Vorschläge aus CSU und SPD lenken von wahren Ursachen ab

vor 6 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Eine Tafel Schokolade nach Äthiopien für jedes Mal, wenn in Deutschland jemand fordert, die Krankenversicherung müsse reformiert werden – und Äthiopien bräuchte ein Programm gegen Adipositas. Obwohl die diversen Vorschläge und Forderungen seit Jahrzehnten immer wieder kommen, haben Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) einen Arbeitskreis gegründet. Sie nennen ihn “Kommission”. Der Arbeitskreis soll eine Reform der Krankenversicherung vorbereiten.

Dabei ist die Bundesregierung ein Hauptgrund für die Kostenmisere der Kassen – und will es bleiben: Obwohl die schwarz-rote Koalition 850 Milliarden Euro neuer Staatsschulden aufnimmt, fehlt es dem Bund angeblich an Geld, um seine Rechnungen gegenüber den Krankenkassen zu bezahlen. Etwa für die Gesundheitsversorgung der Empfänger von staatlichen Transfers wie Bürgergeld. Die kostet im Jahr 10 Milliarden Euro mehr, als der Bund bezahlt. Das moniert der Dachverband der Kassen, die GKV, seit Jahren. Nachdem die Kassen ihre Beiträge zum Jahresbeginn im Schnitt um 0,8 Prozentpunkte erhöht haben, forderte Gesundheitsministerin Warken in den Verhandlungen um den Haushalt, der Bund solle eine Reform der Kassen doch damit beginnen, dass er die Kosten für die Empfänger von Bürgergeld voll übernimmt – statt sie wie bisher auf die Betriebe und Beschäftigte abzuwälzen, die mit ihren Beiträgen die Kassen finanzieren.

Trotz 850 Milliarden Euro neuer Staatsschulden lässt Klingbeil Betriebe und Beschäftigte weiter für die Empfänger von Bürgergeld zahlen. In seinem Entwurf für den Haushalt dieses Jahres und in den Eckwerten für den Haushalt des nächsten Jahres sieht Klingbeil gerade mal 4,6 Milliarden Euro für die Kassen vor. Zusammen. Und auch das nur als Kredit, den diese zurückzahlen müssen. Wenn der Arbeitskreis getagt hat – die Kassen reformiert und alle Probleme beseitigt wurden. Soweit der Plan.

Die ersten Vorschläge für die besagte Reform machen die Runde. Die Landespolitiker Klaus Holetschek (CSU) und Jochen Ott (SPD) sind mit der Idee vorgeprescht, per staatlicher Initiative die Zahl der Kassen zu reduzieren. Derzeit gibt es knapp 100 Kassen in Deutschland. Der Vorschlag ist ebenso populär – wie er wenig zielführend ist. 340 Milliarden Euro geben die Kassen im Jahr aus. Die Verwaltungskosten machen zwischen vier und fünf Prozent dieser Kosten aus, liegen also etwa bei 15 Milliarden Euro. Würde eine Reform zur Halbierung der Kosten führen, ließen sich 7,5 Milliarden Euro einsparen – das wäre weniger als die Summe, die der Bund den Kassen schuldet.

Nur ist diese Einsparsumme völlig unrealistisch. Zwar bedienen Politiker wie Ott und Holetschek mit ihren Vorschlägen das Klischee von den Kassen, deren Mitarbeiter sich die Taschen voll machten. Doch die meisten dieser Mitarbeiter sind “Sozialversicherungsfachangestellte”. Sie arbeiten als Fallmanager in der allgemeinen Kundenbetreuung oder in der Bearbeitung chronischer und teurer Volkskrankheiten, etwa Diabetes. Auf wie viele Versicherte wie viele Angestellte kommen, das ist in der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich geregelt. Wenn auf 100 Krankenkassen verteilt 50.000 Fallmanager arbeiten, würden in einer Einheitskasse ebenfalls 50.000 Fallmanager arbeiten. Einsparung also: gleich null.

Der populistische Vorschlag von Ott und Holetschek zielt ohnehin auf die Vorstände. Neiddebatten funktionieren halt besser gegen Nadelstreifen. Nur ließen sich mit der Einheitskasse vielleicht zehn Vorstandsposten pro Kasse einsparen. Zusammen wäre das im Jahr großzügig gerechnet eine Summe von 340 Millionen Euro. Viel Geld. Ja. Aber in den gesamten Ausgaben der Kassen gerade mal ein Promille.

