationalen Gesetzgebung bewirkt. So haben Demokratien Lenkungstendenzen entwickelt, die durch Gesetze und unter dem Deckmantel der Menschenrechte auch mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz in die körperliche, seelische und geistige Freiheit des Menschen eingreifen. Die Umsetzung solcher Lenkungstendenzen erfolgt durch international und national verflochtene Komplexe aus Verträgen, Abkommen und Gesetzen sowie durch entsprechende Organisationstrukturen, die mit den Eigenschaften attraktiver Geschäftsmodelle unter Nutzung von Public Privat Partnerships arbeiten.

Der am 20.Mai 2025 auf der 78. Weltgesundheitsversammlung in Genf angenommene Pandemievertrag ist ein solches Lenkungsinstrument: Zwar wird die Beachtung der Souveränität der Staaten betont, indem die Staaten „Ziel“ und „Bestimmungen“ in ihre Gesetzgebung selbst umsetzen sollen. Aber wenn die Bestimmungen des Pandemievertrags umgesetzt werden, entsteht eine Struktur mit zentralisierten Steuerungsfunktionen.

Der Pandemievertrag zielt auf den Aufbau einer koordinierten Struktur für alle Aspekte zur „Pandemieprävention, -vorsorge und -bekämpfung“. Unter anderem gehört dazu auch der Aufbau eines institutionellen Systems für die ‚Risikokommunikation‘ bzw. ein Informationsmanagement in Gesundheitsfragen, das alle beteiligten Länder in einer gemeinsamen Struktur verknüpft (Artikel 6(2)(d)). Ein solches Informationsmanagement bedeutet einerseits die Löschung von Informationen, die als falsch bzw. schädlich erachtet werden (Zensur), sowie andererseits die Verbreitung von gewünschter Information (Art. 18 (1)) (Propaganda). Grundlage für die Bewertung als schädliche oder gewünschte Information soll die „beste verfügbare Wissenschaft und Evidenz“ (Art. 3(6)) sein.

Die Bestimmung der „besten“ Wissenschaft und mit ihrer Hilfe von gewünschter bzw. schädlicher Information erfolgt durch die WHO. Die Kategorisierung der Information nimmt EPI-WIN vor, das WHO Information Network for Epidemics, das für den Fall von Epidemien die „wissenschaftlichen Informationen rechtzeitig bereitstellt“ und diese „in Notfällen für alle Gemeinschaften zugänglich, verständlich und aussagekräftig macht, damit deren Entscheidungen, Strategien und Maßnahmen auf fundierten Erkenntnissen beruhen.“

Das Informationsmanagementsystem der WHO wird in der EU durch den Digital Services Act (DSA) gefördert. Die Anwendung des DSA wird wiederum durch ein Werkzeug unterstützt, das die EU-Ebene mit der nationalen verzahnt: die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO), ein zentralistisch und hierarchisch aufgebautes Netzwerk, das 2020-2025 von der EU Kommission 27 Millionen Euro zur Bekämpfung von Desinformation erhielt (S.15). Seine Berichte und von ihm entwickelten Kriterien können zur – auch algorithmischen – Bewertung von Desinformation herangezogen werden. Auf Länderebene ist wiederum ein Koordinator für digitale Dienste zuständig, der seinerseits „Vertrauenswürdige Hinweisgeber“ (Trusted Flagger) erwählt.

Aus der Koordination privatwirtschaftlicher und staatlicher Interessen wird ein strukturierter Zensurkomplex als Businessmodell aufgebaut, der auf eine koordinierte, effektive Durchsetzung der Löschung von Desinformation aus der Sicht der von WHO und EU eingesetzten Organisationen zielt. Es gilt die Beweislastumkehr: Der Nutzer muss sein Recht auf Meinungsfreiheit im Fall einer Löschung selbst mit Klagen vor Gericht durchsetzen.

Zu der geschilderten Situation durch WHO und den DSA in der EU kommen nationale Besonderheiten hinzu. Deutschland hat in den letzten Jahren eine Konstellation von Gesetzesänderungen entwickelt, welche den Spielraum von Meinungsäußerungen gegenüber früher deutlich einengen, zum Beispiel durch Verschärfung des Disziplinarrechts und auch durch die Verschärfung der Sanktionierung von Politikerbeleidigung seit 2021 (§ 188 StGB). Die Politikerbeleidigung zählte neben Volksverhetzung (§ 130 StGB) zu den Hauptanlässen für frühmorgendlichen Besuch, den rund 65 Haushalte in der vergangenen Woche im Rahmen des 12. Aktionstags gegen Hasspostings in Deutschland erhielten. Es kam zu „180 Maßnahmen für mehr als 140 Ermittlungsverfahren“, die meisten sollen aus dem „rechten Spektrum“ gekommen sein. Die Ahndung der Politikerbeleidigung ist in Deutschland auch ein einträgliches Geschäftsmodell für Organisationen wie So Done oder Hateaid.

