
Der Berliner Rechtsprofessor Christoph Möllers übt scharfe Kritik am intransparenten Verfahren zur Besetzung des höchsten deutschen Gerichts. Die Versuche, den Wahlorganen Kandidaten unterzujubeln, hätten jetzt nicht mehr funktioniert, so der Jurist im „Einspruch“ Podcast der FAZ.
Das Bundesverfassungsgericht sei „eine Besonderheit“, die „sehr viel mit politischer Kultur zu tun“ habe. „Ein Organ, das die Kompetenz hat, Gesetze aufzuheben, wie das Bundesverfassungsgericht, kann nicht in einem unpolitischen Verfahren ergänzt werden“, stellte Möllers fest. Ein bürokratischer Prozess etwa sei illegitim. Die Wahl im Bundestag und die dafür vorgesehene Zweidrittelmehrheit sichert erfolgreich den notwendigen „gewissen Zentrismus“ des Gerichts.
Dass die Öffentlichkeit meist nur durch Leaks von den Kandidaten erfährt, hält Möllers für problematisch: „Sowas wie ein Amt der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts einfach mal so unter Ausschluss der Öffentlichkeit einem Verfassungsorgan vorzulegen, und dann darüber abzustimmen – das geht eigentlich nicht“.
Jahrzehntelang entschied sogar nur ein kleiner Richterwahlausschuss abschließend, wer dem Gericht angehören sollte – entgegen dem Wortlaut des Grundgesetzes. Das Plenum des Deutschen Bundestages war nicht direkt beteiligt. Offiziell sollten die Kandidaten vor einem „Zerreden“ ihrer Position und öffentlicher Demontage geschützt werden. Realpolitisch gebe es „eine große Angst, Kandidaten zu diskutieren“, so Möllers im Gespräch mit Patrick Bahners.
Erst seit 2015 wählt die Gesamtheit der Abgeordneten die Richter – allerdings ohne Aussprache, ähnlich wie bei der Wahl des Bundespräsidenten. Vor diesem Hintergrund kann es kaum überraschen, dass die öffentliche Debatte über die Eignung der Kandidaten erst in den letzten Jahren an Fahrt gewonnen hat. Laut Möllers liegt es sowohl im Interesse des politischen Betriebs als auch des Gerichts, „unbeschädigte“ Persönlichkeiten zu Richtern zu machen.
Der Staatsrechtler betonte jedoch, zu einer öffentlichen Debatte bestehe „keine Alternative“. Wer „drei Wochen öffentliche Debatte nicht durchhält“, könne eben nicht gewählt werden. Eine formale Befragung der Kandidaten wie bei den Anhörungen zum US Supreme Court befürwortet Möllers allerdings nicht. Dabei drohten „Show“ und „Spektakel“ das Verfahren zu dominieren. Vielmehr müsse zugelassen werden, dass die allgemeine Öffentlichkeit sich mit den potenziellen Höchstrichtern auseinandersetzt. Genau das ist in den letzten beiden Wochen geschehen.
Christoph Möllers hat den „Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht, und Rechtsphilosophie“ an der Humboldt-Universität zu Berlin inne. Er befasst sich intensiv mit Gewaltengliederung und Parteiverbotsverfahren und ist Mitglied der SPD. Ebendiese SPD hat nach einer informellen Absprache einzelner Bundestagsfraktionen das Vorschlagsrecht für die Nachfolge der Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Doris König, und möchte Frau Professor Frauke Brosius-Gersdorf auf diesem Posten durchsetzen – bislang ohne Erfolg.