
Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg formulierte CDU-Chef Friedrich Merz konsequente Ziele für eine schärfere Asylpolitik. In seinem 5-Punkte-Plan gegen illegale Migration wurde unter anderem ein „faktisches Einreiseverbot“ für alle Menschen ohne gültige Einreisepapiere angekündigt, „auch für Menschen mit Schutzanspruch“. Auf einer Pressekonferenz sagte Merz, er wolle noch am ersten Tag seiner Kanzlerschaft per Richtlinienkompetenz dauerhaft alle Grenzen kontrollieren. Doch ist dieses Versprechen mit dem einzigen realistischen Koalitionspartner, der SPD, überhaupt zu machen?
Mit Blick auf die neue Fraktion, die 120 sozialdemokratische Abgeordnete umfasst, bestehen erhebliche Zweifel. Denn Merz’ Vorhaben, der auch dauerhafte Grenzkontrollen, deutlich mehr Abschiebungen und eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts vorsieht, würde eine deutlich restriktivere Asylpolitik bedeuten, die eine Abkehr von all dem bedeutet, was eigentlich SPD-DNA ist. Die programmatischen Forderungen des CDU-Chefs sind de facto nah am oder identisch mit dem Programm der AfD.
Sind seine Migrationspläne mit der SPD wirklich vereinbar?
Da Merz diese aber ausgeschlossen hat, bleiben nur die Sozialdemokraten als Koalitionspartner. Eine schwarz-rote Regierungsmehrheit käme auf 328 Sitze im Bundestag, 316 sind für eine Mehrheit nötig. Heißt: Die Mehrheit ist hauchdünn. NIUS hat sich die neue SPD-Fraktion im Bundestag angeschaut und zwölf SPD-Politiker identifiziert, deren politische Vergangenheit und Wortmeldungen erhebliche Zweifel wecken, ob mit ihnen ein maximal restriktiver Asylkurs möglich ist.
In der Ampel-Regierung bekam Reem Alabali-Radovan die Position als Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und als Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus. Wenig überraschend fällt in ihre Ägide etwa die Erarbeitung eines Papiers gegen „Alltagsrassismus und strukturellem Rassismus“, aber auch eine Werbekampagne, die Migranten gezielt dabei unterstützen soll, schneller den deutschen Pass zu erlangen. In ihrer Funktion positionierte sich die irakischstämmige Schwerinerin ohnehin mehrfach als Lobbyistin für Migranteninteressen: Black History Month, mehr Diversität, Schule ohne Rassismus, Schülerinnen in Kopftüchern, rassistische Gewalt in Magdeburg, das ganze Programm.
Mehr von allem, dafür aber viel: der Instagram-Account der Integrationsbeauftragten.
Die gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD im Bundestag beim Entschließungsantrag und 5-Punkte-Plan nannte Alabali-Radovan auf ihrem Instagram-Account einen „schwarzen Tag“ und attestierte der CDU, dass sie „die demokratische Mitte“ verlassen habe, bevor sie sich an einer „Demo gegen Rechts“ in Schwerin beteiligte. Schwer vorstellbar, dass die 1990 in Moskau geborene Abgeordnete eine Verschärfung der Migrationspolitik im Sinne von Friedrich Merz' Versprechen mittragen würde. Eine CDU-Forderung, die immer wieder nach antisemitischen Palästinenser-Demonstrationen formuliert wird, kritisierte Alabali-Radovan sogar explizit in einem Beitrag: „Die Forderung nach der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft ist reine Symbolpolitik, verfassungswidrig und bedient migrationsfeindliche Narrative“, heißt es dort.
Diese Kachel teilte Alabali-Radovan nach der Abstimmung im Bundestag.