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kündigt weitere Verschärfungen an. So sollen „klare gesetzliche Vorgaben“ gegen die „bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ entwickelt werden. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 917/09) vom 28.11.2011 sind jedoch nur „bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen“ nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt, „da sie zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung nichts beitragen können (vgl. BVerfGE 61, 1; 90, 241).“ Weiter heißt es dort aber auch: „Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet. Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 90, 241; stRspr).“

Offenbar ist die neue Bundesregierung der Auffassung, dass solche Abwägungen, wie sie die Rechtsprechung bisher verlangt, zukünftig durch neue „klare gesetzliche Vorgaben“ unnötig gemacht werden. Außeracht lässt sie dabei, dass die Feststellung von Tatsachen keine triviale Angelegenheit ist, wie es auf den ersten Blick scheint: Auch Fakten setzen grundsätzlich mehr oder weniger komplexe Konzepte sowie Mittel zu ihrer Feststellung voraus. Sachverhalte können so selektiert und präpariert werden, dass sie eine bestimmte gewünschte Ansicht stützen, aber mitnichten wahr sind. Erst eine umfängliche Überprüfung der sogenannten Fakten – die, wie im Fall etwa von Kriegsverbrechen, unter Umständen so gut wie unmöglich sein kann – kann deren Bedeutung im jeweiligen Fall erschließen und eine mögliche Täuschung detektieren. Tatsachen, welche eine Regierung für wahr hält, und die bewusst von Kritikern als entlarvt werden, oder umgekehrt, Tatsachen, welche die Regierung für unwahr hält, die aber von Kritikern begründet vertreten werden, könnte die neue Bundesregierung also vielleicht unter Strafe stellen.

Eine Einengung der Meinungsfreiheit erfolgt in Deutschland auch durch die Ausweitung der Befugnisse des deutschen Inlandsgeheimdienstes, des Verfassungsschutzes. Im April 2021 richtete das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz in der Reaktion auf die Proteste gegen die Coronamaßnahmen einen neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein. Der neue Beobachtungsauftrag soll sich mit Akteuren befassen, welche, auch wenn sie keine „offene Ablehnung der Demokratie als solche“ zeigen, diese dennoch gefährden, indem sie „das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen“ drohen. Solche Akteure untergraben durch „ständige Verächtlichmachung“ und „Agitation“ das Vertrauen in „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen“, in „behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen“, in „demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates“ (S.144 im Verfassungsschutzbericht 2023).

Alle Bürger, besonders aber auch Beamte und politische Beamte, müssen in Deutschland sehr genau aufpassen, wann, wo und wie sie etwas äußern. Zu den Themen, deren Diskurs in der Öffentlichkeit unter solche gesetzlich und institutionell verankerten Kontrollen fallen, gehört auch die Gesundheitspolitik. Der soeben publizierte Verfassungsschutzbericht 2024 führt die „Forderung nach einer „Aufarbeitung“ der Coronapandemie (auch in Form einer strafrechtlichen Verfolgung der für die Schutzmaßnahmen verantwortlichen Politikerinnen und Politiker)“ (S. 135) als Grund für eine Überwachung von Einzelpersonen im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates an.

Wir leben in einer Zeit der Erosion freiheitlicher Demokratie, indem Gesetz und Rechtsprechung nicht mehr primär zum Schutz, sondern vielmehr zur Lenkung des Bürgers benutzt werden. Was können wir dagegen tun? Wir sollten die Tricks und Techniken entlarven, welche unter schönem Deckmantel wie der Gleichheit aller eine legalisierte Durchsetzung und Erzeugung gesellschaftlicher Akzeptanz von totalitären Tendenzen ermöglichen und Forschung wie Medien durch Privilegierung und Finanzierung steuern. Und wir sollten das Übel bei der Wurzel packen, welches dieses System scheinbar menschenfreundlicher Unfreiheit ermöglicht: das Menschenbild. Der Pandemievertrag nennt die Basis seines Menschenbildes explizit: Es basiert auf der Verhaltensforschung (Behavioural science, Art. 6(2)d), welche Menschen analog zu Tieren als steuerbar versteht. Die freie aufgeklärte Entscheidung wird dem Menschen nicht nur nicht zugetraut, sondern sie wird vielmehr als kontraproduktiv, ja zu bestimmten Themen und zu bestimmten Zeiten sogar als brandgefährlich angesehen. Um ihr vorzugreifen, braucht es nicht nur eine gelenkte öffentliche Meinung, sondern auch deren möglichst weitgehende Kontrolle.

Um die Menschenwürde im vollumfänglichen Sinn wiederherzustellen und mit ihr ein liberales Naturrecht, das die Freiheit des Einzelnen als Basis des Rechts setzt, braucht es einen Ansatz, der die Unverfügbarkeit des Menschen erklärt und ihn somit aus der Verfügbarkeit der Rechtsbegründung durch Machthaber, die ihre Inhalte als Maßstäbe selbst setzen wollen, herausstellt. Eine solche Begründung kann auch heute noch auf transzendentalphilosophische Weise erfolgen, die den Vorzug hat, säkular zu sein und ohne religiöse Annahmen auskommen zu können.

Prof. Dr. phil. Henrieke Stahl lehrt slavische Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Sie ist 1.Vorsitzende des Vereins für Interdisziplinäre Forschung in Medizin und Ethik für die Gesellschaft (Methig.org), Mitglied des Leonhard-Kreises (leonhard-kreis.ch) und der WerteUnion.

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