Nach gewonnener Vertrauensfrage: Tusks Koalition trotzdem vor dem Aus?

vor etwa 14 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der polnische Regierungschef Donald Tusk hatte die Vertrauensabstimmung nach der Niederlage seines Stellvertreters Rafał Trzaskowski bei der Präsidentschaftswahl angesetzt. Polens designierter Staatspräsident heißt Karol Nawrocki. Der von der konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützte Kandidat hat vor zwei Tagen im Warschauer Königspalast seine Bestätigungsurkunde abgeholt und wird im August Andrzej Duda beerben. Die am Mittwoch gestellte Vertrauensfrage im Sejm konnte die polnische „Ampelregierung“ zwar knapp überstehen, doch einige Beobachter sind inzwischen überzeugt, dass Tusk früher oder später freiwillig den Hut nimmt. Wer aber sollte ihn ersetzen? Und vor allem: Hält die linke Koalition überhaupt bis 2027 durch?

Nach der aus der Sicht der PO verlorenen Stichwahl vom 1. Juni scheint immerhin etwas klar geworden zu sein: Die polnischen Journalisten sind sich darin einig, dass der Mythos vom „unbesiegbaren“ Donald Tusk spektakulär entzaubert wurde. Die Älteren unter uns wissen zwar, dass er einstmals bereits eine Stichwahl gegen Lech Kaczyński verloren hatte. Zwei Jahre später legte Tusk jedoch eine Siegesserie hin, die diese schmerzhafte persönliche Niederlage von 2005 teilweise vergessen ließ. Zwanzig Jahre später ist der Katzenjammer noch größer, weil der Premier sich höchstpersönlich im Wahlkampf von Rafał Trzaskowski engagiert und mit seiner unsachgemäßen Polemik gegen Karol Nawrocki die politische „Schnappatmung“ seines eigenen Kandidaten beschleunigt hatte.

Tusks gegenwärtiges Problem besteht darin, dass sein Plan das Szenario einer Niederlage Trzaskowskis gar nicht zuließ. Seine Regierungserklärung nach der Wahl verriet, dass er weiterhin planlos, angesichts des unerwarteten „Knockouts“ geradezu hilflos wirkt. Er verhält er sich wie ein Spieler, der alles auf lediglich eine Karte gesetzt hatte. Tatsächlich hätte ein Sieg Trzaskowskis sämtliche „Blockaden“ gelöst. In Polen hat das Staatsoberhaupt deutlich mehr Macht als der Bundespräsident in Deutschland. So ist er beispielsweise im Kriegsfall Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Insbesondere aber kann er mit seinem Vetorecht neue Gesetze blockieren.

Diese Pläne werden wohl zunächst wieder in der Schublade verschwinden. Nawrocki hat bereits angekündigt, dass sich Tusk nach seinem Amtsantritt auf einen „starken Widerstand“ gefasst machen solle. Derart unter Druck gesetzt, wollte der Premier mit dem Vertrauensvotum die Reihen seiner bunten Koalition schließen, aber oft sind die Übergänge zwischen Tatsachen und Meinungen überaus flexibel. Der PO-Vorsitzende sieht sich erstmals einer Welle unterschwelliger Feindseligkeit in seiner eigenen Partei und dem Vorwurf ausgesetzt, er habe Trzaskowski selbst den politischen „Todesstoß“ versetzt.

Selbst dessen intellektueller Unterstützer Antoni Dudek soll geäußert haben, ein „geordneter Rückzug“ sei die einzig richtige Lösung. Auch Michał Kamiński von der Koalitionspartei PSL sagte: „Wenn der Karren nicht mehr fährt, muss man die Pferde wechseln. Diese Behauptung gehört nicht in die Kategorie Hasskommentare, sondern ist eine zulässige Meinung, wenn nicht gar eine Tatsache.“ Trzaskowskis Mitarbeiter bezeichnete Kamiński als einen „Amateurhaufen“, der nach der Stichwahl am 1. Juni zwei Stunden lang auf der „eigenen Beerdigung“ tanzte.

