
Was wir in diesen Tagen erleben, ist ein zäher, beinharter Macht- und Lagerkampf, der vieles unter sich begräbt, was die alte Bundesrepublik ausgemacht hat. Der Streit um die Richternominierung der SPD, um mehr oder weniger tiefe Sozialreformen, die still unter der Oberfläche laufenden Masseneinbürgerungen oder um die Besetzung der Kommission zur „Reform“ (Aufweichung) der Schuldenbremse ist nichts anderes als der Versuch der gegenseitigen Überwältigung. Das ganze Gegenteil von dem, was das auf Ausgleich, Konsens und Mäßigung ausgelegte Politiksystem im Nachkriegsdeutschland geprägt hat.
Nahezu täglich stellt vor allem der Wahlverlierer Lars Klingbeil mit seiner SPD die Machtfrage gegen Kanzler Friedrich Merz (CDU), obwohl doch eigentlich die gütliche Verwaltung des Landes aus der „politischen Mitte“ das gemeinsame Projekt hätte sein sollen. Eine Mitte, die es längst nicht mehr gibt.
Politikberater und SPD-Mitglied Erik Flügge
Wie bizarr und verbissen dieser Kampf geführt wird, zeigt zum Beispiel die Theorie von SPD-Berater Erik Flügge in The Pioneer, bei der Richternominierung keinen Millimeter zu weichen. „Kanzler Merz kann nur hoffen, dass Klingbeil und Miersch jetzt so hart bleiben – im Zweifel bis zum Koalitionsbruch, dass er diesen Druck nutzen kann, um die eigenen Reihen wieder verlässlich aufzustellen.“ Das ist nett und dialektisch raffiniert eingefädelt: Damit Merz seine Union auf linken Kurs bringen kann, braucht er die Härte-Peitsche von Links. Oder anders gesagt: Wenn man die Union jetzt komplett auf linken Kurs zwingen und ihr damit den Todesstoß versetzen kann, dann muss man es so erledigen. „Nur wenn die SPD bei der Richterwahl hart bleibt bis zum Äußersten, hat Kanzler Merz noch eine Chance.“ Motto: Merz bei seinem Machtwillen packen. Das klappt immer.
Überboten wird dieser raffinierte Rat lediglich durch die kuriose Idee der Kollegen von Table Briefings, die in der aktuellen Regierungskrise ein alt-bekanntes linkes Narrativ entdeckt haben: das Frauen-Problem der Union. Und das geht so:
Nachdem im Wahlkampf Bundeswahlleiterin Ruth Brand von CDU/CSU attackiert wurde, weil sie das Drucken von Wahlzetteln als Problem für rasche Neuwahlen darstellte, kommt jetzt das Masken-Problem von Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) hinzu, das von der SPD-Sonderermittlerin Margaretha Sudhoff in ihrem Bericht beschrieben wurde. Und um die magischen Drei voll zu machen, will die Union jetzt auch die links-aktivistische Juristin Frauke Brosius-Gersdorf nicht klaglos mitwählen.
Merken Sie was? Als normal geradeaus denkender Zeitgenosse vermutlich nicht. Drei völlig verschiedene Baustellen. Denkste! Es sind alles drei Frauen, die der Union ein Problem bereiten. Und das, so meinen die Kollegen, hätte alles anders laufen können, wenn die Union mehr Frauen in der Führungsspitze hätte, die ja bekanntlich einen anderen Blick auf die Welt haben und nicht Selfies von Männerrunden machen, wie in den Koalitionsverhandlungen. Soll heißen: Wenn die Union die linke Quoten-Agenda übernimmt, wäre die Welt besser, hätte sie einen anderen Blick auf die Menschenwürde-Debatte beim ungeborenen Leben und hätte womöglich Masken weniger willkürlich bestellt, obwohl CDU-Frau Ursula von der Leyen in Brüssel da auch keine gute Figur gemacht hat.
Man kann sich bei all dem an den Kopf fassen und einer Zeit zuschreiben, die ganz offensichtlich aus den Fugen geraten ist. In der Tiefe schlummert hier allerdings eine aggressive, unversöhnliche, harte Lager-Konfrontation, die von der Politik nach alten Konsens-Mustern nicht aufgelöst werden kann. Interessant ist dabei, dass vor allem die linke Seite verlangt, dass die Union endlich aufgibt, Union zu sein und die Übernahme linker Weltbilder fordert, während die macht-pragmatische Union glaubt, den Konflikt mehr oder weniger elegant defensiv ausbalancieren zu können.
Mehr demnächst in diesem Sommerkino.