Castellucci war der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion – und es liegt nicht mal einen Monat zurück, dass er Friedrich Merz für seinen Asylvorstoß frontal angriff. „Merz’ Plan: Grenzen dicht, Grundrechte weg, AfD als Steigbügelhalter. Das ist nicht konservativ, das ist populistisch und gefährlich“, schrieb Castellucci erst Ende Januar auf X. Drei Tage später legte er in der Tagesschau nach: Die Ankündigung von Friedrich Merz, „am ersten Tag als Kanzler Grenzen zu schließen, ist rechtswidrig und ein Angriff auf die europäische Idee“, so Castellucci. Wenig später, Anfang Februar, sagte der Heidelberger dem MDR: „Die CDU will mit ihrem Asylkurs die AfD überholen, aber sie kopiert nur deren menschenfeindliche Rhetorik. Wir brauchen Solidarität, keine Festung Deutschland.“
Lars Castelluci sendete mehrere Dutzend Tweets ab, in denen er sich für Seenotrettung ausspricht.
Dabei reicht Castelluccis migrationsbejahende Attitüde schon weit zurück. Im Oktober 2021 sagte er: „Asyl ist ein Grundrecht, kein Almosen. Wer das einschränken will, greift unsere Verfassung an.“ Im Folgejahr 2022 teilte er hingegen mit: „Wir dürfen Schutzsuchende nicht zu Sündenböcken machen. Eine humane Asylpolitik bedeutet, Dublin zu reformieren und Verantwortung zu teilen – nicht Pushbacks oder Haftlager.“ Damit bedient der Abgeordnete mehr oder weniger eine Migrationspolitik, die fast das Gegenteil zu den von Friedrich Merz postulierten Vorschlägen steht. Wenig überraschend gilt der Mann auch als ausgewiesener Unterstützer von Seenotrettungsinitiativen im Mittelmeer: „Seenotrettung ist keine Option, sondern ein Gebot der Menschlichkeit. Dass zivile Helfer kriminalisiert werden, ist ein Skandal“, so Castellucci.
Hakan Demir ist SPD-Politiker aus Berlin-Neukölln. In genau jenem Bezirk verlor er gegen den Linkenpolitiker Ferat Koçak den Kampf um das Direktmandat. Schon vor dem Hintergrund, dass das migrantisch-linke Neukölln sich also von Demir ab- und Koçak zugewendet hat, erscheint es fraglich, ob Demir in einer restriktiveren Migrationspolitik die Antwort auf das Erstarken der Linken sieht. Vielmehr erscheint es naheliegend, dass Demir seinen Wahlbezirk verlor, weil er bei Pro-Migrations-Standpunkten und im Kampf gegen Rassismus nicht so glaubhaft wahrgenommen wurde wie Koçak.
SPD-Politiker Demir spricht zum Wahlkampf für die Bundestagswahl in Berlin-Neukölln in der Wohnung von Mohammed al-Zoubi.
Doch auch ohne einen Linksrutsch im Demir'schen Sinne lässt sich attestieren, dass den Deutschtürken Einiges von Friedrich Merz trennt. Erst am 20. Januar schrieb Demir auf X: „Merz will Grenzen dichtmachen – das ist ein Rückschritt für Europa. Wir brauchen Solidarität, keine Zäune.“ Grenzen zu schließen, wie die CDU es wolle, zerstöre Demir zufolge den europäischen Gedanken. „Migration braucht Regeln, aber keine Abschottung“, so der 40-Jährige im Bundestag.
Ohnehin sei Demir als ein „Kind der Migration“ (Interview mit der Berliner Zeitung), das dafür plädiert, „Migration als Normalität zu sehen“ und „Chancen zu schaffen, statt Mauern zu bauen.“ Erst im Dezember vergangenen Jahres sagte Demir dem Neuen Deutschland, dass „eine humane Asylpolitik heißt, Menschen nicht in Lager zu stecken oder an Grenzen zurückzuweisen, sondern sie zu integrieren“. Und 2022 sagte er am Rednerpult des Deutschen Bundestags: „Das Recht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Wer das einschränkt, wie Teile der Union, gefährdet unsere Werte.“
Hakan Demir auf X: #MerzKannNichtKanzler.
Der 33-jährige Dieren unterstützte erst im September 2024 eine gemeinsame Erklärung der 35 SPD-Abgeordneten, die sich gegen die Verschärfung der Asylpolitik aussprachen. Auch Demir (ebenso wie weitere SPD-Politiker aus dieser Liste) waren unter den Unterzeichnern.