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise machen: Im Jahr 2001 war Donald Tusk Politiker der Freiheitsunion (UW), die sich zu dieser Zeit bereits im unvermeidbaren Niedergang befand. Sie beruhte auf einem Deal der Postkommunisten mit dem linken Flügel der Solidarność, die gemeinsam am Runden Tisch die uns heute sattsam bekannte „samtene Revolution“ ausgehandelt hatten. Auf der konservativen Seite erschienen die Kaczyński-Zwillinge, die insbesondere eine Dekommunisierung in sozialen, wirtschaftlichen, juristischen sowie kulturellen Bereichen anstrebten.

Donald Tusk verließ sein sinkendes Schiff und gründete die proeuropäische Bürgerplattform, die von einigen allzu höflichen Oligarchen mitfinanziert wurde. Zwanzig Jahre lang erfüllte Tusk die Erwartungen seiner Gönner – sowohl der polnischen als auch der westlichen. Derweil scheint dieses Erfolgsrezept seine Wirkung verloren zu haben.

Wenig Beachtung erhält nämlich die Spaltung zwischen den jungen und den älteren Wählern. Es gibt unter den jüngeren Polen ein tiefes Bedürfnis nach einer Politik abseits von Tusk und Kaczyński, dem sogenannten „Duopol“ von PiS und PO, das die politischen Geschicke des Landes seit Jahrzehnten (und mit unterschiedlichen Parteilogos) bestimmt. Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl bewies es mehr als deutlich: Unter den 18- bis 29-Jährigen hätten nicht Nawrocki und Trzaskowski die Stichwahl erreicht, sondern der liberal-konservative Sławomir Mentzen sowie der linke (so doch regierungsferne) Adrian Zandberg.

Die PiS hat ihren Generationenwechsel raffinierter vollzogen als Tusks Bürgerplattform: Bei den Konservativen hat sich Kaczyński schon vor zehn Jahren aus der ersten Reihe verabschiedet, agiert allerdings als Parteichef weiterhin der Strippenzieher im Hintergrund. Mit Nawrocki präsentierte Kaczyński diesmal aber bewusst einen Anti-Establishment-Kandidaten: Ohne politische Erfahrung, dafür aber mit viel Volksnähe und besonderen Meriten in der Geschichtswissenschaft. Den Rest erledigten Fleiß und Sportsgeist: Nawrocki beteiligte sich an insgesamt acht Präsidentschaftsdebatten, redete mit unbequemen Gegenkandidaten, stellte sich den Angriffen regierungsnaher Journalisten, machte einen Gesundheits-Check-up.

Als Rostbeschleuniger des „eisernen“ Trzaskowski erwies sich schließlich ein Kneipenbesuch beim Konfederacja-Kandidaten Sławomir Mentzen in Toruń, der augenscheinlich viele seiner linken und weiblichen Fans vergrellte. Die Idee stammte ausgerechnet von Trzaskowskis parteiinternen Gegner Radosław Sikorski, der ebenso in der Kneipe zugegen war und im linksextremen Flügel der Bürgerkoalition eher unbeliebt ist. Der heutige Chefdiplomat geriet bereits 2015 unter Druck: Damals wurde Tusks Regierung von einem Abhörskandal erschüttert. Sikorski gehörte zu den heimlich abgehörten Protagonisten, wobei seine vulgäre Wortwahl bei den Frauen in der Partei Anstoß erregte. Von nun an wurde sein politischer Ehrgeiz wiederholt torpediert und Trzaskowski stets der Vortritt gelassen.

Der Fernsehsender TV Republika möchte übrigens nun, mehr als zehn Jahre später (am 16. Juni) einen erneuten Abhörskandal ans Tageslicht bringen. Schon jetzt reden die Journalisten von einer „medialen Bombe“ sowie der Beteiligung von „ranghohen Regierungsbeamten“. Wird dies nun der Rostbeschleuniger der gesamten „Regenbogenregierung“?

Vielleicht bedarf es aber nicht einmal eines neuen Abhörskandals. Die polnische Staatanwaltschaft ermittelt wegen der mutmaßlich illegalen Finanzierung von Wahlkampfspots zur Unterstützung von Rafał Trzaskowski. Im Hintergrund stehen Vorwürfe der Geldwäsche, möglicher Einflussnahme aus dem Ausland sowie der Beteiligung der Stiftung „Akcja Demokracja“. Die Ermittlungen werden von der Abteilung für organisierte Kriminalität und Korruption der Generalstaatsanwaltschaft in der Woiwodschaft Małopolska geführt.

