
Der Deutsch-Schweizer Roland Schatz verfolgt mit seinem Medienanalyse-Unternehmen Media Tenor seit Jahrzehnten Wahlkämpfe. In TE spricht er über Olaf Scholz’ Image, die Einseitigkeit von ARD und ZDF – und Robert Habecks Kampagne.
TE: Herr Schatz, Sie verfolgen mit Ihrem Schweizer Forschungsinstitut Media Tenor seit über 30 Jahren das Image von Politikern in den Medien. Welches Bild ergibt sich aus Ihren Daten kurz vor der Bundestagswahl?
Roland Schatz: Wir sehen in unseren Daten, dass sich das mediale Bild der SPD und ihres Kanzlerkandidaten in den vergangenen Wochen deutlich zum Negativen entwickelt hat. Zum einen erinnert mich das Einbrechen der SPD an 1994 und die verzweifelten Versuche von Rudolf Scharping, gegen Helmut Kohl zu bestehen. Auch damals konnten wir sehr genau sehen, wie das mediale Bild des Kandidaten ins Negative kippte. Die Umfragedaten folgten dem Trend – und schließlich auch das Wahlergebnis. Auf der anderen Seite bin ich geradezu erschüttert, wie stark die Partei-Mitgliedschaft bei den Sendern ARD, Deutschlandradio und ZDF die Berichterstattung dominiert: Der Zuschauer hat immer mehr den Eindruck, als würden die Fragen, die Studiogäste sowie die Meinungsumfragen direkt von der SPD kommen. So dreist waren die Öffentlich-Rechtlichen in ihrer Unterstützung einer Seite noch nicht einmal 2021.
Wie erklären Sie das schlechte Medienbild von Olaf Scholz? Liegt das eher an der Partei – oder an dem Kandidaten selbst?
Was erwarten Sie, wenn selbst der SPIEGEL vor zwei Wochen zu dem früheren Hamburger Ersten Bürgermeister die Frage in seinem Leitartikel aufwirft, ob er in der Warburg-Affäre gelogen hat? Die ZEIT, eigentlich der SPD freundlich gesinnt, schenkte Scholz’ Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt zwar die Seite 3 für dessen Wahlkampagne – denn Schmidt bewirbt sich für den Bundestag. Aber auch dieses Schmidt-Porträt liest sich eher wie eine Beerdigung 1. Klasse für die Ära Scholz. Die Hamburger Kollegen wissen noch viel besser als andere Journalisten, was damals zu den Zeiten, in denen Olaf Scholz die Verantwortung für die Stadt zu tragen versuchte, tatsächlich passiert ist. Darüber kann eine Weile lang hinweg geschaut werden, aber nicht auf Dauer. Insbesondere wenn der Kandidat sich überall – selbst im TV-Duell mit Friedrich Merz – so hinstellt, als wären seine Regierungsjahre 2021 bis 2024 ein reines Gottesgeschenk an die Deutschen gewesen. An allen Problemen sind andere schuld: Putin, Lindner, der Oppositionsführer. Nur nicht der Kanzler. Kurzum: Selbst Medien, die nach links tendieren, schaffen es nicht, Scholz als Politiker der Zukunft darzustellen.
Bieten die öffentlich-rechtlichen Medien nach Ihrer Beobachtung allen Kandidaten und Parteien gleichermaßen eine Plattform? Oder gibt es da eine Unwucht?
Ausgewogenheit und öffentlich-rechtliche Sender sind ein Widerspruch in sich. Nehmen Sie nur die Formate „Bericht aus Berlin“ und „Berlin direkt“ von ARD und ZDF. Seit dem Zusammenbruch der Ampel erhielt die SPD – die bei allen drei Sendern nicht nur in der Redaktion, sondern auch in den Aufsichtsgremien die meisten Positionen besetzt – in der ersten Hälfte des kurzen Wahlkampfs, also vom 3. November bis 31. Dezember 2024 nach unseren Daten 53 Prozent der Sichtbarkeit. Das heißt: In mehr als der Hälfte der Sendezeit kommen Politiker und Themen der SPD vor. Außerdem zeigt unsere Auswertung: In beiden Sendungen kommen Politiker der SPD so häufig vor wie Vertreter der Union, obwohl die Union in den Umfragen gut doppelt so stark ist. Alles wurde bereitet, um das Märchen von der Aufholjagd noch einmal aufzuführen. Parallel wurde in einer Art und Weise über den potentiellen Koalitionspartner, also Friedrich Merz und die Liberalen, in einem Negativismus hergezogen, der noch nicht einmal gegenüber AfD, Linke oder BSW zu beobachten ist.
Ohne diese Unterstützung durch die Öffentlich-Rechtlichen stünde die SPD Ihrer Meinung nach also noch schlechter da?
So ist es.
Eine wichtige Rolle spielen Wahlumfragen kurz vor der Entscheidung. Wie sehen Sie die Qualität der Prognosen, gerade wenn Sie auf Wahlkämpfe der Vergangenheit schauen?
