
Es ist keine neue Erkenntnis, dass vieles unrecht ist an der Welt.
Unter dieser Überschrift dachte schon vor über hundert Jahren der englische Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton über die Ungerechtigkeiten und Irrtümer der Gegenwart nach. Er stieß im gleichnamigen Buch unter anderem auf den Imperialismus, auf die neuen Heuchler und auf „Unterdrückung durch Optimismus“.
Von der Demokratie dachte Chesterton sehr groß, aber er kannte deren Herausforderungen. Sie beruhe auf Zwangsherrschaft und sei als „eine direktere Form des Regierens gedacht, nicht als eine indirekte“. Volksherrschaft und Parteiendemokratie können in ein Spannungsverhältnis geraten.
Gilbert Keith Chesterton erkannte, dass echte Demokratie den Mut erfordert, den Ungerechtigkeiten der Welt direkt entgegenzutreten, anstatt sich auf die indirekte Herrschaft von Parteien zu verlassen.
Chesterton war ein heiterer Empörer, aber er empörte sich eben doch. Er wusste, dass keine Staats- und keine Regierungsform vor der Gefahr verschont bleibt, durch organisiertes Unrecht ihre Legitimation einzubüßen. Er wandte sich 1910 gegen die „Macht unserer oberen Klassen“, die „immer mit dem ‚Fortschritt‘ gegangen sind“. In diesem Sinn betreibe die herrschende Elite eine „Unterdrückung durch Optimismus“.
Der Engländer konnte nicht wissen, welche Zustände später in Deutschland herrschen würden. Heute verordnet die neue regierende Funktionselite den Bürgern Zukunftsfreude im Namen der Klimagerechtigkeit, der Transformation, der globalen Solidarität.
Olaf Scholz behauptet, er arbeite als Kanzler, damit „unser Land modern wird und vorankommt“. Auf diesem Weg sei „die allergrößte Gefahr für unser Land, dass Miesepetrigkeit die Oberhand gewinnt, dass Missgunst und Zukunftsangst die Oberhand gewinnen.“ Robert Habeck setzt in seinem Kanzlerwahlkampf für die Grünen ganz auf Optimismus und Zuversicht – sagt er.
Optimismus als Regierungsprogramm: Robert Habeck inszeniert sich als Botschafter der Zuversicht.
Parallel stürzt der Wirtschaftsstandort Deutschland in nahezu allen Rankings ab und droht sich eine „Herrschaft des Unrechts“ zu etablieren – ohne dass es genügend Empörer gäbe, genügend leidenschaftliche Demokraten, die aufbegehren wie damals Chesterton. Viel zu viele haben sich an das grassierende, beileibe nicht nur juristisch zu fassende Unrecht gewöhnt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer sprach einst von der „Herrschaft des Unrechts“. Er meinte damals, 2016, die Situation an den deutschen Grenzen unter Kanzlerin Angela Merkel. Der Christlich-Soziale berief sich auf den ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio und dessen Einschätzung: „Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur unbegrenzten Aufnahme von Opfern eines Bürgerkriegs oder bei Staatenzerfall besteht nicht.“ Der Bund müsse „wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder einführen“, sofern die Außengrenzen der EU nicht wirksam geschützt würden.
Daran hat sich nichts geändert. Jeder Mensch, der das Wort „Asyl“ auszusprechen vermag, wird auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik willkommen geheißen. Das Grundgesetz sieht anderes vor: Auf das Grundrecht auf Asyl, heißt es in Artikel 16a, könne sich nicht berufen, wer aus einem EU-Land oder einem sicheren Drittstaat einreise.
Das trifft auf nahezu alle Asylmigranten zu. Sie müssten abgewiesen werden, aber sie werden hereingelassen. Der Herrschaft des Unrechts hat die amtierende Bundesregierung eine Bestandsgarantie gegeben. Die breite Empörung bleibt aus.
Auch ein weiterer Ehrgeiz der Bundesregierung hätte Chesterton die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Geradezu besessen ist die Ampel und was von ihr übrigblieb von ihrem Kampf gegen „Hass und Hetze“. Robert Habeck hat in den vergangenen drei Jahren über 800, Annalena Baerbock über 500 Bürger deswegen angezeigt.
Die deutsche Außenministerin lässt sich Beleidigungen im Netz oft nicht gefallen.
Schon harmlose Meinungsäußerungen überstrapazieren das Nervenkostüm und die Toleranz der sofort beleidigten Grünen. Auch die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser hat sich dem Feldzug gegen unliebsame Aussagen angeschlossen. Eine Regierung, die gegen den Souverän, das Volk, gerichtlich vorgeht, ist unrecht – und holt mit dem Vorschlaghammer gegen die Fundamente der Demokratie aus.
Von größeren Demonstrationen für die Meinungsfreiheit, für die Republik und gegen die Amtsanmaßung der Regierenden ist nichts bekannt. Der deutsche Michel lässt sich die Erziehungsmaßnahmen gefallen. Auch daraus könnte sich ein Problem entwickeln: Die Demokratie braucht Streiter, die sie gegenüber der Obrigkeit verteidigen, furchtlos und unverzagt auch dann, wenn es sie selbst (noch) nicht betrifft. Die Einschläge kommen näher. Deutschland sollte sich nicht in eine Kraterwüste der Freiheit verwandeln.
Dazu kommt ein horrendes Ungleichgewicht, das ebenfalls unrecht ist. Bürger müssen also damit rechnen, wegen Regierungskritik Strafe zahlen zu müssen. Schon ein „Schwachkopf“ oder ein „Idiot“ in den sozialen Netzwerken kann für eine Geldbuße ausreichen. Mit einer Demokratie, die ihren Namen verdient, lässt sich eine solche Sanktionierung der Meinungsfreiheit nicht in Einklang bringen.
Stefan Niehoff aus Unterfranken hatte im Juni 2024 dieses Meme auf der Plattform X gepostet.
Parallel aber sind rund 145.000 Haftbefehle nicht vollstreckt. Auch Mörder, Totschläger, Vergewaltiger erfreuen sich eines freien Lebens in Deutschland. Das ist ein noch größerer Skandal als jene über 200.000 ausreisepflichtigen Asylbewerber, die das Land verlassen müssten, es aber nicht tun. Unrecht ist beides.
Nicht oppositionelle Populisten, wie die regierenden Parteien es in eigenem Interesse verkünden, setzen die Demokratie unter Druck. Nein. Demokratie schwindet dort, wo die Regierung keinen Widerspruch erträgt, wo sie Meinungen kriminalisiert – und der Aufschrei ausbleibt. Wer sich an das gewöhnt, was unrecht ist in der Welt, wacht auch als deutscher Michel in der Unfreiheit auf.