Die Anzeige stamme vom Inlandsgeheimdienst ABW (Agentur für Innere Sicherheit) und von dem Akademischen Computernetzwerk NASK. Offiziell habe die Stiftung nicht im Namen von Trzaskowskis Wahlkampfteam gehandelt. Die Höhe der Ausgaben sowie die Ausrichtung der Wahlwerbung werfen aber unzweifelhaft Fragen nach den Absichten und der Vereinbarkeit mit dem Wahlrecht auf. Das Forschungsnetzwerk NASK warnt, dass ein Teil der Werbung aus dem Ausland finanziert worden sein könnte, was auf den Versuch einer Beeinflussung des demokratischen Wahlprozesses hindeute. Die Werbeausgaben überstiegen die für Wahlkomitees festgelegten Obergrenzen, was Fragen nach Transparenz und Rechtmäßigkeit der Kampagne aufwerfe. Trzaskowski selbst behauptet, er wisse von nichts. Während einer Sitzung seines ehemaligen Wahlkampfteams soll er jedoch ein bekanntes Lied von Taylor Swift angestimmt haben: „I knew you were trouble“.

Zudem bemerkte Trzaskowskis Wahlkampfteam nicht, dass die von seinen Mitarbeitern und Medienfachleuten kurz vor der Stichwahl losgetretenen Hasslawinen, die Karol Nawrocki allen Ernstes mit dem Danziger Zuhältermilieu in Verbindung bringen sollten, eine entgegengesetzte Wirkung zur Folge hatten: Viele unentschlossene Wähler gelangten schnell zu der Einsicht, dass die Übergabe des Präsidentenpalastes an ein rachsüchtiges und skrupelloses Lager, das nicht einmal vor der Zerstörung einer ganz normalen polnischen Familie zurückschrecke (schon vor fünf Jahren versuchten die gleichen Akteure, Andrzej Duda mit Pädophilie in Verbindung zu bringen), fatal für ihr Land gewesen wäre. Emotional instabile Menschen sollten mit Sorgfalt behandelt, jedoch nicht mit der vollen Kontrolle über den Staat ausgestattet werden.

Auch in Brüssel scheinen einige Entscheidungsträger zu dem Schluss gekommen zu sein, dass der „Wackelkontakt“ der polnischen Ampel irreparabel sei. Kommissionschefin Ursula von der Leyen gratulierte Karol Nawrocki noch bevor dem polnischen Premier etwas Vergleichbares über die Lippen kam.

Der Wahlausgang in Polen ist offenbar aber auch ein „Schock“ für Europa. Einigen EU-Abgeordneten stand er regelrecht ins Gesicht geschrieben. Der deutsche EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP), dessen Partei in Deutschland nicht einmal in den Bundestag gewählt wurde, deren Mitglieder aber in Straßburg nach wie vor große Reden schwingen, schrieb auf X: „Der Vertrauensvorschuss, den Polen nach der Parlamentswahl 2023 erhalten hat, ist aufgebraucht. Die Schonfrist für Polens Rechtsstaatsprobleme ist vorbei. Die polnische Regierung muss jetzt alle Gesetze beschließen, die den Rechtsstaat in Polen wiederherstellen. Wenn der neugewählte Präsident die notwendigen Rechtsstaatsreformen mit seinem Veto boykottiert, muss die EU die Gelder an Polen wieder einfrieren. Ursula von der Leyen muss klarstellen, dass wenn die Polen eine Fortsetzung der Boykott-Politik wollen, sie eine Fortsetzung der Sanktionen erhalten werden. Die Schuld daran liegt dann beim Präsidenten.“

Wie heißt es so schön: Unfreiwillige Selbstentblößung ist nicht gleich freiwillige Selbsterkenntnis. Dies gilt auch für die aktuelle polnische Regierungskrise. Die entscheidende Frage aber lautet: Wird das konservative Lager vorbereitet sein, wenn der linke Karren endgültig gegen die Wand kracht?

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