„Wo jeder Spaß endet: Abtreibung“

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Mensch hat so wenig das Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, wie er das Recht hat, ein Kind zu töten, nur weil es noch im Bauch der Mutter ist. Gott hat uns das Leben geschenkt, und Gott bestimmt den Zeitpunkt, wann das irdische Leben vorbei ist. Als Christ atmet man diesen Glauben. Ich kenne übrigens auch keinen Moslem, der das anders sieht. Im Gegenteil bekommt man gerade von Moslems oft den Satz zu hören: Abtreibung ist Mord. Bemerkenswerterweise sind niemals muslimische Teilnehmer eingeladen, wenn irgendwo öffentlich zum Thema Abtreibung debattiert wird. Die Frage nach dem Warum lässt sich mit dem orwellschen Begriff „Doppeldenk“ beantworten: Hier kollidieren zwei einander ausschließende Phänomene ein und desselben Zeitgeistes miteinander. Muslime sind Menschen mit Migrationshintergrund, also per se gut, deshalb dürfen sie vor laufender Kamera keine Ansichten vertreten, die man sonst nur von Konservativen, Rechten, Katholiken und anderen fragwürdigen Zeitgenossen hört.

Ein Mord geschieht aus niedrigen Beweggründen. Insofern ist der Satz „Abtreibung ist Mord“ heikel. Wenn eine Frau das Kind eines Mannes abtreibt, der sie vergewaltigt hat, handelt sie nicht aus niedrigen Beweggründen. Eigentlich sind Lebensziele wie Karriere und Selbstverwirklichung auch keine niedrigen Beweggründe, selbst der Wunsch, „erst einmal das Leben zu genießen“, wäre keiner. Diese Rechtfertigungen verlieren aber ihre Unschuld, wenn man sie in Relation zu dem setzt, was ihretwegen getan wird: Das Leben eines Kindes wird zerstört. Dass der Embryo lebt, haben bislang noch nicht einmal die hartgesottensten Feministinnen bestritten. Doch dieser Mensch, dieses vollkommen schutzlose Wesen, wird von ihnen durch Bezeichnungen wie „Zellhaufen“ oder „Zellklumpen“ entmenschlicht. Was immerhin zeigt, dass irgendwo im Halbbewussten doch ein Unrechtsgefühl schlummert, sonst könnte man sich solche begrifflichen Entlastungsversuche ja sparen.

„Reproductive Health“ ist ebenfalls ein grauenhafter Euphemismus und beweist schon im Titel die Lüge, die hier den Frauen präsentiert wird, um ihnen die Entscheidung zur Tötung der eigenen Leibesfrucht näher zu bringen. Reproductive? Health? Eine Abtreibung ist so ungefähr das Ungesündeste was eine Frau machen kann. Sie verursacht, wenn man nicht total abgebrüht ist, psychische Folgeschäden und sehr häufig auch physische. Selbst die Künstliche Intelligenz ist da ehrlicher als die Abtreibungslobby.

Der Theologe und von den Nationalsozialisten ermordete Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer hat geschrieben: „Die Tötung der Frucht im Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Leben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Erörterung der Frage, ob es sich hier schon um einen Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die einfache Tatsache, daß Gott hier jedenfalls einen Menschen schaffen wollte und daß diesem werdenden Menschen vorsätzlich das Leben genommen worden ist. Das aber ist nichts anderes als Mord.“ Eine Frau könne „aus Verzweiflung in höchster menschlicher oder wirtschaftlicher Verlassenheit und Not“ so handeln, wobei „die Schuld oft mehr auf die Gemeinschaft als auf den Einzelnen fällt“, doch all das, so Bonhoeffer, „vermag an dem Tatbestand des Mordes nichts zu ändern“.

In Deutschland sind zwischen 1974 und 2023 Schätzungen zufolge etwa 6,4 Millionen Leben abgetrieben worden. Das ist eine Massenvernichtung ungeborenen Lebens. Nein, dieser Begriff relativiert keine andere historische Massenvernichtung, wie von interessierter Seite in solchen Fällen gern behauptet wird – er nennt lediglich die Dinge beim Namen. Es wird massenhaft ungeborenes Leben vernichtet. Dieses ungeborene Leben gilt also im Wortsinne als lebensunwert. Wer sich gegen die Massenvernichtung ausspricht, dem schlägt in Deutschland ein schäumender Hass entgegen. Allein mit der Bemerkung, man sei mit der gängigen Abtreibungspraxis nicht einverstanden, kann man hierzulande wahre Proteststürme auslösen – zumindest beim tonangebenden Milieu. (…)

Im Falle einer Abtreibung stehen sich zwei miteinander unvereinbare Ansprüche gegenüber: das Lebensrecht des Kindes und das Recht der Mutter auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Bislang galt in der Bundesrepublik ein Kompromiss (er kann, wenn dieses Buch erschienen ist, schon gekippt worden sein), den das Bundesverfassungsgericht in einer salomonischen Entscheidung festgeschrieben hat: Lebensschutz hat Verfassungsrang, aber Abtreibung ist bis zum dritten Monat straffrei. Dieser Kompromiss sieht sich den ständigen Angriffen der linken Parteien ausgesetzt, die den Schutz komplett abschaffen wollen. Unter der Ampelregierung hatten sich zuletzt 372 Bundestagsabgeordnete zusammengeschlossen, um die völlige Freigabe der Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen und die komplette Streichung des Paragraf 218 StGB durchzusetzen. (…)