Auch Dieren unterzeichnete die Erklärung gegen den Sicherheitspakt.
In dem Schreiben, welches mit „Eintreten für Würde: Menschenrechte wahren, Asylrecht verteidigen, sozialdemokratische Werte leben!“ übertitelt war, formulierten 35 SPD-Politiker, dass sie es für falsch hielten, dass die SPD im Zuge des sogenannten Sicherheitspakets der Ampel-Regierung nach rechts rücke. Die SPD müsse sich für eine humane Asylpolitik einsetzen, „die keine rechten Fantasien von geschlossenen Grenzen reproduziert und stattdessen europäisches Recht sowie internationale Solidarität achtet“, so die Forderung. Wohlgemerkt gehen Merz' Vorschläge deutlich weiter als das Sicherheitspaket der Ampel.
Dieren war einst stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos.
Auch nach dem Vorstoß von Merz Ende Januar meldete sich Dieren zu Wort. „Merz will die Grenzen dichtmachen und Europa zerstören. Offene Grenzen in der EU sind ein Gewinn, keine Gefahr“, so Dieren. Im Bundestag sagte Dieren zu dem Thema: „Wir brauchen eine solidarische Lösung, keine nationalen Mauern.“ Der taz sagte Dieren hingegen: „Eine humane Asylpolitik heißt, Menschen nicht an Grenzen abzuweisen oder in Lager zu stecken, sondern ihnen eine Perspektive zu geben.“ All diese Wortmeldungen zeigen, dass der Mann aus Moers eher für eine offenere Asylpolitik plädiert – und eine Zustimmung zu Merz' Maßnahmen einer 180-Grad-Wende gleichkäme.
Im Nachgang zu Merz’ Vorgehen, bei dem er eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag durchsetzte, äußerte sich die SPD-Politikerin Angelika Graf aus Pirmasens mehrfach kritisch gegenüber der CDU. Er habe sich durch das Paktieren mit der AfD als „Kanzler unglaubwürdig gemacht“. Er zeige, dass er keine Verantwortung übernehmen könne und schlage einen Kurs ein, der Europa spalte. Sein Populismus sei ein „Verrat der Mitte“, der ihn zum „Risiko“ mache.
Angelika Graf (rechts) verteilt bei einem Besuch in Kabul Decken an afghanische Frauen.
Der Rheinpfalz sagte sie am 10. Februar: „Die CDU ist unter Merz nicht mehr die Partei der Mitte. Sie spielt mit rechtspopulistischen Ideen und gefährdet unsere Demokratie.“ Ebenso bemerkenswert: Anfang Januar sagte sie der gleichen Zeitung, eben jener Rheinpfalz: „Wir dürfen Schutzsuchende nicht abweisen oder in Haftlager stecken. Asyl ist ein Recht, das wir schützen müssen.“ Vor diesem Hintergrund dürfte es zumindest bemerkenswert sein, sollte Graf Merz nun zu einer deutlich rechteren Asylpolitik im Rahmen einer schwarz-roten Regierung verhelfen.
Auch Graf versprach also eigentlich monate- wenn nicht gar jahrelang das Gegenteil dessen, was Merz nun plant.
„Antifaschismus ist ein Grundpfeiler der SPD. Wir dürfen nie wieder zulassen, dass rechte Ideologien Fuß fassen“, so Kaiser, die noch 2016 beim MDR über das Asylrecht in Richtung Union sagte: „Asyl ist ein Grundrecht – wir müssen es schützen, nicht einschränken. Die CDU will abschrecken, ich will integrieren. Das ist der Unterschied.“ Ein Jahr zuvor, als die Flüchtlingskrise begann, schrieb Kaiser hingegen auf Twitter: „Refugees sind willkommen – das zeigen wir in Thüringen. Wir müssen das leben, nicht nur sagen. Die CDU versagt hier.“ Und 2017 teilte sie der Thüringer Allgemeinen mit: „Ich habe gesehen, wie Willkommenheit Menschen Hoffnung gibt. Wir müssen Geflüchtete als Teil unserer Gemeinschaft sehen. Das ist das Gegenteil von CDU-Politik.“
Anders gesagt: In der Einwanderungspolitik setzte die 37-Jährige auf Distinktion und maximale Abgrenzung von der CDU/CSU. Kaum vorstellbar, dass sie nun eine Kehrtwende vollzieht und in einer weitaus schärferen Asylpolitik ihr Heil entdeckt.
