
Und da steht Steinmeier wieder, im großen hellen Saal von Schloss Bellevue und verteilt Mappen wie zur Zeugnisübergabe. Die Flagge des Bundespräsidenten, mit dem Adler und den leeren weißen Augen, ist das einzige, das auf den Fotos nicht schwarz, weiß, gold oder pastellfarben ist.
Die vielen schwarzen und dunkelblauen Anzüge mit weißen Hemden und blau-grauen Krawatten, die rosa Krawatte des neuen Außenministers Johann Wadephul und der rosa Hosenanzug der neuen Forschungsministerin Doro Bär bilden ein stimmiges Farbbild, das dem blau-violett-lastigen Gemälde von Gotthard Graubner schmeichelt.
Kühle Pastelltöne, warmes Sonnenlicht – Bärbel Bas und Karin Prien stechen mit ihren seltsamen blauen Outfits als Seealgen-Allianz hervor, doch niemand stört so sehr wie die Flagge des Bundespräsidenten. Das grelle Gelb und das starke Rot beißen sich mit dem seichten Pastell. Die Europaflagge hätte farblich wohl besser gepasst.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die lästigen Grundprinzipien des Deutschen Staates, mit seinen Traditionen und Konstitutionen – das Republik-Deutschland sich mit dem seichten Bürokratie-Deutschland der Merz-Regierung beißt und es wird wohl nicht das letzte Mal in den nächsten vier Jahren sein.
In einer Zeit, in der für den Erhalt der „Demokratie“ eine Grundgesetzänderung durch ein abgewähltes Parlament durchgedrückt wird, noch vor Regierungsantritt jedes Wahlversprechen gebrochen wird, das die Bürger gewählt hat, eine Regierungsbildung um jeden Preis erzwungen wird, Abgeordnete mit freiem Mandat dazu gedrängt werden, „diszipliniert“ etwas oder jemanden gegen ihre Überzeugung zu wählen, da stört Schwarz-Rot-Gold.
Da beißt sich das, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes wirklich gewollt haben, mit dem, was sie ja möglicherweise gewollt haben könnten, weil das für die Agenda gerade besser passt. Da fällt es aus der Ästhetik, wenn man die Lehren der Geschichte nicht nach dem politischen Bedarf interpretiert. Da sticht doch nur unangenehm hervor, wenn man Wörter mit ihrer eigentlichen Bedeutung benutzt und nicht mit ihrer neuen Funktion als Kampfbegriff.
So etwa, wenn man unter „Demokratie“ wieder eine Herrschaftsform nach dem Willen des Volkes versteht – und keinen Freifahrtschein für alles, was einen an die Regierung bringt. Und doch standen wir am Dienstag da, mit dem ersten Kanzlerkandidaten der Bundesrepublik Deutschland, der nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde. Was irritierte, war aber nicht dieser Umstand allein.
Es war doch von Anfang an klar, dass CDU und SPD keine wirklichen Partner sind. Merz hat sich ausnehmen lassen wie eine Weihnachtsgans und Klingbeil hat das ausgenutzt und immer und immer mehr genommen. Irgendwann war das Einzige, das von den Forderungen der CDU noch übrig war: Merz wird Kanzler. Und davor soll die SPD jetzt plötzlich haltmachen?
Irritierender waren die Reaktionen der Opposition. „Kein guter Tag für das Land“, kommentierte es Cem Özdemir bestürzt. Felix Banaszak bezeichnete das negative Ergebnis als schlechte „Zäsur“. Weder wolle er Friedrich Merz als Kanzler, noch würde er ihn wählen wollen, doch jetzt wäre die Priorität eine handlungsfähige Regierung zu haben, immerhin brauche Deutschland jetzt Stabilität. Katrin Göring-Eckardt äußerte sich ähnlich: „Das ist nicht gut. Auch wenn ich diesen Kanzler nicht will oder unterstütze.“ Sie mahnte, sich nicht über Chaos zu freuen.
Erst war noch ganz klar: Am Dienstag wird es erstmal keine zweite Wahl mehr geben. Doch nach wenigen Stunden des Schocks und der Weimar-Vergleiche zauberte die CDU mit SPD, Grünen und Linken plötzlich einen gemeinsamen Antrag hervor, mit dem sie einen zweiten Wahlgang noch am gleichen Tag erwirkten.
Dass es in der SPD offenbar 18 Abgeordnete gab, die eine Wahl von Friedrich Merz zum neuen Kanzler nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, müsste für die grüne Opposition doch eigentlich verständlich sein. Doch Inhalte sind ihr egal, Inhalte sind allen egal, seit Merz mit der SPD an einen Verhandlungstisch getreten ist. Es geht nur um Verwaltung – dass da überhaupt jemand sitzt und dass er nicht von einer speziellen Partei ist.
Man muss Respekt vor den 18 Abweichlern haben, denn sie sind die Einzigen, die noch ein Störgefühl haben, wenn eine vermeintlich konservative Partei und eine linke Partei sich zu einer gemeinsamen Politik zusammentun wollen. Sie sind die Einzigen, die ein Störgefühl haben, wenn so grundverschiedene Parteien so austauschbar sind.
Nachdem man Friedrich Merz dann doch noch mit Macht auf den Kanzlerposten gehievt hat – so wie er seine Karriere lang schon immer überall hin gehievt werden musste, saß Grünen-Chefin Franziska Brandner bei Lanz und beschwerte sich mit gebrochenem Herzen, wie gemein doch die Union die ganze Zeit zu ihnen ist, wie gemein sie im Wahlkampf zu ihnen war, was für gemeine Dinge man über sie gesagt hat und dass man sich dafür immer noch nicht entschuldigt hat, obwohl doch die Grünen die Union nun schon zwei Mal gerettet haben.
Oje. Zwischenzeitlich hatten sich die Grünen schon erfolgreich als knallharte Verhandler inszenieren können. Katharina Dröge erklärte im Spiegel, wie sie es schaffe, dass alte Männer nach ihrer Pfeife tanzen und dass Merz ja sogar über ihre Witze gelacht hat. Doch eigentlich machen die Grünen nur das Gleiche mit der Union, was die Union für die SPD macht.
Man ist noch nicht bereit, sich wieder als freche Oppositionspartei mit Jeans in den Bundestag zu setzen. Regierungspartei hat sich gut angefühlt – wichtig, staatstragend. Jetzt betätigen sie sich als Undercover-Koalitionspartei, weil es einfach so wohltuend fürs Ego ist, „Stabilität für Deutschland und für Europa“ zu fordern und das Beste für das Land zu tun.
Dieses Parlament ist mit einem Grad an Politikverdrossenheit in die Legislaturperiode gestartet, wie man ihn erst nach Jahren im Elfenbeinturm erwartet hätte. Alles existiert zum Selbstzweck, keiner von ihnen hat bisher einmal reflektiert, welchen Sinn das Amt hat, das er ausführt. Alles existiert zum grauen Selbstzweck. Und grau beißt sich mit Schwarz-Rot-Gold.