Streit um die Abtreibung: Scholz lockt Merz in die Falle

vor 5 Monaten

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Ein Kanzler ohne Mehrheit ist ein Kandidat im Wahlkampf. Im Fall des gescheiterten Bundeskanzlers Olaf Scholz kommt hinzu: Er muss die eigene Partei überzeugen, ihn trotz miserabler Umfragewerte wieder ins Rennen zu schicken. Und er muss im Volk um jenes Vertrauen werben, das er als Chef einer funktionsunfähigen Ampel selbst schredderte.

Olaf Scholz hat keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung. Pistorius liegt in Beliebtheits-Umfragen weit vor dem Bundeskanzler.

Olaf Scholz hat vor diesem Hintergrund eine Entscheidung getroffen. Er setzt auf die brutalstmögliche Attacke. Er lässt das Charmieren des Friedrich Merz an sich abperlen und den Oppositionsführer im Regen stehen. Es kümmert ihn nicht, dass Merz im Bundestag mit SPD und Grünen einvernehmlich handeln möchte, um die AfD außen vor zu halten. Er zieht durch, wovon er sich Erfolg verspricht. Er lockt Merz in die Falle.

Genauso wenig kümmert ihn, Scholz, sein eigenes Gerede von Schulterschuss, Konsens und Kooperation, wenn er Lieblingsprojekte der Genossen verwirklichen kann. Der vom Kanzler unterstützte Gesetzesantrag, den Paragrafen 218 abzuschaffen und den Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche offiziell zu erlauben, ist ein Manöver der perfiden Art.

Scholz kündigt den gesellschaftlichen Frieden, um kurz vor dem Sterbeglöckchen für seine Regierung linken Kulturkämpfern einen Triumph zu verschaffen – und um der Union zu zeigen, wie wenig er auf deren Avancen gibt.

Die Erregung des Friedrich Merz war echt: Es sei „skandalös, was der Bundeskanzler hier macht“. Er nehme mit größtem Befremden den „Gruppenantrag aus der SPD und aus der Grünenfraktion und von Teilen der FDP, den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches abzuschaffen“ zur Kenntnis. Scholz möge bitte seine Unterschrift zurückziehen. Der gesamte Antrag dürfe das Licht des Parlaments niemals erblicken.

Friedrich Merz und seine Union wurden von Scholz in Sachen Paragraf 218 böse in die Falle gelockt.

Diesen Gefallen wird ihm Scholz nicht tun. Der Kanzler will eine letzte Chance nutzen, um der konservativen Opposition ihre Machtlosigkeit vorzuführen. Die Botschaft des Antrags lautet: Wenn Linke zusammenhalten, schauen die Bürgerlichen in die Röhre. Und wenn CDU/CSU daran etwas ändern wollen, müssten sie tun, was nie zu tun sie fest versprochen haben, und sich auf die AfD zubewegen. Scholz führt Merz das strategische Dilemma der Union in eiseskalter Klarheit vor.

Was aber bedeutet die Eskalation für das Verhältnis von Scholz zu Partei und Bevölkerung? Den Genossen, die das Gros der Unterzeichner auf dem Antrag stellen, präsentiert Scholz sich als jemand, der Mehrheiten zu organisieren versteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Antrag im Parlament scheitern wird, ist gering.

Die Christdemokraten für das Leben nehmen Merz gerade deshalb in die Pflicht und erwarten Widerstand: „Eine Rechtsordnung, die das Recht auf Leben hochhält, kann nicht gleichzeitig ein Recht auf Tötung anerkennen. Das wäre ein Widerspruch in sich. Wenn sie es tut, dann steht sie immer im Widerspruch zu übergeordnetem Recht wie dem Naturrecht, an dem gesetztes Recht immer zu messen ist.“ In der Abtreibungsfrage ist die konservative und christliche Wurzel der CDU berührt wie vielleicht nirgends sonst.

Scholz wird Merz in eine Schlacht zwingen, die Merz verlieren wird: So lautet der wahrscheinliche Ausgang dieses Kräftemessens. Merz befindet sich in einem Dilemma, einer Lose-lose-Situation, aus der er sich kaum wird befreien können. Und genau darauf kommt es Scholz an.

Nichts ist geblieben von dem als generös gedachten Vorschlag des Oppositionsführers, CDU und CSU wollten bis zu den Wahlen nur solche „Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben.“ Die Neuregelung zum Schwangerschaftsabbruch wäre das Gegenteil eines solchen Konsensbeschlusses. Scholz schlägt die ausgestreckte Hand des Friedrich Merz aus.

Fraglich ist, ob solche Skrupellosigkeit beim Wahlvolk auf das Konto des Kanzlers einzahlt. Ebenfalls am Freitag nutzte Scholz die Ressourcen des Bundeskanzleramts für eine Botschaft in wahlkämpferischer Sache. Im Videoformat „Kanzler Kompakt“ sang der Sozialdemokrat das ausgeleierte Lied vom Zusammenhalt. Es klingt nach der Initiative zum Schwangerschaftsabbruch erst recht schief.

Scholz sieht sich nämlich als demokratischer Herold, der die Deutschen vor amerikanischen Verhältnissen beschütze: Er wolle sich bis zur Neuwahl des Bundestages für „konsensfähige Vorhaben“ einsetzen. Dieser Satz fällt Scholz nach seiner Unterschrift unter die maximal umstrittene Vorlage zum Paragrafen 218 auf die Füße.

Blind ist der Blick aus Berlin in die Vereinigten Staaten. Dort, behauptet Scholz, hätten „gegensätzliche politische Ideen tiefe Gräben aufgetan, quer durch die Gesellschaft. Freundschaften und Familien wurden auseinandergerissen. Ich will, dass uns das in Deutschland nicht passiert.“

In New York protestieren Frauen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Scholz redet von einer Gegenwart, die es so nicht gibt, um sich in einer Rolle zu empfehlen, für die ihm jede Glaubwürdigkeit fehlt. Die Gräben der „gegensätzlichen politischen Ideen“ wurden von der Scholz-Regierung vom ersten Tag an absichtsvoll vertieft. Da waren keine Pragmatiker am Werk, sondern Ideologen. Scholz ist das Muster eines Biedermanns, der vor jenem gesellschaftlichen Zunder warnt, den er selbst entfachte.

Insofern könnte sich der erwartbare Punktsieg von Scholz über Merz, die CDU und die CSU als Pyrrhussieg herausstellen. Der Kanzler dreht dem Oppositionsführer eine lange Nase. Die Union steht als kampagnenunfähig und unsortiert da. Und die selbsterrichtete Brandmauer verringert einmal mehr ihren politischen Gestaltungsraum.

Scholz aber gibt keinen strahlenden Helden ab. Er hat demonstriert, wie wenig ihm zu trauen ist, wenn er den hohen moralischen Ton anschlägt. Er ist der Kanzler, der im selben Atemzug erklärt, nun seien „Kompromisse und Kooperationen gefragt“, und zugleich der Union den denkbar größten ideologischen Fehdehandschuh hinwirft.

Vom Kanzler gilt, was Bertolt Brecht einmal in einem Gedicht aufschrieb: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.“

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