Als die Unionsfraktion im vergangenen Jahr einen Antrag zum politischen Islam vorlegte, kam die größte Kritik von Helge Lindh. „Damit bekämpft sie alles Mögliche, vor allem Rationalität; aber sie bekämpft damit keinen Islamismus“, so Lindh. Vielmehr leugne der Antrag, „dass es tagtäglich antimuslimischen Rassismus und Muslimfeindlichkeit in krasser Form gibt“ und bereite erst durch solche Anträge den Nährboden für radikale Islamisten von „Muslim Interaktion“ oder „Generation Islam“.
Die Bekämpfung des politischen Islams ist jedoch für zahlreiche CDU-Politiker ein wichtiges Anliegen. Ohnehin fällt auf, dass der Wuppertaler Lindh, der sich gegen Thomas Haldenwang im Wahlkreis in Wuppertal durchsetzte, als Promoter nicht-deutscher Interessen geriert: So erklärte er etwa das muslimische Fastenbrechen zu einer deutschen Tradition. In Recep Tayyip Erdoğans Haussender TRT begann Lindh hingegen nahezu obsessiv darüber zu sinnieren, welch Rassisten und Islamfeinde die Deutschen seien. „Das rassistische Denken hat nicht geendet mit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben einen ethnisch orientierten Rassismus und einen solchen, der bei der Religion einsetzt. Und bei Menschen, die zum Beispiel aus der Türkei gekommen sind (…), kommt beides zusammen.“
Dafür verkünstelt sich Lindh in wunderschönen Segnungen zum muslimischen Fastenbrechen.
Schon habituell fällt also auf, dass Lindh Migrationsgesellschaft, Zuwanderung und Asylrecht gänzlich anders bewertet als Friedrich Merz. Im Deutschlandfunk teilte er etwa mit, dass das Abstimmungsverhalten der CDU Merz als Bundeskanzler disqualifiziere. 2019 sagte Lindh, dass Pushbacks und Lager – beides wären Kernbestandteile von Merz' Plan – keine Lösung seien, sondern man „humane Asylpolitik“ brauche. In einer Bundestagsrede von vergangenem September warf er der Union und Merz vor, „Volksverdummung“ zu betreiben.
Auch die syrischstämmige Rasha Nasr gilt als Vertreterin des linken SPD-Flügels – und eine besonders eifrige Verteidigerin der Einwanderungspolitik. Pull-Faktoren, also Anreize zur Anreise, nannte Nasr in einer Plenardebatte vergangenen Herbst „wissenschaftlich längst widerlegt“. In der Rede kam sie zum Schluss: Die Union führe „eine migrationsfeindliche Debatte“. Dabei griff sie auch Thorsten Frei, also einen der engsten Vertrauten von Merz, scharf an.
Im Dezember sagte Nasr: „Migration ist unsere Stärke – meine Familie zeigt das jeden Tag. Wir müssen Migration fördern, nicht fürchten. Ohne sie wäre Deutschland ärmer – kulturell und wirtschaftlich.“ Nach der Abstimmung der Union mit der AfD sagte Nasr, Demokraten dürften nicht mehr die Union wählen. „Wer Grenzen schließt, zerstört den europäischen Gedanken. Wir müssen Migration gemeinsam regeln, nicht mit Mauern stoppen. Das ist unsere Verantwortung als Europäer.“
Bemerkenswert ist auch ihre Haltung zu der Willkommenskultur, die sie als generische Pflicht des deutschen Volkes sieht: „Eine Willkommenskultur ist kein Luxus, sondern ein Muss. Geflüchtete sind Teil unserer Gemeinschaft – wir müssen sie integrieren“, heißt es auf ihrer Homepage. Klingt alles andere als nach Grenzschutz und Einreiseverboten für Menschen, die Asyl beantragen. „Die CDU will Grenzen dichtmachen – das ist Rückschritt. Wir brauchen humane Lösungen, nicht Abschottung. Ihre Politik versagt“, so Nasr am 25. Januar auf X.
