Warum die Verurteilung von „Schwachkopf“-Rentner Stefan Niehoff ein dunkler Wendepunkt in der deutschen Geschichte ist

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: NiUS

In der Demokratie sind die Grundrechte Schutz- und Freiheitsversprechen für den Einzelnen gegen den Staat. Die in der Verfassung festgeschriebenen Kontrollinstanzen dienen dem Ziel, auf direkte Weise – mittels Gewaltenteilung – und indirekt – mittels Presse- und Kunstfreiheit – eine Konzentration von Macht zu verhindern und so die Freiheit des Individuums gegen die Übermacht des Kollektivs zu verteidigen.

Doch inmitten der Demokratie beginnt sich in Deutschland ein zweites System herauszubilden, das fast denselben Namen trägt, dessen Ziele jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten: „unsere Demokratie“. Die Verfechter „unserer Demokratie“ nutzen die bundesrepublikanischen Kontrollinstanzen, die von Demokraten geschaffen wurden, um sie gegen Individuen zu wenden, die sich dem Kollektiv widersetzen.

Das jüngste Opfer „unserer Demokratie“ ist der Rentner Stefan Niehoff aus Burgpreppach. Niehoff bringt weder nennenswertes finanzielles noch kulturelles Kapital mit, er lebt mit seiner Frau in einem bescheidenen Häuschen in Unterfranken, gemeinsam kümmern sie sich um ihre am Downsyndrom erkrankte Tochter. Niehoff zählt also zu jenen Individuen, die des Schutzes durchaus bedürften. Doch er hielt den ehemaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck für einen „Schwachkopf“. Und wer die Mächtigen kritisiert, der bekommt die Rache „unserer Demokratie“ zu spüren.

Stefan Niehoff

Niehoffs Fall stellt einen Wendepunkt im Umgang des Landes mit der Meinungsfreiheit dar, weil er belegt, wie Regierungskritiker nicht nur verfolgt, sondern diese Verfolgung als Selbstverständlichkeit etikettiert wird. Am Mittwoch wurde Niehoff wegen des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verurteilt, zu einer Strafe von 55 Tagessätzen zu je 15 Euro (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Sein Vergehen: Er kritisierte die Ampel-Regierung im Netz und zog dabei Vergleiche zum Nationalsozialismus, retweetete etwa ein Bild von Bayerns Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze in Nazi-Pose mit erhobenem Arm auf einem fiktiven Spiegel“Cover, daneben die Zeile „Das grüne Reich“. Ein anderer Retweet zeigte Hitler beim Handschlag mit einem Geistlichen, Niehoff wollte damit die politische Positionierung der Kirche kritisieren.

Eines der Bilder, die Niehoff retweetete.

Zwar blitzen von den Covern von Spiegel und Stern ebenso regelmäßig Hakenkreuze wie in politischen Reden die Jahreszahl „1933“ genannt wird, um vor einem „Rechtsruck“ zu warnen. Wer aber mit den Nazi-Vergleichen gegen links schießt statt gegen rechts, der wendet sich gegen „unsere Demokratie“. Und dabei will und kann „unsere Demokratie“ nicht tatenlos zusehen.

Der Fall von Stefan Niehoff illustriert, wie demokratische Instanzen, die sich eigentlich gegenseitig kontrollieren sollten, einen Bund miteinander eingehen, um in einer konzertierten Aktion ein Exempel an einem Mann zu statuieren, weil er die Regierung kritisiert. Seine Vernichtung ist kein Zufall, sondern eine gezielt herbeigeführte Demütigung eines machtkritischen Bürgers durch die Infrastruktur „unserer Demokratie“, die ihre Vollstrecker ideologisch und politisch munitioniert, um ihre autoritäre Kraft voll zu entfalten.

Der erste dieser Akteure ist die Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ des hessischen Innenministeriums. Sie wird auf ein von Niehoff geteiltes Meme aufmerksam, auf dem die Silhouette von Robert Habeck abgebildet ist, darunter steht: „Schwachkopf Professional“. Die Behörde legt Habeck den Strafantrag vor, er unterzeichnet, statt der strafrechtlichen Verfolgung zu widersprechen. Am 12. November 2024, dem „Aktionstag gegen Hass und Hetze“, klingeln Polizeibeamte im Morgengrauen, durchsuchen das Haus von Niehoff, sein Tablet wird von den Beamten eingezogen. Auf dem Durchsuchungsbeschluss steht „Volksverhetzung“, das „Schwachkopf“-Meme fällt jedoch unter den neuen „Majestätsbeleidigungs“-Paragrafen 188, der Beleidigungen von Politikern ahndet.

