Risiko freie Meinungsäußerung: Dort acht Jahre Haft, hier 16.000 Euro Strafe

vor 10 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Über acht Jahre Haft, Entschädigungszahlungen von umgerechnet 47.000 Euro und eine Geldstrafe in Höhe von 1.170 Mindestlöhnen: Eine drakonische Strafe für schwerste Verbrechen? Keineswegs. Zu dieser Strafe wurde nun Leo Lins in São Paulo verurteilt.

Sein Vergehen? Der 42-Jährige Brasilianer ist Komiker. Und er hatte in seiner Stand-Up-Comedyshow „Perturbador“ („der Verstörer“) von 2022 das getan, womit er seinen Lebensunterhalt verdient: Er hatte Witze gemacht.

Darunter waren auch „diskriminierende Äußerungen“ gegen Schwarze, ältere Menschen, Übergewichtige, Menschen mit HIV, Homosexuelle, Indigene, und gegen das brasilianische Pendant des Ostfriesen, den „Nordestino“. Auch Juden, Evangelikale, Behinderte oder Menschen, die stottern, waren nicht sicher vor „kollektiven moralischen Schäden“, die er ihnen laut Urteil durch seinen Humor zufügte. Das hat nun bittere Folgen für den Comedian.

Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, aber allein die Tatsache, dass ein Entertainer für Witze auf der Bühne verurteilt werden kann, sendet ein klares Signal an Satiriker, System- und Regierungskritiker und andere Aufmüpfige: Selbst unter despotischen Herrschern, denen gegenüber Kritik potenziell lebensgefährlich sein konnte, gab es die Instanz des Hofnarrs. In autoritären und totalitären Systemen war der Witz die letzte Zuflucht für jene, die sich nicht ganz den Mund verbieten lassen wollten. Doch nun geht es auch dem Humor an den Kragen, gleich, ob er explizit der Kritik dient, oder nur der Unterhaltung und Herumblödelei; und das in nominell demokratischen Gesellschaften.

Dass Regierungskritiker mundtot gemacht und mit Repressalien überzogen werden, ist auch in Deutschland alles andere als eine Seltenheit – auch wenn sich gegenüber diesem völlig überzogenen Strafmaß skandalbehaftete Urteile und Hausdurchsuchungen wegen „Schwachkopf“- und Faeser-Memes geradezu harmlos ausnehmen. Dennoch stellen auch diese Maßnahmen eine ernstliche Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.

Rentner werden mit Hausdurchsuchungen schikaniert, Journalisten sanktioniert, obwohl das Aussprechen und Aufschreiben unangenehmer Wahrheiten und Meinungen zu ihrem Berufsbild gehört – so wie das Witze Erzählen zum Profil des Komikers.

Während er dies sagt, verhaspelt er sich, und setzt die erste Silbe des Wortes „Qualität“ neu an.

Die Folge: Ein Strafbefehl über 16.000 Euro. Er habe eine nationalsozialistische Parole verwendet, behaupten die Braunschweiger Strafverfolgungsbehörden: Aus „Ka – Qualität“ hören sie „Sieg Heil“ heraus. Wie, das bleibt ihr Geheimnis.

Tim Heldt ist dementsprechend baff: In einem Video spielt er die betreffende Stelle in langsamem Tempo ab, bemüht die automatische Transkription: Auch YouTube kann die Naziparole nicht heraushören.

Die US-amerikanische Öffentlichkeit reagierte geschockt – wurde sie hier doch Zeuge, wie wahr und relevant die Kritik ist, die JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz an der europäischen Haltung zur Meinungsfreiheit übte.

Die haltlosen Anschuldigungen gegen Tim Heldt werden keinen Bestand haben. Aber sie kosten den jungen Mann Geld und Nerven – und womöglich die Unbefangenheit, mit der er in Zukunft seine Stimme in der Öffentlichkeit erheben wird. Und auch, wer noch nicht ins Fadenkreuz einer deutschen Staatsanwaltschaft geraten ist, droht, wird sich womöglich durch einschüchtern lassen.

Für Leo Lins kann man nur hoffen, dass ein Berufungsverfahren ihm bescheinigen wird, dass Witze auf Kosten anderer erlaubt sind – oder soll „Komiker“ in Brasilien allen ernstes zum Hochrisikoberuf mutieren?

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