Im Bundestag verteidigt die 32-Jährige immer wieder eine humane und offene Migrationspolitik.
„Das Gute ist, #Söder bleibt in seinen Bierzelten. Das Schlechte ist, bald hören wir noch mehr abenteuerliche Geschichten von „kleinen Paschas“ und Zahnarztmärchen à la #Merz. Davon wie eine gute Zukunft für unser Land aussieht, hat Merz auf jeden Fall keine Idee“, so Josephine Ortleb, SPD-MdB aus dem Saarland. Spricht so ein künftiger Koalitionspartner der Union? Man darf daran zweifeln.
Das schrieb Ortleb auf X.
Man darf daran auch gerade dann zweifeln, wenn man sieht, wie die 38-Jährige sich auf TikTok inszeniert. Dort feiert sie den IDAHOBIT-Tag und die „queere Community“. Voller Lobes war sie hingegen für die Correctiv-Recherche, die sich zwar nachweislich als falsch erwies, dafür aber auch drei CDU-Politiker existenziell zerstörte. Zwar gilt ihre Kritik zuvorderst der AfD, aber es ist kaum zu glauben, dass Ortleb vor diesem Hintergrund einen deutlich rechteren Unionskurs mittragen würde.
Kaum eine Politikerin ist aus Reihen der Union so oft angegriffen worden wie Aydan Özoğuz. Dieser warfen CDU/CSU immer wieder Antisemitismus vor – und hielten sie wegen einer ganzen Reihe von Äußerungen für untragbar in der Position als Vizepräsidentin des Bundestags. So hatte Özoğuz den Zionismus in einer Instagram-Kachel gleichgesetzt mit der Brandstiftung von Häusern. Auch kritisierte sie immer einseitig wieder Israel und zeigte Verständnis für propalästinensische Demonstrationen, die viele als antisemitisch werteten.
Zog wegen antisemitischen Beiträgen Kritik auf sich – äußerte sich jedoch auch schon in den Jahren zuvor immer wieder fragwürdig: Aydan Özoğuz
Doch schon lange vor den Einlassungen Özoğuz’ zum Nahostkonflikt wurde deutlich, dass die SPD-Frau zumindest als Beschwichtigerin von Islamismus und Lobbyistin von Vielfalt agiert. Als die Polizei im November 2016 mit Razzien gegen die salafistische Organisation „Die wahre Religion“ vorging, warf sie den Behörden etwa „mangelndes Augenmaß“ vor. Es entstehe der Eindruck, so Özoğuz, es würde „willkürlich in Moscheen eingedrungen“ – obwohl zu dem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass zahlreiche Teilnehmer der Koranverteilungskampagne in den Irak und nach Syrien in den Dschihad gezogen waren. 2009 sprach sich Özoğuz gegen ein Burka-Verbot – auch bei Schülerinnen – aus. Im März 2011 rief sie Muslime zum Boykott der Islamkonferenz auf, weil der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den Schwerpunkt der Veranstaltung auf Sicherheit und Deradikalisierung legen wollte. 2013 warnte sie davor, Kinderehen pauschal zu verbieten. Und einige Jahre später schrieb sie, eine deutsche Kultur sei „abseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“ sei.
Kurz: Aydan Özoguz ist eine der prominentesten Stimmen der postmigrantischen Gesellschaft, die Massenmigration einseitig als Heil framt – und Kritiker immer wieder in die rechte Ecke stellt.