Das ungeborene Kind wird ab der elften Schwangerschaftswoche nicht mehr als Embryo bezeichnet, die sogenannte Fetalperiode hat begonnen. Die Nervenbahnen haben sich vernetzt, so dass die Bewegungen des Kindes immer gezielter erfolgen; es kann zum Beispiel schon eine Faust machen. Das Nervensystem wächst enorm schnell, jeden Tag bilden sich unzählige neue Verknüpfungen. Die äußeren Geschlechtsmerkmale werden sichtbar. In der zwölften Schwangerschaftswoche ist das Baby im Ultraschall meistens am Daumen nuckelnd oder mit geballten Fäusten zu sehen. Alle inneren Organe haben sich entwickelt. Die Finger und Zehen sind nicht mehr durch Häute miteinander verbunden. Das Gesicht bildet sich ebenso wie die kindlichen Proportionen. Das Baby kann singen und sich an Musik erfreuen, wie wir von Ultraschallaufnahmen wissen. Diese werden den Müttern vor der Abtreibung nicht gezeigt, damit sie es sich ja nicht anders überlegen. (…)

Zugleich werden die Abtreibungsgegner, die eigentlich Lebensschützer sind, denn wer kümmert sich sonst um diese todgeweihten Würmchen, von den Medien als gefährliche Extremisten geframt. Typisch für den medialen Umgang mit ihnen ist die ZDF-Schlagzeile vom 19. Februar 2024: „Gefährliches Netz radikaler Abtreibungsgegner“. Der Artikel wird aufgemacht mit den Worten: „Internationale Geldgeber, ‚Kreuzzüge für die Familie‘ und Medikamente unter der Hand – wie radikale Abtreibungsgegner Einfluss auf die Gesellschaft nehmen wollen.“ Das ist der übliche Tonfall der Öffentlich-Rechtlichen, wo man ganz offensichtlich keinen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen will.

Das Gegenstück zur Abtreibung ist die Euthanasie. In beiden Fällen geht es gegen die Schwächsten und Wehrlosesten, denen ihr Platz auf der Welt abgesprochen wird. Der Begriff „Euthanasie“ – der schöne Tod – ist natürlich ebenso euphemistisch wie der Schwangerschaftsabbruch. Nichts ist schön an diesem Tod, im besten Fall befreit er einen Menschen von körperlichen Qualen. Wie die Ungeborenen haben auch die Alten keine Lobby. Wie die Ungeborenen können sich die Alten nicht wehren, zumindest können sie es oft nicht. Wenn ein Mensch nicht mehr genau weiß, wer er ist, und allein den Weg zur Toilette nicht findet, kann er sich nicht mehr wehren. Dann ist er in den Augen vieler Zeitgenossen kaum mehr als eine Pflanze. Dann ist es das Beste, ihn „zu erlösen“. Dann kann er auch „sanft“ getötet („eingeschläfert“) werden. Es ist kein Zufall, dass eine sogenannte postheroische Gesellschaft wie die unsere bei den Schwächsten ansetzt. Schließlich handelt es sich um Konkurrenten, wenn es um Ressourcen wie Geld, Zeit und Wohnraum geht. Wie der Embryo steht auch der Greis der Selbstverwirklichung und dem Egoismus im Wege. Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt. Die letzte Forderung der überkommenen Moral wird dann darin bestehen, die „Euthanasie“ der Alten als „selbstbestimmt“ zu deklarieren.

Wenn eines Tages die Euthanasie überall im Westen so normal ist wie die Abtreibung, wenn der Mensch also darüber entscheidet, wann geboren wird (und wann nicht) und wer wann zu sterben hat, dann sind die Aufklärung und die Moderne gescheitert. Dann sind wir bloß noch technisch fortgeschrittene Barbaren. Dann kann man auch fragen, warum die Toten und die Embryonen nicht zu Nahrungsmitteln verarbeitet werden wie in dem dystopischen amerikanischen Film „Soylent Green“ aus dem Jahr 1973.

Papst Johannes Paul II. sprach von einer „Kultur des Todes“, die sich in den Ländern des Westens ausbreite, Benedikt XVI. hat diese Worte aufgegriffen. Der sogenannte IT-Visionär Ray Kurzweil behauptet, im Jahr 2045 werde der letzte Mensch geboren, danach werde die Menschheit mit der Künstlichen Intelligenz verschmelzen und eine neue Stufe der Evolution erreichen. Jeder kann sich ausrechnen, dass diese Verschmelzung zum einen keineswegs allen Erdenkindern zugänglich sein wird, sondern allenfalls ein Elitenprojekt sein kann, und zweitens Herr Kurzweil mit der letzten Geburt zugleich das Ende der Menschheit ankündigt. Auch wenn das für mich nichts als Science Fiction ist, zeigt es dennoch, wie weit sich die westliche Welt von Gott abgewendet hat und dazu übergehen möchte, alles selbst zu bestimmen. Das führt unweigerlich ins Unheil und in die Zerstörung, also letztlich in die Hölle auf Erden. Der Mensch wird nicht verurteilt, er urteilt über sich selbst.

Alle Menschen guten Willens müssen dieser Kultur des Todes eine neue Kultur des Lebens entgegensetzen. Der Mensch überlebt in seinen Nachkommen, nicht auf irgendeiner Festplatte.

Gekürzter Auszug aus: Gloria von Thurn und Taxis, Lieber unerhört als ungehört. Lektionen aus meinem Leben. Mit einem Vorwort von Martin Mosebach. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 240 Seiten, 24,00 €.

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