
„Ich habe einen Kredit auf meine Glaubwürdigkeit aufgenommen“, erklärte Friedrich Merz lapidar, nachdem er den größten Wortbruch der jüngeren deutschen Geschichte begangen hatte. Seinen Wahlkampf hatte er zu entscheidenden Teilen auf ein fast schon religiöses Bekenntnis zur Schuldenbremse aufgebaut – und nach der Wahl wollte er davon nichts mehr wissen.
Plötzlich – so die Darstellung des Kanzlers und seiner Getreuen – sei Merz sozusagen vom Glauben abgefallen. Grund dafür seien zwingende Einflüsse von Außen gewesen. Trumps eskaliertes Treffen mit Selenskyj im Oval Office habe ihm vor Augen geführt, dass Europa sich nun auf sich selbst verlassen müsse – deshalb brauche Deutschland jetzt dringend die 500 Milliarden für Verteidigung und militärisch relevante Infrastruktur. Es sei daher staatsmännisch und kein Wortbruch, war der Spin der Merz-Anhänger.
Doch es war alles andere als das. Seinen Wortbruch hatte Merz kalkuliert und konzertiert vorangetrieben und vorbereitet. Welt-Journalist Robin Alexander enthüllt mit Blick auf sein neues Buch „Letzte Chance – der neue Kanzler und der Kampf um die Demokratie“ neue Details dazu. Während Merz und Getreue es öffentlich oft so dastehen ließen, als sei die Entscheidung zur Aushebelung der Schuldenbremse spontan gefallen, arbeitete der jetzige Bundeskanzler schon vor der Wahl im Februar an den Grundlagen für seine 180-Grad-Wende.
So ließ er in der Woche vor der Wahl den renommierten Verfassungsrechtler Udo di Fabio ein Gutachten anfertigen, das den Coup, mit dem abgewählten Bundestag noch schnell das Grundgesetz zu ändern, juristisch legitimierte. Zu einer Zeit, in der Merz noch durchs Land tourte und den Eindruck vermittelte: Wir stehen zur Schuldenbremse und sind gegen die Aufnahme neuer Schulden. Damit führte er die Wähler ganz bewusst und unter voller Vorsätzlichkeit hinters Licht. Es war eine Täuschung mit Ansage.
Friedrich Merz‘ Weg zur Macht ist mit solchen Täuschungen gepflastert – aber das ist der dickste Brocken. An seiner Entscheidung für massive Neuverschuldung war nichts „plötzlich“ und auch nichts irgendwelchen tatsächlichen, äußeren Umständen geschuldet. Allenfalls ausgedachten Umständen.
Auch das berichtet Robin Alexander: Merz war offenbar auch der Falschmeldung aufgesessen, Trump plane, im März die NATO zu verlassen. Das stimmte zu keinem Zeitpunkt – aber auf Basis dieses Gerüchts drücke Merz offenbar auf den Knopf und sprengte sein politisches Kernversprechen. Er setzte damit aber nur einen Plan um, dessen Konzeption schon früher begonnen hatte.
Ein Kanzler irgendwo zwischen Naivling und Wortbrecher – so jemandem sollte man keinen Kredit geben, denn in Sachen Glaub- und Vertrauenswürdigkeit ist er längst insolvent. Während er und seine Partei die Schuldenbremse-Lautsprecher der Republik waren, trug Merz sie intern längst zu Grabe – denn Schulden sind bekanntlich nur schlecht, wenn Scholz und Habeck sie machen wollen.
Friedrich Merz drückt damit aber auch noch etwas anderes, entscheidendes aus: Eine radikale, eigentlich schon in sich fast antidemokratische Geringschätzung des Wählers. Den kann man einfach belügen. Und wenn man dann erstmal gewählt ist, ist es ja auch egal. Wer den Wahltermin in dieser Weise nur noch als Hindernis für tatsächliche Ehrlichkeit begreift, hat der Demokratie innerlich schon eine Absage erteilt.