„Abschottung trennt Familien und zerstört Leben. Wir müssen Migration europäisch regeln, nicht national blockieren“, sagte Derya Türk-Nachbauer noch im März 2022 im Bundestag. Die Alawitin aus dem Schwarzwald gilt als eine der lautesten SPD-Stimmen bei der Verteidigung einer humanitären Asylpolitik, die auch Seenotrettungsorganisationen miteinschließt. „Menschen im Mittelmeer zu retten, ist keine Wahl, sondern ein Muss. Zivile Retter verdienen Respekt, keine Strafen“, so Derya Türk-Nachbauer im Bundestag.
Anlässlich des Vorstoßes von Merz montierte sie den CDU-Chef auf eine Instagram-Kachel und bezeichnete ihn als „Kanzler der Schmerzen“, unter dem die Brandmauer lichterloh brenne – und stellte die CDU sogar in eine Reihe mit NPD und AfD, weil sie das Asylrecht verschärfen wolle. Der Beitrag ist mit den Hashtags #keinfussbreitdenfaschisten, #wehretdenanfängen und #menschenrechtestattrechtemenschen versehen.
Derya Türk-Nachbauer auf Instagram.
Als in Sonneberg ein AfD-Bürgermeister gewählt wurde, nannte dies Derya-Nachbauer „erschreckend“ und schrieb, dies sei ein guter Tag um einer „antifaschistischen Partei“ beizutreten. Ganz in dieser Tradition sah sie Friedrich Merz nach seinem Vorstoß in einer Kontinuität mit den Wegbereiter der Faschisten. „Faschistenversteher hatten wir in diesem Land schon einmal. Es war das dunkelste Kapitel unserer Geschichte. Nun sitzen sie wieder in unseren Reihen im Bundestag. So unfassbar bitter“, schrieb sie Ende Januar auf X. Ein anderer Post von letztem Monat: „Ich hoffe, dass die Anständigen Menschen in der Union ihren Parteivorsitzenden gerade im Bundestag hören und sich für ihre „Alternative mit Substanz“ in Grund und Boden schämen. #MerzIstGefaehrlich“
„Mit einem Friedrich Merz tue ich mich bei den Koalitionsmöglichkeiten schon sehr, sehr schwer“, schrieb Carmen Wegge. Der Grund für die Einlassungen der 35-jährigen Politikerin aus Bayern waren Einlassungen der CDU/CSU zur Cannabis-Legalisierung. Diese dürften die Koalition nicht entscheiden, aber es zeigt anschaulich, dass Teile der SPD-Fraktion aus gänzlich anderen Lebensrealitäten kommen als CDU-Politiker – und dies in zahlreichen Politikfeldern sichtbar wird.
Wegge liegt insbesondere im Hinblick auf Cannabis-Legalisierung und Abtreibung über Kreuz mit der Union.
Im Februar 2022 gab Wegge der taz ein Interview, in dem sie sich wie folgt zitieren ließ: „Abschottung zerstört den europäischen Gedanken. Wir brauchen eine Politik, die Menschen nicht an Grenzen aufhält.“ Als Merz den Entschließungsantrag mit der AfD im Bundestag verabschiedete, nannte ihn Wegge einen „Kanzler ohne Rückgrat“. Sie schrieb: „#Merz sollte sich schämen und zurücktreten. Für die @CDU unwürdig.“
Katja Mast sitzt seit 20 Jahren im Bundestag – und hat sich in der letzten Legislaturperiode klammheimlich zu einer besonders lauten linken SPD-Stimme gemausert. Anlässlich der Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes – eines Vorhabens, das die CDU/CSU rückabwickeln will – schrieb sie: „Trans*Frauen sind Frauen und Trans*Männer sind Männer. Das gilt nicht nur heute am #TransDayOfVisibility. Es ist richtig und gut, dass wir als Ampelkoalition endlich ein Selbstbestimmungsgesetz einführen werden! Das ist überfällig.“
Die 54-jährige Katja Mast im Bundestag.