Für eine Einheitsversicherung würden aber die Versicherten einen viel höheren Preis zahlen. Die Konkurrenz von knapp 100 Kassen zwingt einen Fallmanager dazu, einen Versicherten wie einen Kunden zu behandeln, der die Option hat zu wechseln. Mit der Einheitsversicherung würde sich das Verhältnis ändern. Aus Dienstleister und Kunde würden Staatsvertreter und Untertan. Wie sehr die Versicherten mit der Einheitsversicherung zu Bittstellern werden, wissen die Briten. Im Königreich rechnen die Bürger mit dem NHS ab – dessen Bräsigkeit ist eher Grund für den Ruf nach Reformen als die Antwort auf die Forderung nach Reformen. Statt wirklich 340 Millionen Euro zu sparen, würde eine Einheitsversicherung in Deutschland eher eine Mammutstruktur schaffen, in der mehr Geld versickert als eingespart wird.

Die Debatte von Ott und Holetschek hat eher das Zeug dazu, von den eigentlichen Gründen für die finanzielle Schieflage der Kassen abzulenken. Denn deren Ursachen gehen auf politische Entscheidungen zurück, die von den Kanzlern Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) getroffen wurden. Der Umgang mit Kritik an diesen Entscheidungen ist, die Kritiker maximal zu diskreditieren und gesellschaftlich auszuschließen:

Eine Ursache ist die illegale Einwanderung, die seit 2015 eskaliert. Knapp die Hälfte der Empfänger von Bürgergeld sind Ausländer, über ein Drittel sind Deutsche mit Migrationshintergrund. Dazu kommt die Pandemiepolitik mit all ihren zusätzlichen Kosten und die Wirtschaft, die in Folge der Deindustrialisierung der Ampel schrumpft. Seit Ende 2023 “trübt sich” die finanzielle Lage der Kassen ein, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD antwortet. Zwar seien die Einnahmen – vor allem als Folge der Inflation – gestiegen. Doch die Ausgaben sind noch deutlich stärker angewachsen. Das hat zu einem Defizit von über zehn Milliarden Euro in der Gesundheitsversorgung geführt. Also genau die Summe, die der Bund den Kassen übers Bürgergeld schuldig bleibt. Würde der Bund für seine Bürgergeld-Empfänger aufkommen, hätte der Kassenbeitrag zum Jahreswechsel nicht steigen müssen.

Ott und Holetschek haben also mit der Forderung nach Abschaffung einzelner Kassen ein Ablenkungsmanöver gestartet. Doch dahinter steckt mehr. Die beiden sind die Fraktionsvorsitzenden der SPD und CSU in Nordrhein-Westfalen beziehungsweise Bayern. Sie gehören also beide durchaus zu der ersten Reihe der Landespolitik – sie lassen damit erkennen, wie in den beiden Berliner Regierungsparteien gedacht wird. Und worauf die Reformen des Arbeitskreises hinauslaufen. Neben dem Abschaffen von Kassen wollen sie auch an die Versorgung der Versicherten ran.

Damit verstärkt die schwarz-rote Koalition einen Trend, wonach die Arbeitnehmer immer mehr für ihre Gesundheitsversorgung einzahlen – und immer weniger herausbekommen. Auch, weil sie für die mitzahlen müssen, die nicht arbeiten und nicht einzahlen. Wobei der Anstieg der Beiträge für die Kassen noch lange nicht zu Ende ist. Laut Schätzerkreis steigen die Kosten der Kassen im laufenden Jahr um 1,7 Prozentpunkte stärker an als ihre Einnahmen. Klingbeils Kredit würde diesen Effekt nur abbremsen, nicht ausgleichen. Die Kassen müssten dann zum Jahreswechsel erneut die Beiträge erhöhen. Schon jetzt liegen die Lohnnebenkosten in Deutschland bei 41,9 Prozent – entsprechend würde die Schallmauer von 42 Prozent in diesem Jahr zerbersten.

Die Krankenversicherung muss reformiert werden. Bloß weil es permanent versprochen wird, wird es dadurch ja nicht falsch – die Probleme aber auch nicht gelöst. Doch der Arbeitskreis müsste an die Probleme ran, die zu kritisieren in Deutschland als Tabu gilt – und zur Ausgrenzung der Kritiker führt. Deswegen sind von der “Kommission” eher Ablenkungsmanöver zu erwarten sowie Kürzungen der Leistungen und Erhöhungen der Abgaben für die Arbeitnehmer, die alles erwirtschaften. Die, von denen CDU, CSU und SPD vor Wahlen immer erklären, sie entlasten zu wollen. Würden die für jedes gebrochene Versprechen eine Tafel Schokolade erhalten, bekäme Deutschland ein massives Diabetes-Problem.

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