Der erste Wahlkampf, den wir mit unserem Medienwirkungs-Institut Tag für Tag analysieren durften, war der von 1994. Damals schon galt die Prämisse für das Ollenhauer-Haus: Die FDP darf nicht in den Bundestag einziehen. Dafür wurde alles unternommen, und wenn ich alles sage, meine ich es auch genau so: Sie erinnern sich vielleicht an die Wochenzeitung „Die Woche“. Als Chefredakteur amtete der ehemalige Pressesprecher des Hamburger Senats Manfred Bissinger. Der ersann für die Frontseite oben unter dem Logo die Abbildung der Meinungsumfragen von FORSA, also von dem Meinungsforschungsinstitut, das das SPD-Mitglied Güllner 1984 (zufällig nach Start der Kohl-Regentschaft) aus der Taufe gehoben hatte. Exklusiv konnte das staunende Publikum „Woche“ für „Woche“ sehen, dass die FDP nicht die Fünf-Prozent-Hürde bei FORSA übersprang – obwohl ihr dies bei Allensbach, Emnid, Forschungsgruppe Wahlen sowie Infratest Dimap gelang. Dieses wiederholte sich besonders eindrucksvoll 2013, wo in diesen Umfragen erneut nicht nur die FDP, sondern auch die AfD unter 5 Prozent blieben.
Lässt sich denn bei einer Fehlertoleranz bis zu drei Prozentpunkten in Umfragen so genau sagen, ob eine Partei bei 4,5 oder 5 Prozent liegt?
Eben nicht. Das ist in dieser Sicherheit gar nicht möglich. Im Wahlkampf 2025 sehen wir den gleichen Film – mit einer Neuerung: Die AfD kommt auf fantastische Umfragewerte, die mich an die der Grünen 2021 erinnern. Damals wurde ich von einer Parteizentrale nach Berlin gerufen, um zu erläutern, dass 25 Prozent in Umfragen nicht gleichbedeutend sind mit 25 Prozent in der Wahlurne. In Wirklichkeit waren es dann bei den Grünen 14,8 Prozent – immer noch ein fantastisches Ergebnis. Aber stellen Sie sich doch nur einmal vor, die FDP würde mit derartigem Wohlwollen begleitet. Dann stellen sie das nächste Mal auch einen Kanzlerkandidaten auf.
Um noch einmal auf die Öffentlich-Rechtlichen zurückzukommen: Viele Beitragszahler stören sich an der politischen Schlagseite. Sie fragen sich, wie sich der Zustand ändern lässt. Was ist Ihre Antwort?
Seit dem 23. Mai 2024 haben wir neue Verhältnisse: Mit dem 6. Senat am Bundesverwaltungsgericht hat sich erstmals ein Gericht auf die Seite einer Beitragszahlerin gestellt, die nicht länger die Beiträge zahlen wollte, solange sie nicht von den Sendern einen entsprechenden Leistungsnachweis erhält, also einen Beleg, dass die Sender ihre Pflichten aus dem Rundfunkstaatsvertrag erfüllen. Der verpflichtet sie bekanntlich zur Ausgewogenheit. Das oberste Gericht in Leipzig konnte diese Haltung bestens nachvollziehen. Es spricht für alle Beitragszahler von einem Informationsrecht, das ihnen in diesem Punkt zusteht. Daraus abgeleitet werden nun 2025 ausreichend Musterklagen folgen, die mit dem seltsamen Verhalten an deutschen Verwaltungsgerichten einerseits und dem Bundesverfassungsgericht auf der anderen Seite hoffentlich aufräumen. Denn die von den Gerichten immer zugunsten der Sender unterstellten Berichtsleistungen gibt es in Wirklichkeit nicht. Das gilt auch für die Wahrnehmung einer echten Kontrolle durch die Aufsichtsgremien.
Können Sie das mit Ihren Daten belegen?
Die politische Schlagseite der Öffentlich-Rechtlichen können wir in unseren Daten über einen langen Zeitraum objektiv nachweisen. Wir senden unsere Befunde auch regelmäßig an die Rundfunkräte. Sie können also nicht behaupten, sie würden diese Evidenz nicht kennen. Wegen dieser Verstöße gegen die Sorgfaltsplicht wird nun geklagt. Das ist keine Petitesse angesichts des jährlichen Budgets von etwa 10 Milliarden Euro, die den Sendern ohne jegliche Leistungserbringungsnachweise Jahr für Jahr zugestanden wurden und werden. Dagegen wirkt der Vorgang Wirecard wie eine Lappalie – die hatten wenigstens eine Bilanz. Die war nur lückenhaft. Aber weder ARD, Deutschlandradio noch ZDF haben sich in der vergangenen 30 Jahren um einen wissenschaftlich validen Nachweis bemüht, dass sie die Leistungen tatsächlich erbringen, die die Staatsverträge von ihnen verlangen.
Robert Habeck führt seinen Wahlkampf sehr stark über mediale Kanäle: selbstproduzierte Videos, Twitteraktivität, Besuch bei Podcastern. Schlägt das Image, das er dort von sich zeichnet, auf die Umfragedaten durch? Und wenn ja: wie?
Nicht wirklich. Er wird zwar unverändert insbesondere in Talkshows hofiert. Aber ein Blick auf die Umfragedaten zeigt: Die Menschen können ihre eigenen Kontoauszüge gut lesen, die vielen Arbeitnehmern in Deutschland seit Januar 2025 weniger Netto ausweisen. Sie lesen auch ihre Rechnung von ihrem Energieversorger, die vor allem wegen der steigenden Netzgebühren und der höheren CO2-Abgabe höher ausfällt. Das alles beißt sich mit der Parole der Grünen: „das Leben bezahlbar machen“. Alles in allem: Die Realität lässt sich nicht einfach medial überdecken. Die Grünen schalten in letzter Zeit auch auffällig viel Werbung auf FAZ-Online. Aber hier gilt im Prinzip das Gleiche: So etwas macht eine Partei noch nicht bürgerlich.