Das Schwachkopf-Meme, das zur Hausdurchsuchung führte.

Ein Land, das bei der Sicherung seiner Grenzen und dem Kampf gegen Gewaltverbrechen versagt, verfolgt vermeintliche Äußerungsdelikte mit einer Präzision, als handle es sich eine nationale Bedrohungslage. Mit im ganzen Land aus dem Boden gestampften Meldestellen und dem von der damaligen SPD-Innenministerin Nancy Faeser eingeführten bundesweiten Aktionstag wollen die Behörden eine einschüchternde Signalwirkung erzielen: „Hass und Hetze“, so die Botschaft, muss mit ähnlichen Mittel bekämpft werden wie organisierte Kriminalität. Bayern ist Vorreiter dieses Kampfs gegen „Hassrede“, setzt im ganzen Land Staatsanwälte auf „Hatespeech“ an.

NIUS berichtete als eines der ersten Medien in Deutschland ausführlich über Niehoffs Fall und veröffentlichte den Durchsuchungsbeschluss. Das passt der Staatsanwaltschaft nicht. Sie eröffnete ein Verfahren gegen NIUS wegen „verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“. Die Berichterstattung soll mit allen Mitteln verhindert werden.

Denn sie bedroht den Ermittlungserfolg: In sozialen Netzwerken kommt massive Kritik am Vorgehen der Polizei auf. Also legt diese nach und durchforstet den Account von Niehoff. Sie erstellt ein 26-seitiges Dossier, das Niehoffs Beiträge auf der Plattform X unter die Lupe nimmt und in „strafbar“ und „verdächtig“ einteilt. Sechs dieser Beiträge bewertet das Amtsgericht Haßfurt im März als Straftaten und verhängt einen Strafbefehl von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro, der „Schwachkopf“-Tweet wird nicht weiter verfolgt. Geleitet wird das Amtsgericht von Ursula Redler, die in einem Interview mit der Main Post bekannte, sie habe „immer für das Gute kämpfen“ wollen – „wie ein Jedi-Ritter“.

Niehoff widerspricht auch hier, fügt sich dem Strafbefehl nicht. Also verhandelt das Amtsgericht über seinen Fall und spricht Niehoff nun wegen vier der sechs Tweets schuldig. Man könne, so der Richter Patrick Keller, nicht auf Anhieb erkennen, ob sich Niehoff mit seinen Tweets vom Nationalsozialismus distanziert habe. „Mir ist klar, dass unser Internet voll ist mit sowas, und wir dem nicht Herr werden“, erklärt der Richter wörtlich. Den Hitlergruß wolle man nicht sehen. „Ich sag’ ehrlich: Das ist mir einfach zu krass.“ Dieser Satz verdeutlicht, wie erfolgreich „unsere Demokratie“ sogar Richter einschüchtert: Was dem Richter „zu krass“ erscheint, das sanktioniert er lieber, sonst steht er am Ende als jemand da, der „unsere Demokratie“ nicht schützt.

Schließlich nutzten die Medien ihre demokratischen Freiheiten, um im Sinne „unserer Demokratie“ den Verurteilten in ihren Überschriften wie einen überzeugten Nazi aussehen zu lassen: „Rentner wegen Hitlergruß im Internet verurteilt“, titelte Bild. Die FAZ schrieb: „64-Jähriger erhält Geldstrafe wegen X-Posts mit ‚Hitlergruß‘“. In der Süddeutschen Zeitung hieß es: „Rentner wegen Hitlergruß-Posts auf X zu Geldstrafe verurteilt“.

So erscheint es geradezu normal, dass ein Mann, der tat, was alle Linken von morgens bis abends tun – nämlich den Gegner mit Hitler zu vergleichen –, für seine historischen Analogien vor Gericht gezerrt und verurteilt wurde, um sich an ihm für seine Kritik am grünen Wirtschaftsminister zu rächen.

Sehen Sie hier Stefan Niehoff im Interview:

Lesen Sie auch: Urteil im Fall Niehoff: 825 Euro Strafe für die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

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