Dafür fiel Mast, die aktuell im Focus als potenzielles Kabinettsmitglied in einer CDU-SPD-Regierung gehandelt wird, immer wieder mit scharfen Attacken gegen die Union und ihre Asylpolitik auf. Schon 2019 sagte sie im Interview mit dem SWR: „Wer Grenzen dichtmacht, zerstört Europa – das dürfen wir nicht zulassen.“ Auf X schrieb sie im Zusammenhang mit Merz' Sozialtourismus-Aussage, dies sei „AfD-Taktik“.
Und wegen der gemeinsamen Abstimmung im Bundestag mit der AfD teilte die Baden-Württembergerin mit: „Wenn Friedrich #Merz das macht, ist das der Dammbruch - das Ende der Brandmauer. Er gibt es auf, unter den Demokraten die Mehrheit herbei zu führen. Das ist der Freifahrtschein für die Zusammenarbeit mit der AfD.“
Wenngleich man anführen kann, dass zahlreiche der Äußerungen im Wahlkampf getroffen worden sind – und in Koalitionsverhandlungen ein anderer Ton herrscht –, fällt es schwer zu glauben, dass weitere Teile der SPD-Bundestagsfraktion bereit sind, eine radikale Umkehr in der Migrationspolitik mitzutragen. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass migrationsbejahende Einstellungen bis hin zu einer Art Migrationsextremismus für viele SPD-Politiker zu den eigenen Idealen zählen, die es unbedingt hochzuhalten gilt – erst Recht jetzt, wo man massiv Stimmen verloren hat.
Die Liste ist dabei auch nur exemplarischer Natur und hat keinen vollständigen Charakter, fasst sie doch besonders die Politiker ins Auge, die sich einem eher linkeren („humaneren“) Kurs verschreiben, aber relevante Unterstützung in der 120 Personen großen Fraktion sicher haben dürften. Das heißt: Diese zwölf Personen würden schon (rein quantitativ) reichen, um eine Wahl Merz' zum Kanzler oder eine Koalition zu verhindern. Die Unionskehrtwende in der Asylpolitik, die eigentlich ziemlich nah am AfD-Programm liegt, dürfte in einer schwarz-roten Koalition voller Politiker aus Asylindustrie, Vielfaltslobbyismus und Brandmauer-Rhetorik kaum umzusetzen sein.
Lars Klingbeil und weiteres SPD-Personal dürften einige Fliehkräfte innerhalb der eigenen Fraktion aufhalten müssen.
Vorgelegt in dieser Hinsicht haben schon Juso-Chef Philipp Türmer und die SPD-Jugendorganisation. Diese erklärten bereits, dass sie die Abweisung von Asylbewerbern an Grenzen ablehnen und von Merz verlangen, einzugestehen, dass die AfD-Abstimmung ein Fehler war. Hinzu kommen weitreichende sozialstaatliche Konzessionen, die nochmal auf einem anderen Blatt stehen.
Die Äußerungen relevanter Teile der SPD-Fraktion zu Migration wiederum bedeuten, dass die SPD-Politiker bereit sein müssten, eigene Ideale zu verraten und einige „Kröten zu schlucken“, wie es im politischen Berlin so schön heißt. Sollte dies nicht der Fall sein, dürfte eine schwarz-rote Koalition nicht zu Stande kommen, weil Merz auf seinen Versprechen beharrt und die Differenzen zu groß ausfallen. Auch CDU-General Carsten Linnemann hatte unlängst erklärt, dass die Union notfalls nicht in die Regierung gehen werde, wenn sie ihren 5-Punkte-Plan nicht umsetzen könne.
Am wahrscheinlichsten erscheint, dass am Ende Merz und die Union ihre Forderungen aufweichen und sich mit der SPD auf einen weitaus weniger restriktiven Kurs einigen werden. Dieser wird zwar Verrat am Wähler und Wortbruch des Wahlkampfversprechens sein, am Ende wird man sich aber auf Staatsverantwortung und Regierungspflicht angesichts besonderer Aufgaben berufen. Damit kommt es nicht zur Kehrwende in der Migration, aber immerhin bleibt die Brandmauer erhalten.
Auch bei NIUS: Was einer möglichen schwarz-roten Koalition alles im Wege steht: Die Sprengstoffliste zwischen Union und SPD